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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 6.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


5.

Es war wieder Sonntag, der Tag, an welchem in Waltershofen immer ein Gedeck mehr aufgelegt wurde, bestimmt für den regelmäßigen Gast, den alten Freund des Hauses. Zuweilen nahm Meinhard schon, wenn die Familie aus der Kirche zurückkehrte, seinen Platz in der Kutsche ein, zuweilen, wenn noch irgend eine dringende Arbeit ihn aufhielt, kam er auch später erst noch knapp vor der erst in den Nachmittag fallenden Tischstunde, wie es sich eben fügte. Selten aber blieb er ganz aus – dann mußte schon ein ernstes Hinderniß eingetreten sein. Das war seit Jahren eine feststehende Gewohnheit geworden, die eigentlich schon aus der Zeit datirte, wo der Sohn des Verwalters, der damals noch die ökonomische Leitung in Händen hatte, Spielgenosse der Kinder des Gutsherrn war. Man hatte es auch später so gehalten, wenn die heranwachsenden Jünglinge zu den Ferien nach Hause kamen, und es war eine selbstverständliche Einrichtung geblieben, als eines Tages der fleißige junge Mann in Amt und Stellung trat. Auch die Unterbrechung, welche dann durch seine Versetzung herbeigeführt wurde, brachte sie nicht in Vergessenheit.

Diesmal war die Trennung eine längere gewesen, aber nach Jahren kehrte er, sei’s in Folge einer günstigen Fügung, sei’s, wie manche wissen wollten, auf seine eigene Verwendung, als Leiter in das Amt zurück, bei welchem er seine bureaukratische Laufbahn begonnen, und seitdem hatte er diesen Platz behauptet; er war nicht avancirt; fast schien es, als sei er höchsten Orts vergessen worden, obgleich ihm manches Lob und manche Ehre, ja selbst ein höherer Titel im Verlauf der Zeit zu Theil geworden war.

Die bequeme Nachbarschaft hatte die alte Jugendfreundschaft immer warm erhalten, und es gehörte fast zu den undenkbaren Ereignissen, daß Meinhard’s Stelle am Sonntagstische leer geblieben wäre. Den ersten Sonntag nach der Ankunft des Ehepaares war dies doch der Fall gewesen, ohne daß eine zeitweilige Abwesenheit von dem Städtchen dieses Ausbleiben erklärt hätte. Franz hatte das in seiner barschen Weise für eine „beleidigende Delicatesse“ erklärt und dafür Sorge getragen, daß sich dieselbe nicht wiederhole. Er werde seinen Gast todt oder lebendig an die Tafel liefern, versicherte er, und so war denn diesmal die ohnehin schon ansehnlich vergrößerte Tafelrunde wieder voll.

Dennoch herrschte heute nicht der reine, behagliche Ton, der sonst diese Mahlzeit immer zu einem kleinen Familienfeste machte. Meinhard, der nicht seinen gewohnten Platz, sondern den zwischen der Hausfrau und ihrer Mutter angewiesen erhalten, wurde fast ganz von der letzteren in Anspruch genommen und warf nur zuweilen forschende Blicke zu Hilda hinüber. Zu andrer Zeit das belebende Element, schwieg sie heute, war zerstreut, ja manchmal völlig abwesend. Frau von Reinach gehörte gleich ihrem Gatten nicht zu der redseligen Menschensorte, und so wurde denn die Unterhaltung hauptsächlich von Edwin geführt, mit dem sich übrigens Mimi ganz gern in die Kosten derselben zu theilen schien.

Die beiden jungen Leute wußten sich auch, als man nach Tisch im Salon den Kaffee trank, zu isoliren. Eines jener kleinen Kinderbillards, auf dem Glaskugeln die Elfenbeinbälle ersetzen, bot die günstigste Gelegenheit dazu, und als nachher Meinhard von dem Hausherrn um seine Meinung über eine projectirte Vergrößerung des Stalles befragt wurde und sich die beiden Schwägerinnen den Herren anschlossen, um die Frage an Ort und Stelle zu erörtern, da dachte Mimi gar nicht daran, gleichfalls mitzugehen, obwohl neben dem Ponygespann auch für zwei neue Reitpferde Unterkunft geschaffen werden sollte, von denen eines von der Stiefmutter zum Geschenk für sie bestimmt war.

„Glauben Sie, daß ich schwer reiten lernen werde?“ hatte sie ihren Mitspieler gefragt. „Ich habe solche Passion dafür, aber auch ein wenig Furcht.“

„Wirkliche Lust und Neigung überwindet alle Hindernisse.“

„Sind Sie davon überzeugt?“ Sie sah ihn dabei ein wenig sinnend an, das schalkhafte Lächeln aber siegte. „Dann muß die Neigung wohl noch nicht recht im Spiele bei Ihnen gewesen sein; denn Ihre Mama meint, Sie schreckten so leicht vor jedem Hindernisse zurück.“

„Es kommt einzig und allein auf das Ziel an, das zu erreichen ist. Stellen Sie mir einmal eine Aufgabe!“

„O, ich!“ lachte sie leise und wandte sich, um seinem feurig sprechenden Blicke nicht begegnen zu müssen, zu einem Spieltischchen in der Fensternische. Flink begann sie die Karten zu mischen und schob Edwin, der seinen Queue gleichfalls fortgelegt, ein zweites Paket zu.

Sie hatten sich einander gegenüber gesetzt, und zwar Edwin mit dem Rücken gegen das Sopha, in welchem seine Mutter, ihr Hündchen auf dem Schoße, zwischen Schlafen und Wachen nickte. Die Karten flogen von beiden Seiten in einer gewissen Reihenfolge auf einander.

„Ich werde mit den meinen früher fertig sein,“ triumphirte die Kleine. Sie wußte selbst nicht, warum sie am liebsten in einem fort gelacht hätte. „Da sehen Sie, wie es sich mit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_089.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)