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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Kohlensäure, das farblose, säuerlich schmeckende und durch das „kohlensaure Wasser“ populär gewordene Gas, zersetzen. Unsere Abbildung[1] (Nr. I) veranschaulicht uns in vierhundertfacher Vergrößerung reine Hefe-Arten, wie sie sich auf dem Wege der Knospung mit wunderbarer Schnelligkeit und in großen Mengen vermehren. Jedes dieser winzigen runden Gebilde ist ein Individuum, ein selbstständiges Wesen, welchem die Gelehrten den Namen Torula beigelegt und welches sie in die große Classe der Pilze eingereiht haben.

Dieses einzellige Wesen kann nun, entweder in Massen aufbewahrt oder einzeln mit anderen Staubtheilchen auf den Blättern und Früchten der Pflanzen liegend, lange Zeit hindurch in scheintodtem Ruhezustande verharren, erwacht aber zu einem schnell dahinfliegenden Leben, sobald es in zuckerhaltige Lösung gelangt, sobald wir es in den Most des Weines, in die Würze des Bieres oder in den Teig des Brodes hineinthun. Dann bewirkt es die Gährungserscheinungen in den genannten Flüssigkeiten sowie das Aufgehen des Teiges, und wenn der Most und die Würze gut sind und nur reine Hefe in ihnen als gewandter Chemiker schaltet und waltet, dann ist auch das Ergebniß ihrer Thätigkeit ein für den Menschen befriedigendes, ein reiner und gesunder Wein oder ein klares und wohlschmeckendes Bier.

Aber die winzige Bierhefe weiß auch von einer in der Natur gemeingültigen Thatsache zu erzählen, von dem schweren „Kampfe um’s Dasein“, der ja auch die mühevollen Werke der Völker und der einzelnen Menschen entweder verschlingt oder veredelt. Wie die um die Weltherrschaft streitenden Nationen, wie die großen Besitzer rauchender Fabrikschlote und die um ihr tägliches Brod schwer ringenden Tagelöhner, so hat auch die Hefe in ihrer dem gewöhnlichen Menschenauge unsichtbaren Welt gefährliche Concurrenten, welche sie manchmal erbarmungslos zu Grunde richten oder ihr sehr oft in’s Handwerk pfuschen. Es sind dies andere, gleichfalls mikroskopische Wesen, die auch in der Zuckerlösung ihr Fortkommen finden, bei ihrer Entwickelung aber aus dem Moste und der Bierwürze eine Flüssigkeit erzeugen, welche den Menschen im höchsten Grade anwidert; es sind dies die berüchtigten Fäulnißerreger und andere mikroskopische Pilzarten. Im gemeinen Staube ruhen ihre Verderben bringenden Keime, und durch den Wind aufgewirbelt, werden sie auf Geräthe, Rohstoffe u. dergl. der Brauereien übertragen, von denen sie in die Bierwürze gelangen, um in derselben ihre zerstörende Thätigkeit zu entfalten.

In diesem auf der untersten Stufe des organisirten Lebens tobenden Kampfe kann von der Macht der Intelligenz selbstverständlich keine Rede sein. Die Naturgeschichte weiß aus jenen Gebieten nichts von etwaigen Siegen zu berichten, welche kleine, gut geführte Heere gegen an Zahl überlegene Gegner errungen hätten. Nur die zur Entfaltung gelangende rohe Kraft giebt hier den Ausschlag.

Dieses Naturgesetz wußte der Bierbrauer schon seit undenklichen Zeiten, bevor die Wissenschaft es geahnt hatte, für sich auszunutzen. Nach vielen mißlungenen Versuchen fand er ein Verfahren, dessen Begründung er nicht zu geben verstand, dessen Ergebnisse aber ihn vollständig befriedigten.

Der Bierbrauer kochte die Würze und tödtete durch die Hitze, freilich ohne es zu wissen, die in derselben etwa vorhandenen Keime schädlicher, fäulnißerzeugender Wesen; instinctiv, könnte man fast sagen, kühlte er diese Würze hierauf möglichst rasch ab und beschleunigte die alkoholische Gährung, indem er in die abgekochte Flüssigkeit eine bedeutende Menge Hefe hineinthat und also das Eindringen schädlicher Organismen in größeren Mengen verhütete. Der winzigen Schaar der Fäulnißerreger, welche ihm die Würze verderben würden, setzte er eine Armee gesunder Hefezellen entgegen. Wenn aber nach längerem Gebrauche seine Hefe verunreinigt wurde und ihm schlechtes Bier lieferte, dann griff er zu dem bei seinem Stande geheiligten Brauche des Hefenwechsels; er warf seine untaugliche Hefe fort und entnahm frische und bessere von seinen Nachbarn.

Der Weinbauer, welcher ein der Brauerei verwandtes Gewerbe betreibt, indem er aus dem Safte der Rebe den feurigen Wein, ein gleichfalls durch Gährung entstandenes alkoholhaltiges Getränk, bereitet, braucht nicht zu allen diesen Vorsichtsmaßregeln seine Zuflucht zu nehmen. Zwar arbeitet auch für ihn die Hefe, aber der Most ist, dank seinem Gehalte an Weinsteinsäure, ein für die Entwickelung der Fäulnißerreger durchaus ungeeignetes Mittel und wie geschaffen für das beste Gedeihen der Hefe. Hier hat die Natur selbst die schützenden Grenzen gewissermaßen gezogen, und darum braucht der Weinfabrikant keine Hefe in seinen Most zu thun; denn schon die winzigen Mengen derselben, welche auf den Schalen der Weinbeeren vorhanden sind, genügen zur Hervorbringung der nöthigen Gährung.

Wohl würde auch die Bierwürze, sich selbst überlassen, nach einiger Zeit, ohne besonderes Hinzuthun von Hefe, in Gährung übergehen. Aber da ihre Zusammensetzung, verschieden von derjenigen des Weinmostes, auch die Entwickelung anderer Gährungserreger begünstigt, so würde aus dieser, sagen wir, freiwilligen Gährung im hundertsten Falle das hervorgehen, was wir Bier nennen; in der Regel würde aus der besten Würze eine saure oder faulige, ungenießbare Flüssigkeit entstehen.

Ohne seinen Feind von Angesicht zu kennen, schob ihm endlich der Bierbrauer noch in unserem Jahrhundert einen ferneren schwer zu durchbrechenden Riegel vor. Unsere Leser wissen, daß vor wenigen Jahrzehnten in dem biergesegneten Baiern eine bis dahin unbekannte Art von Bierbrauen erfunden wurde, die Herstellung der untergährigen oder sogenannten Lagerbiere. Früher bereitete man das Bier überall in der Weise, daß die Würze nach dem erfolgten Sieden auf etwa +20° C. abgekühlt und dann mit Hefe versetzt wurde. Unter der Einwirkung dieser nicht unbedeutenden Wärme geht die Gährung stürmisch vor sich; rasch vermehren sich die knospenden Zellen und entwickeln auf einmal bedeutende Mengen Kohlensäure, welche aus der Würze in kleinen Blasen in die Höhe steigt und die Hefe an die Oberfläche des Gefäßes mit sich fortreißt. Man nennt das also bereitete Bier obergähriges, und bekanntlich kann diese Sorte, ohne zu verderben, nicht lange aufbewahrt bleiben, sondern muß sofort dem Consum übergeben werden.[2]

Bei der neuen Bereitungsart wird dagegen die Würze mit Hülfe besonderer Eiskühler rasch bis auf +5° C. abgekühlt und erst dann die Hefe hineingethan. Die Kälte gestattet den Hefezellen nur ein verhältnißmäßig dürftiges Leben. Langsam geht die Gährung von Statten; spärlicher ist die Entwickelung der Kohlensäure, die in diesen geringen Mengen die Hefe nicht in die Höhe zu heben vermag und dieselbe sich auf dem Boden des Gefäßes ansammeln läßt.

Man nennt daher das auf diese Weise erzeugte Bier untergähriges, und dieses kann in kühler Temperatur als Lagerbier monatelang aufbewahrt bleiben und auf Eisenbahnen in Fässern und in Flaschen meilenweit verschickt werden, ohne besonderen Schaden zu erleiden.

Vergeblich hätte man den Erfinder dieser Braumethode darnach gefragt, warum sein untergähriges Bier sich widerstandsfähiger erweise, als das obergährige. Heute antwortet hierauf die Wissenschaft: In der kühlen oder gar kalten Temperatur von +5° C. sterben die Keime der Fäulnißerreger in der Regel ab, während die Hefe ihre Lebensfähigkeit noch beibehält. Das untergährige Bier ist daher freier von den gefährlichen Keimen, welche bei der Nachgährung das Bier sonst zu verändern und ungenießbar zu machen pflegen.

Auf diese Weise war es dem Bierbrauer gelungen, sich im Großen und Ganzen seiner unsichtbaren Feinde zu erwehren und vor ihren verwüstenden Einfällen sein Gebiet zu schützen. Aber er kannte nicht alle ihre Schliche und Wege, auf welchen sie in die Kufen, Fässer und Flaschen einzudringen wissen. Gelehrte waren es, die diese Feinde demaskirten und noch viele andere ihrer verborgenen Schandthaten an’s Tageslicht brachten. Aber die Wissenschaft mit ihrer Erklärung spielte hier nicht die Rolle eines hinkenden Boten, der dem praktischen Brauer mit seiner Nachricht nichts nutzte, sondern die eines guten Rathgebers, der ihn noch vor manchem Schaden zu bewahren im Stande ist.

Seitdem es nämlich festgestellt worden, daß jene mikroskopischen Wesen in der Mehrzahl der Fälle die nachtheiligen Veränderungen des Bieres während seiner Zubereitung und während seiner Aufbewahrung

  1. Die beiden diesem Artikel beigegebenen Holzschnitte wurden Pasteur’schen Lithographien nachgebildet. Wir entlehnen dieselben der in fachmännischen Kreisen wohlbekannten Zeitschrift „Der Bierbrauer“ (Halle, Wilhelm Knapp).
  2. Eine Ausnahme bilden hier stark mit Hopfen versetzte obergährige Biere, wie Porter etc., da der Hopfen durch seine antiseptischen (Fäulniß verhütenden) Eigenschaften die Entwickelung krankhafter Fermente zu hemmen pflegt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_082.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)