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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 3.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)
3.

Mit der Heimkehr des jungen Ehepaares und den Gästen war reges Leben in Waltershofen eingezogen. Schon mehrere Tage waren seit ihrer Ankunft verflossen, und noch hatte Hilda nicht zur Ruhe kommen können. Zu ihren verschiedenen Obliegenheiten im Haushalte hatte sich nun noch die Obsorge für den so unangesagt gekommenen Besuch gesellt, dem gegenüber die Ehre des Hauses vertreten werden mußte, und Hilda, die nun schon so lange Jahre an der Seite ihres Bruders demselben vorstand, setzte ihren Stolz darein, auch das tadelsüchtigste Auge keinen Mangel gewahren und auch die verwöhntesten Wünsche nichts vermissen zu lassen.

Es war weniger die junge Frau, die für Alles ein freundliches und anerkennendes Wort hatte, welche dabei in Betracht kam, als vielmehr deren Mutter; die Art, wie sie sich um Alles bekümmerte, Erkundigungen über jegliche Angelegenheit einzog und über Dies und Jenes Bemerkungen fallen ließ, war eben nicht geeignet, ihr Hilda’s Zuneigung im Fluge zu erwerben, aber sie entschuldigte dieses „in die Töpfe gucken“ mit dem natürlichen Interesse, das eine Mutter für die künftige Heimath ihrer Tochter haben mag. Wer wollte es ihr da übel nehmen, wenn sie sich selbst von den Verhältnissen zu überzeugen suchte, mochte dies auch nicht immer gerade in der delicatesten Weise geschehen. Der Zärtlichkeit mußte man da gutschreiben, was an Zartgefühl dem Herzen gebrach, und Hilda besaß von diesem selbst zu viel, um nicht die Controlle der Schwiegermutter ihres Bruders geduldig zu ertragen.

Die alte Dame – obwohl erst im Beginne der Fünfziger, machte sie doch durch ihre Schwerfälligkeit diesen Eindruck – gab sich ungemein anspruchsvoll; vielleicht weniger, weil sie es wirklich von Haus aus war, als weil sie sich hier in der Fremde vor den Augen ihres Schwiegersohnes und seiner Familie dadurch einen besonders vornehmen Nimbus zu geben glaubte.

Es war Hilda recht wohl bekannt, daß jener frühere Gatte, mit dessen adeligem Namen Frau Rohrwek gleich bei der ersten Begegnung auf sie Eindruck zu machen gesucht, nur ein armer Hungerleider auf der letzten Stufe der Beamtenhierarchie gewesen, der das schöne Bürgerskind, das er geehelicht, nach seinem Tode in größter Noth zurückließ, sodaß der hülflosen Wittwe keine Wahl blieb, als ihr von einem älteren Manne Herz und Hand und der Mitgenuß eines ansehnlichen Vermögens angetragen wurde. War sie nun in dem ärmlichen Haushalte des kleinen Beamten nicht gerade verwöhnt worden, so mochten ihre späteren Verhältnisse, trotz aller Behäbigkeit, wohl auch kaum dazu angethan gewesen sein, ihr die Prätensionen anzuerziehen, mit denen sie hier die große Dame zu spielen versuchte.

Hilda ließ es sich nicht verdrießen, den Wünschen der Frau Rohrwek möglichst gerecht zu werden, und griff in ihrer energischen Art dort selbst mit ein, wo sich Liese und die andern, welche alle Frau Rohrwek noch neben der von ihrer Tochter mitgebrachten Jungfer zu beschäftigen und auf die Beine zu bringen verstand, keinen Rath mehr wußten.

So war es auch heute Morgen gegangen; Frau Rohrwek war nämlich auf den Einfall gerathen, einen Heizversuch in ihrem Zimmer anstellen zu lassen, und während sie sich ankleidete, war es dann der vollsaftigen Dame zu heiß geworden; Liese mußte die Fenster öffnen und Wasser auf das Feuer gießen. Als Hilda herbeikam, fand sie das Gemach voll Rauch und die Bewohnerin in einem Erstickungsanfalle. Sie hatte Mühe, dieselbe zunächst aus dem Zimmer zu schaffen, wo deren Hülferufe Allen die Köpfe verwirrte.

Es war bald wieder Ordnung geschafft, doch kam Hilda darob später zum Frühstückstisch hinab. Die Herren waren schon bei der Cigarre, und selbst die Unheilstifterin hatte über Kaffee und Kuchen den Schreck schon so ziemlich verwunden. Sie saß in ihrem bunten Cachemirschlafrocke mit aller Grandezza nur noch an der Tafel, um ihr Hündchen, das sie zärtlich auf dem Schooße hielt, mit den ausgewähltesten Bissen zu füttern.

„Was ist denn das mit dem Ofen?“ wurde die Eintretende von ihrem Bruder gefragt.

Sie war es so gewöhnt, ihm in allen Dingen Rechenschaft zu geben, daß sie zu anderer Zeit kaum Anstoß an diesem Ersatze für einen herzlichen „Guten Morgen“ genommen hätte. In Gegenwart der Fremden aber fühlte sie sich von dieser echt brüderlichen Nachlässigkeit ein wenig verletzt. Sie trug es still.

„Ein kleines Versehen,“ sagte sie ruhig. „Ich habe mich überzeugt, daß Alles in Ordnung ist; übrigens soll der Töpfer gerufen werden.“

Hilda ließ sich an ihrem Platze nieder, allein die Kannen standen nicht vor demselben wie gewöhnlich, sondern dort, wo ihre Schwägerin die letzten Tage gesessen hatte. Edwin reichte sie ihr, seine Zeitung im Stiche lassend, diensteifrig zu.

„Es thut mir leid, daß Albertine sich bemühen mußte,“ sagte sie leichthin.

„Es ist jedoch nur ihres Amtes und steht ihr ganz gut,“ meinte der Gutsherr und bewirkte dadurch ein überraschtes Aufblicken seiner Schwester.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_041.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)