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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

erwachten Volksgeist rechtzeitig wieder in die alten bureaukratischen Ketten zu schlagen, damit er nicht die Cirkel der privilegirten Kasten zerstöre. Dem Volke, das mit seinem Herzblute das Vaterland aus der tiefsten Schmach gerettet, wurde der Dank, daß seine idealen Hoffnungen als kindische Thorheiten, seine aufwallenden Wünsche als Verbrechen behandelt wurden.

Sallet, der die Zeit von seinem zwölften bis zu seinem siebenzehnten Jahre im Cadetten-Corps zu Potsdam und Berlin zubrachte, gerieth in den Lebensjahren, in denen das eigene Urtheil noch unentwickelt ist und die äußere Umgebung am leichtesten den Charakter beeinflußt, mitten hinein in die drückende Atmosphäre der politischen Reaction. Aber seinem gesunden Geiste konnte diese Atmosphäre nichts anhaben. Im Gegentheil, als Sallet 1829 als Seconde-Lieutenant in das 36. Infanterie-Regiment eintrat, brachte er, der kaum Achtzehnjährige, einen ausgesprochenen Widerwillen gegen alles Hohle und Unwahre, das er in seiner Umgebung reichlich zu beobachten Gelegenheit gehabt haben mochte, in seine neue Lebensstellung mit hinüber. Nicht als ob er mit seinem Berufe an sich unzufrieden gewesen wäre. Er spricht vielmehr auch später noch mit großer Hochachtung von demselben. Er verachtete nur das eitle, gehaltlose Treiben seiner Berufsgenossen, den militärischen Kastengeist mit allen seinen Vorurtheilen, der zu Sallet’s Zeit noch in ungebrochener Kraft herrschte.

Im Jahre 1831 wurde er wegen einer Satire, in der er die Schwächen des Officierstandes einer launigen, aber durchaus unschuldigen Kritik unterzogen hatte, zur Cassation und zehn Jahren Festungsarrest verurtheilt. Als Sallet diesen drakonischen Urtheilsspruch erfuhr, schrieb er, wie sein Freund Theodor Paur erzählt, folgende charakteristische Stelle in sein Tagebuch:

„Mich durchfuhr ein kleiner Schreck, ich mußte aber doch lachen. Wenn mir mein Leben mehr solcher Erfahrungen bietet, werd’ ich noch Satiriker von Profession, und zwar ein recht bitterer werden. Mein Schicksal ist mir übrigens ziemlich gleichgültig. Würde ich cassirt, so könnte ich mich auf der Festung genugsam mit Kenntnissen bereichern, um einen andern Unterhalt zu finden, wobei ich mich vielleicht glücklicher fühlen würde, als jetzt. Kränkend könnte dann mein Schicksal nur im Punkte der Ehre sein, aber was achte ich die Ehre, die von der Meinung einer Welt abhängt, in der es so niederträchtig und nichtswürdig zugeht, daß die Unbesonnenheit eines jungen, gutdenkenden Menschen als ein Verbrechen, ja als eine Ehrlosigkeit angesehen wird. Ich kann mich nicht enthalten, die Herren, in deren Köpfen und Herzen es so öde und kalt aussieht, recht herzlich zu verachten.“

Das Urtheil kam nicht zur Vollstreckung, weil der König die Cassation verwarf, Sallet nach Trier versetzte und den Arrest auf zwei Monate ermäßigte.

Ueber die Einförmigkeit des Festungsarrestes half dem Dichter die Poesie der Liebe hinweg, die ihm in jenen Tagen zum ersten Male aufging. Freilich sollte diese Liebe, die von Seiten Sallet’s mit der ganzen Innigkeit seines Wesens empfunden wurde, ihm eine Enttäuschung bringen. Er schreibt hierüber zehn Jahre nach jenem Vorfall an seinen Freund Paur:

„Ich war schon zu Gnaden aufgenommen und wurde dann, weil die Sache langweilig aussah, entlassen. Damals gedachte ich ein Hagestolz zu werden. Heut aber habe ich ein Weib, und Du hast selbst beobachten können, wie ich zu ihr stehe. Ich kann Dir betheuern, daß jenes frühere Ereigniß meines Lebens den heiteren Himmel meines jetzigen Glückes auch nicht als kleinstes Wölkchen trübt, daß in meiner Seele kein Tropfen Bitterkeit zurückgeblieben ist, daß Geist und Gemüth nicht das Mindeste an ihrer Spannkraft verloren haben.“

Diese Worte versetzen uns schon in die letzten Lebensjahre Sallet’s. Er war 1835 nach Berlin auf die Kriegsschule gegangen und hatte dort drei schöne Jahre verlebt, die er seiner wissenschaftlichen Ausbildung, hauptsächlich dem Studium der Geschichte und der Hegel’schen Philosophie, widmen konnte. Als er dann in den activen Dienst zurücktrat, war ihm das damalige „Lieutenantamentalische Knechtschaftsverhältniß“ doppelt unerträglich geworden. Er nahm seinen Abschied, um auf eine Professur hinzuarbeiten. Im Jahre 1840 verlobte er sich mit seiner Cousine Karoline von Burgdorf. Wohl meinte er, es habe zu allen Zeiten für den tüchtigen, geistig gereiften Mann Wichtigeres und Größeres zu thun gegeben, als ein Weib zu nehmen. Aber er wußte auch, daß im Familienleben jegliche Gesinnung und Gesittung wurzele.

Es waren nur zwei kurze, glückliche Jahre, die ihm an der Seite seines Weibes zu verleben vergönnt waren. Eine Erbschaft hatte ihn ökonomisch unabhängig gemacht. Auf seinem Herde hatte er nach seinem eigenen Zeugniß zwar kein Feuerwerk, dafür aber die einfache Flamme häuslichen Glückes. Ein Sohn wurde ihm geboren, aber bald nachdem ihm dieser Lieblingswunsch erfüllt war, erlag er der Krankheit, die schon seit Jahren heimtückisch an seinem Leben gezehrt hatte.

So war Sallet’s Leben kurz und äußerlich wenig bewegt. Aber welche Fülle des Größten und Schönsten, was jemals eines Menschen Brust bewegt hat, umfaßte dieses Leben! Sallet’s Gedichte sind keine Dichtungen – sie sind Wahrheit. In ihnen spiegelt sich das ganze geistige Sein des Dichters ungeschminkt und treu wieder; sie geben uns deshalb auch den besten Schlüssel zum Verständnisse des inneren Fortschritts in der Entwickelung Sallet’s. Zuerst haben wir eine Gruppe von Gedichten, der er die Ueberschrift „Naturleben und junge Liebe“ gegeben hat. Der Dichter lebt, noch unentzweit mit der ihn umgebenden Welt, in kindlicher Unschuld und Seligkeit. Er kann noch volle Stunden lang den Blumen in’s Antlitz schauen, auf des Baches Klang und der Käfer Summen lauschen; er kann im Grase liegen und müßig in’s Blaue blicken, kann wonnig schwärmen und träumen und verlangt Leser, die das Gleiche vermögen:

„Bist du nicht ein närrischer Wicht,
So lies auch meine Gedichte nicht!“

so schließt die Widmung an die Leser. Was die Gedichte dieser Gruppe charakterisirt, ist deshalb das überall durchbrechende Bewußtsein einer ursprünglichen Einheit zwischen dem Menschen und der Natur.

Doch je mehr der Geist sich seiner selbst bewußt wird, desto mehr tritt ihm, dem Ich, die Natur als Nichtich gegenüber. Prometheus hat’s gewagt, an dem beseligenden Strahl der Sterne seine Fackel anzuzünden – dafür liegt er gebannt auf dunklem Felsen, und der nimmersatte Geier frißt ihm täglich an dem ewig frischen Herzen. Noch schaut der blaue, heitere Himmel so mild wie sonst auf den Dichter hernieder, aber sein Auge strahlt nicht mehr die Milde wieder; denn sein Blick ist, wie seine Seele, trübe. Aus der Weltseligkeit ist Weltschmerz geworden. Zerrissen ist das Band, das Geist und Natur zu unbewußter Einheit ursprünglich verbunden hatte.

Aber diese Zerrissenheit ist nur der nothwendige Durchgangspunkt zu wirklicher Versöhnung. Wohl hat der Mensch in titanenhaftem Drange die Harmonie der Welten eigenwillig zerstört. Aber wo er zu zerstören wähnte, hat er, einer höheren Weltordnung folgend, nur neue Lebenskraft geweckt. Der Geist hat im Zwiespalte mit der Welt sich selbst als das Wahre, Göttliche erkannt und findet nun in der Natur sein eigenes göttliches Leben wieder. Das Gähren und Wogen im Schooße der Erde, der Kampf der tausend Kräfte, die an’s Licht dringen wollen, ist nichts als die Offenbarung des ewigen Wesens Gottes. So feiert denn der Dichter seinen Frühlingsgottesdienst:

„An’s Grün lehnt eure Wange! Ihr lehnt an seiner Brust.
In’s Blau schaut sonder Bange; Ihn grüßt ihr, tiefbewußt.

Ihr seid in seinem Herzen, wenn ihr nur in der Welt;
Sie ist ein Saal voll Kerzen, von seinem Sein erhellt.

O, flieht aus dumpfen Schranken in’s off’ne Gottesmeer!
Aufathmen die Gedanken; denn sie sind Er, nur Er!

Der Vorhang ist zerrissen, o seliges Geschick!
Des Weisen tiefstes Wissen ist nur ein Kindesblick,

Ein Blick in den Uralten der noch urjugendlich.
Ihn hab’ ich im Allwalten, und auch im Punkt, im Ich.

Im eigensten Gemüthe ruh ich ihm unverwandt,
Wie eine stille Blüthe in eines Kindes Hand.“


Wo der Mensch so den Geist als das Bleibende in allem Wechsel, als das Ewige in jeder Erscheinung gefunden hat, da sind die schneidendsten Gegensätze des Lebens versöhnt.

Wenn der Dichter diese Weltanschauung selbst als Pantheismus bezeichnet, so kann man das Zutreffende dieser Bezeichnung bestreiten. Eine Weltanschauung, bei der so entschieden, wie es bei Sallet geschieht, die Absolutheit des Geistes betont wird, ist keine pantheistische im wissenschaftlichen Sinne des Wortes. Doch mag uns diese Frage wenig kümmern.

Der Kernpunkt dieser Weltanschauung – das ist klar – ist der

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