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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

dem wackeren Rossetummler, wenn er die lechzende Zunge an dem süßen Traubensafte des nächsten Weingartens labt, oder den knurrenden Magen mit dem Ueberflusse der Mais- oder Erdäpfelfelder befriedigt; nicht mit Unrecht bemerkte mein Hauswirth zu Kisberenyi meiner diesbezüglichen Kritik gegenüber:

„Belieben zu bedenken, bester Herr, wovon sollen die armen Kerle leben bei zwölf Gulden Jahreslohn nebst einer Remuneration von einem Paar Stiefeln für tadellose Dienstleistung?“

Die Grenzlinie solchen privilegirten Eingreifens in fremde Rechte ist aber feiner, als des Schwertes Schärfe. Und die Versuchung nahet den Steppenbewohnern nicht in dieser Gestalt allein.

Eines Tages wird dem noch jungen, unerfahrenen Csikos ein Stück von der Heerde weggestohlen.

„Gut, gut,“ sagt der Herr, dem er es gemeldet, mit mißtrauischem, finsterem Blicke; „doch merke: der Hirte, welcher sich Pferde stehlen läßt, verdient keinen Lohn.“

Zähneknirschend geht der Bursche von dannen; man hält ihn für einen Gelegenheitsmacher, einen Gehülfen der Roßdiebe. Von dieser Zeit ab ist kein verlaufenes Pferd mehr zu finden auf der Pußta, und von dieser Zeit ab trägt des jungen Csikos Mädel prächtig bunte Röcke, seidene Halstücher und sogar Geldmünzen in den Ohren. Da fällt beim Tanze ein schiefes Wort über solchen Luxus; es giebt Streit, ein gewaltiger Schlag mit dem Fokos schließt dem Gegner die Lippen – der Roßdieb ward zum Mörder. Noch in derselben Nacht verschwindet er, und mit ihm das beste Pferd seines Brodherrn, die anderen Tages erscheinenden Wächter des Gesetzes aber haben das Nachsehen. Zwar wissen Alle, wohin der Schuldige geflohen, auch die Diener der Gerechtigkeit; Jedermann kennt die verfallene, rauchgeschwärzte, scheinbar unbewohnte und unbewohnbare Csarda, aus welcher gleichwohl oft von Mitternacht bis zum Morgen Citherklang und wildes Jauchzen erschallt – doch, wer sticht gern ohne Noth in ein Wespennest? – Nach jener Csarda nahm der Mörder seinen Weg, gefoltert von Todesangst und Reue, doch feuriger Wein und feurige Mädchen thun ihre Schuldigkeit, und die aufgehende Sonne des nächsten Tages bescheint einen Räuber mehr im Ungarlande.

Ein anderer Fall führt zu gleichem Resultate. Ein so guter Soldat nämlich der Csikos vor dem Feinde ist, so schwer entschließt er sich, die weite Pußta mit der engen Caserne, das ungebundene Leben des Hirten mit der strengen Disciplin des Militärdienstes zu vertauschen. Bei solcher Unlust bedarf es nur noch eines Wortes aus dem Munde einer thörichten braunen Steppendirne, um die Wagschale zu Gunsten der Freiheit sinken zu lassen, einer Freiheit, die meist wieder über die Schwelle einer „einsamen Schenke“ und oft genug zum Hochgerichte führt.

Bedenkt man nun weiter, daß gerade die schärfste und scheinbar wirksamste Maßregel gegen das Ueberhandnehmen des Räuberunwesens, welche jeden den Verfehmten erwiesenen Dienst, jede Verheimlichung ihres Aufenthaltes, oder unterlassene Anzeige mit dem Tode bedroht, den Csikos gleichsam zwischen zwei Feuer bringt, so wird man zugeben, daß das Dasein dieser armen Burschen in der That einer Fahrt zwischen Scylla und Charybdis gleicht, und mit ziemlicher Sicherheit den Schluß ziehen, daß so lange es in Ungarn Pußten und Hirten giebt, auch die interessante Species der Räuber nicht aussterben dürfte.

Damit sei jedoch der vielfach verbreiteten extremen Ansicht, als stecke hinter jedem Csikos ein Bösewicht, keineswegs das Wort geredet, und ebenso wenig in Abrede gestellt, daß der Zauber der Steppenpoesie selbst über die düsteren Gestalten der vom Gesetze Geächteten den Schleier einer gewissen Romantik breitet.

Nein, es giebt noch der ehrlichen Leute genug in der Pußta, und der in die Nachtseite des Steppenlebens geworfene Blick soll uns die Freude an den kecken Reitern, wie das dieser Skizze beigegebene Bild sie uns zeigt, nicht verderben. Nur wer da weiß, was es sagen will, ein feuriges, sattel- und bügelloses Pferd mittelst eines oft nur nothdürftig aus einem Halfterstrick improvisirten Zaumes zu regieren, nur der wird die Gewandtheit dieser Reiter zu würdigen wissen; doppelt bewunderungswürdig aber erscheint dieselbe, weil der Reiter gleichzeitig ein so behendes Thier, wie es der Rohrwolf ist, mit der Wurfschlinge erfolgreich zu bekämpfen versteht.

In der That muß man, um die Möglichkeit solchen Reiterkunststückes überhaupt zu begreifen, vor allem die Art und Weise kennen, wie der Csikos mit seinem Pferde „einig“ wird, das heißt, wie er es anfängt, ein wildes, unbändiges Steppenroß in einen treuen, gehorsamen Gefährten umzuwandeln; diese Procedur ist allerdings wieder so „steppenmäßig“, daß der bloße Bericht für den Fernstehenden immer etwas wunderbar klingt.

Das Beste, was ich selbst von beiderlei Leistungen zu sagen weiß, verdanke ich dem schon erwähnten Pista, weshalb ich hier möglichst treu wiedergeben will, was ich an der Seite meines Gewährsmannes vernommen und erlebt.

Pista diente zur Zeit, als ich seine Bekanntschaft machte, auf der Pußta eines der reichsten Magnaten Ungarns und war mir vom Gutsdirector, dessen Gastfreundschaft ich genoß, für alle Fälle, in welchen mein Dienst die Begleitung verläßlicher Führer oder Pferde bedurfte, zugewiesen worden.

Eines Abends stand ich eben im Begriffe, nach vollbrachtem Tagewerke auf einem mir von Pista bereit gehaltenen Pferde von der Pußta heimzureiten, als zwei Männer auf flinken Rößlein dahergesprengt kamen, und Pista als ihrem Vorgesetzten die Meldung erstatteten, daß eben ein Füllen unweit der weidenden Heerde „angerissen“ worden sei.

Der Csikos strich sich fluchend den gleich Fühlhörnern emporstrebenden Schnurrbart.

„Kutya teremtete“, erwiderte er dann, „es ist bereits das zweite Füllen in dieser Woche; der gnädige Herr Graf wird uns für Betschwestern halten, die hinter jedem Wolf den Teufel wittern und für ihre arme Seele zittern ... und jetzt, nachdem die wilden Bestien einmal Blut geleckt, holen sie sich so sicher ihr Frühstück wie der Jude am Verfallstage sein Geld, aber drei Monate will ich die Spindel drehen und Wassersuppe essen, wenn ich den verdammten Leckermäulern diesmal nicht den Braten gründlich versalze.“ Und sich zu den beiden Männern wendend, fuhr er im Tone eines commandirenden Officiers fort: „Hurtig, Kinderchen, nehmt frische Pferde und reitet hinüber zum alten Farkas Iofi (Wolf Josef). Er darf nicht fehlen, wo es seinen Namensvettern an den Pelz geht; im Vorübergehen aber sagt dem Janos, dem Mihaly, und den beiden Fekete, sie mögen sich mit den Heerden beim Zigeunerbrunnen einfinden!“

Ich hatte längst den Wunsch gehegt, den Rohrwolf, den liebenswürdigen Vetter des mir schon bekannten Gebirgswolfes, zu Gesicht zu bekommen, daher ich Pista’s Einladung, zu diesem Ende die Nacht mit ihm unter freiem Himmel zuzubringen, mit Freuden annahm.

Während die Untergebenen des Letzteren sich beeilten, dem erhaltenen Befehle nachzukommen, legte dieser zwei Finger an den Mund und entlockte dem so construirten Naturinstrumente einen schrillen, weithin tönenden Pfiff, welchem alsbald ein lustiges Gewieher antwortete; zugleich näherte sich uns ein von dem dunkelgrauen, abendlichen Horizonte hell sich abhebender weißlicher Gegenstand, um sich in rascher Entwickelung als ein herrlicher Schimmelhengst zu entpuppen, welcher schnaubend vor dem Csikos anhielt und denselben mit den klugen großen Augen wie fragend anblickte. Obschon ein Feind jener übertriebenen Abgötterei, welche mit Pferden so häufig auf Kosten der Menschheit getrieben wird, war ich von der seltenen Schönheit dieses Thieres, dessen breite Brust, schlanker, langmähniger Hals und zierlicher Kopf die Bewunderung jedes Sportsmannes erregt hätten, wirklich entzückt.

Pista, welcher sich sofort auf den glatten Rücken des Hengstes geschwungen, hatte an meinen Lobeserhebungen so viel Freude, wie ein junges Mädchen an dem Lobe, das ihrer Balltoilette zu Theil geworden.

„Wahrlich, Herr,“ sagte er, „der Beifall, welchen Ihr dem Sandor spendet, ist für mich um so werthvoller, als mein gnädiger Graf ihn schon ausmustern und an den nächstbesten Pferdejuden losschlagen wollte. Der vierbeinige Schelm nämlich,“ erklärte Pista über mein Erstaunen, indem er die Richtung nach dem Zigeunerbrunnen einschlug, „zeigte noch vor Kurzem nicht die geringste Neigung, seinen Rücken von irgend Jemandem, wäre es auch ein Prinz gewesen, warm sitzen zu lassen, was einem vernünftigen Thiere zwar im Grunde nicht zu verargen, bei einem Reitpferde aber immerhin eine unangenehme Eigenschaft ist. Es hatten auch schon drei unserer besten Reiter sich vergeblich bemüht, dem störrigen Burschen das Unpassende seines Benehmens klar zu machen, und trug Einer derselben zum Lohne für seine guten Absichten sogar ein paar gebrochene Rippen davon, was übrigens – ich verwette meinen Kopf darauf – nicht die Absicht Sandors, sondern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_078.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)