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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Bauwerke müssen aus einander gehalten werden, wenn sie sich nicht gegenseitig beeinträchtigen und den Beschauer schließlich ganz confus machen sollen. Da sind die grünen Scheidewände gerade recht gut angebracht.

Die Architekten, welche Neu-Wien geschaffen, haben sich einen unvergänglichen Ruhm erworben. Gedenken wir zuerst pietätvoll der beiden dahingegangenen Meister Van der Nüll und Siccardsburg, der Erbauer des neuen Opernhauses! Gleichzeitig mit ihnen, wenn auch meist bei Privatbauten, wirkte Architekt Romano, der, als er für seine künstlerischen Verdienste auf der Ringstraße geadelt wurde, sich das hübsche, selbstbewußte Prädicat erwählte „Ritter vom Ring“. Wer hat nicht von dem weltbekannten Meister F. Schmid gehört, dem wackeren Dombaumeister, der durch die Bauhütte des Kölner Domes gegangen ist, ehe er das große Werk der Restauration des Stephansthurmes unternahm, um dann mit seinem neuen Rathhaus sich selbst und der kunstsinnigen Wiener Bürgerschaft ein gigantisches Denkmal zu setzen?

Anfänglich war man durchaus nicht allgemein damit einverstanden, daß die Burg unserer Bürgerschaft in gothischem Stil ausgeführt werde. Die Gothik taugt nicht für Profanbauten, und sie entspricht durchaus nicht unseren modernen bürgerlichen Baubedürfnissen – das waren die wichtigsten und die am häufigsten vorgebrachten Einwendungen, aber in dem Maße, wie der wuchtige und dabei doch zierliche Kolossalbau aus der Erde herauswuchs, wurden auch die Einwendungen und Nörgeleien seltener. Schmid hat sich seine Wiener erobert. Früher waren allerhand Scherze an der Tagesordnung; man machte Witze über den strengen Stil und schilderte, malte und zeichnete die Wiener Rathsherren und Rathsdiener in altdeutschen Gewändern, da sie doch unmöglich das Stilgefühl so verletzen könnten, um in diesem Gebäude in moderner bürgerlicher Tracht zu erscheinen. Aus dem Scherze wurde Ernst – ernste Bewunderung.

Wie die Italiener sich die strenge, nordische Gothik für ihren heitern Himmel zurecht zu legen, wie sie für ihre malerisch-decorativen Zwecke die nöthigen Wandflächen zu schaffen wußten, so hat es speciell Meister Schmid verstanden, die imposante Kirchengothik für einen monumentalen Profanbau umzugestalten. Das Rathhaus hat nichts Kirchliches an sich, trotz seines, allerdings noch nicht fertigen, den Mittelbau krönenden mächtigen Thurmes. Es repräsentirt vielmehr in außerordentlich prägnanter und stolzer Weise die Baufreudigkeit, den ganzen edlen, selbstbewußten Sinn einer deutschen Stadtväter-Genossenschaft. In fröhlicher, recht weltlicher Art wird der große Thurm auf beiden Seiten von je zwei bewimpelten, schlanken Thürmchen flankirt werden. Und der Bürger, dem auch diese Thürmchen keine genügende Aufheiterung bieten werden, der wird sich, ist er ja einmal von der Sorge der Berathung oder des Steuerzahlens im neuen schönen Hause gepackt, sicherlich in dem großartig angelegten Rathhauskeller seine schlechte Laune vom Halse schaffen können.

Der plastische Schmuck des Hauses ist echt deutsch; alle erdenklichen bürgerlichen Gewerbe sind durch charakteristische Statuen vertreten. Da ist nichts allegorisirt und nichts idealisirt; der Schuster ist ein wirklicher Schuster und der Maschinenbauer ein wirklicher Maschinenbauer. Der große Festsaal, so groß, daß in demselben beinahe eine Reiterschlacht geschlagen werden könnte, wird mit Deckengemälden von Makart geschmückt werden. Schmid hat versprochen, daß zu dem Jubelfeste Wiens im Jahre 1883 – zweihundert Jahre nach der letzten Türkenbelagerung – der Bau seiner Bestimmung wird übergeben werden, und was Schmid verspricht, das hält er.

Wer kennt ferner Meister Theophilus Hansen nicht, den nordischen Mann, der nicht nur Wien, sondern Hellas selbst mit seinen aus hellenischem Geiste geborenen Werken beschenkt? Wie Wien hat er auch Athen mit Monumentalbauten geschmückt, die seinen Namen auf die spätesten Geschlechter bringen werden. Um nur einige seiner Wiener Bauten zu nennen, seien die reizvolle protestantische Schule, das Musikvereinsgebäude, die Börse, der imposante Heinrichshof gegenüber der Oper und das Parlament genannt.

Wie Schmid die kirchliche Gothik, so hat Hansen bei dem letzterwähnten Baue den griechischen Tempelstil für unsere modernen Bedürfnisse umgewandelt. Ueber einer kühn geschwungenen Rampe thront ein mächtiger, säulengetragener griechischer Tempel als dominirender Mittelbau; an beiden Seiten, ihm untergeordnet, erblicken wir zwei kleinere Tempel, welchen ein rusticirtes Erdgeschoß gleichsam zum Sockel dient. Die Giebelfelder der Tempel zeigen reichen plastischen Schmuck, und die Rückseite des Baues entspricht bis auf die Rampe genau der Vorderseite. Die beiden anderen Seiten des großen Quadrats zeigen erst den griechischen Stil in seiner Anwendung für den modernen Palastbau.

Sie sind, so gut es eben thunlich war, organisch mit den Tempeln verbunden und ragen doch als zwei ziemlich selbstständige Bauten in die Höhe. Ihre Bedachung ist flach und läßt an den Ecken freien Spielraum für je eine Quadriga (Viergespann), deren Ausführung dem reichbegabten Bildhauer Pilz anvertraut ist. Im Ganzen werden acht von Siegesgöttinnen gelenkte Viergespanne, also zweiunddreißig monumentale Rosse das Gebäude krönen. Eine Quadriga ist bereits probeweise aufgestellt und läßt ahnen, wie wirkungsvoll dieser reiche Schmuck sich ausnehmen wird.

Hansen beabsichtigt, aus seinem Parlament ein wahrhaftiges goldenes Haus zu machen. Neben reicher vielfarbiger Verzierung will er auch Vergoldungen in großem Stile vornehmen. Es sollen die Giebelfelder, Friese, die Säulenfüße und Capitäler, Zahnschnitte und dergleichen mehr vergoldet, andere Bauglieder wieder mit prangendem Farbenschmuck versehen werden. Die parlamentarische Baucommission ist freilich für diese Pläne noch nicht gewonnen. Sie neigt vorläufig noch mehr zur „edlen Einfachheit“, wohl zumeist darum, weil diese entschieden billiger ist. Es würde in der That auch eine schwere Menge Goldes aufgehen, bis dieses gewaltige Gebäude seinen ausreichenden Goldschmuck angelegt hätte. Einstweilen hat es der große Baukünstler, dem der Schalk im Nacken sitzt, damit versucht, der Commission den Mund wässerig zu machen, indem er einen kleinen Theil des Gebäudes mit Farbe und Gold geschmückt hat. Vielleicht nützt es.

Glänzende Verdienste um Neu-Wien hat sich auch Ferstel mit seiner Votivkirche, der Universität und zahlreichen anderen Bauten erworben. Die Votivkirche darf wohl ohne Uebertreibung als der zierlichste gothische Riesenbau unseres Jahrhunderts bezeichnet werden. Den Anlaß zu dem Bau gab das verbrecherische Attentat jenes ungarischen Schneiders auf Kaiser Franz Josef den Ersten, und Erzherzog Max, der nachmalige unglückliche Kaiser von Mexico, war der erste Begründer des Baues. Fast ein Jüngling noch hat ihn Ferstel begonnen, und er hat die Freude, nun im kräftigsten Mannesalter sein Auge an dem fertigen Werke weiden zu können. Seine Universität ist in dem edlen, vornehmen Stile der toscanischen Frührenaissance gehalten. In glücklicher Weise wurde hier der Palaststil den speciellen Zwecken einer Hochschule dienstbar gemacht. Der Hof der Universität und ihre Bibliothek sind jetzt schon, bevor sie noch dem Publicum zugänglich sind, für Fachkreise wahre Berühmtheiten. Es giebt keinen Bau in Wien, der mit sympathischeren Blicken betrachtet würde, als gerade dieser.

Hufenauer, der Baumeister des neuen Burgtheaters und der designirte Leiter des Umbaues der Hofburg, hat sich mit seinen Museen den Wienern in’s Herz hineingebaut. Das Initialbildchen dieses Artikels zeigt uns eines der beiden Museen, die sich gegenüberstehen und sich vollkommen gleichen. Sie weisen die Spuren der formenfreudigen Hochrenaissance auf und werden, wenn erst die Hofburg aufgebaut sein wird, in schöner architektonischer Beziehung zu dieser stehen. Stolz ragen ihre mächtigen Kuppeln in die Höhe, auf ihnen die Kolossalstatuen des lichtspendenden Helios und der die Häupter erleuchtenden Minerva. Ein Kranz von Standbildern von Künstlern und Gelehrten aller Zeiten blickt von der Dachhöhe auf das Treiben der Menschlein da unten herab.

Wiedemans, eine jugendlich aufstrebende Kraft, hat sich mit seinem Justizpalaste, den er sich mit glücklichem Wurfe auf dem Concurrenzwege errungen, in die vorderste Reihe der Wiener Architekten gestellt. Er zeigt sich hier als geschmackvoller Eklektiker; die deutsche Renaissance waltet jedoch vor und drückt dem Ganzen ihr malerisches, reich gegliedertes Gepräge auf. Besonders erwähnt zu werden verdient es, daß dem Baumeister hier auch nicht annähernd so bedeutende Mittel zu Gebote standen, wie den übrigen Künstlern bei ihren Monumentalbauten. Um so anerkennenswerther ist die dennoch unleugbar vorhandene monumentale Wirkung, die der Künstler mit so geringen Mitteln zu erzielen gewußt hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_031.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)