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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

von Zesyma, geworfen hatte. Der hussitische Feldherr dachte nicht daran, den verhaßten Burgherrn zur Ergebung aufzufordern; Sturm und wieder Sturm war seine einzige Losung, da er die Burg für einen kleinen Stein im Wege erachtete, den er mit leichtem Fußstoße wegschleudern könne.

Aber vergebens rückten zu wiederholten Malen die siegesgewohnten hussitischen Schaaren gegen die Festungsmauern vor; der Schrecken ihres Namens raubte der Besatzung nicht den Muth zum Widerstande; Tage vergingen, und immer noch flatterte von den Zinnen der Burg Kamenitz das verhaßte Banner.

Vergebens wurde das Felsennest mit Steinwurfmaschinen und Donnerbüchsen beschossen; wohl waren die Außenwerke zerstört worden, wohl war die Zahl der Vertheidiger geschmolzen, aber die Wenigen, die der Tod verschonte, hielten den Schwur, einander treu zu bleiben, und stellten muthig ihre eigene Brust statt der gefallenen Bollwerke dem Feinde entgegen. Freilich war das Schicksal der Burg leicht vorauszusehen; früher oder später mußte die Uebermacht siegen, und manchmal stieg in Rosenberg’s Geiste der Gedanke auf, einen Ausfall zu wagen, den gerechten Durst nach Rache in Strömen feindlichen Blutes zu stillen und den hoffnungslosen Kampf durch einen glorreichen Tod zu beschließen. Jedesmal wies er aber den Gedanken zurück; hatte er doch seine älteste Tochter Agnes und vier jüngere Kinder zu sich auf die Burg genommen, für deren Freiheit und Ehre er allein zu sorgen und zu wachen hatte.

In einer finsteren verschwiegenen Nacht bemerkten die Wachtposten auf den Burgmauern ein eigenartiges Treiben in dem feindlichen Lager, welches auf einen Hauptsturm für den kommenden Morgen deutete. Die Warnung trog nicht, als der Tag zu dämmern begann.

„Der entsetzliche Prokop,“ erzählt unser Gewährsmann, „mit ungeschorenem Haupt, herabhängendem Knebelbart, kleinen gluthsprühenden Augen und Centaurenmuskeln, an der Spitze der Seinigen, suchte herausfordernd und drohend den verhaßten Zesyma zum letzten Streite.“ Die Besatzung begann ermüdet dem feindlichen Anprall zu weichen, und schon pflanzten mehrere Taboritische Streiter ihr Siegeszeichen jubelnd auf die Mauer. Da eilte der an einer anderen Stelle fechtende Burgherr herbei, stürzte die Kühnen hinunter und „trieb mitten im Gedränge, sein gutes Schwert in furchtbaren Kreisen schwingend, die vermeinten Sieger gleich einem Rudel scheuer Schafe vor sich her.“

Die Gefahr schien abgewendet zu sein; denn die Taboriten flohen ihrem Lager zu. Da entsendete ein feindlicher Schütze einen Pfeil von seiner Armbrust, und tödtlich getroffen sank Prokop von Zesyma „auf die Ringmauer hin, wie der Held auf den Schild, den er auch im Tode noch nicht lassen will. — — Angstvoll nach seiner geliebten ältesten Tochter, Agnes, rufend, hauchte er die starke Seele aus.“

Ein wilder Jubelschrei erscholl auf der feindlichen Linie; die aufgelösten Reihen schlossen sich wieder, und ein neuer Sturm begann. Die unerwartete Todespost brach den Muth der Besatzung, und wiederum neigte sich die schwankende Siegesschale dem Taboritenfürsten zu.

Da erschien Agnes plötzlich unter den zagenden Mannen. Die Sage schildert sie als eine Heldin mit behelmtem Haupte, von dem die langen goldenen Locken um Halsschiene und Brustharnisch wallten; mit den schönen Armen regierte sie, wie mit Zauberstäben, Schild und Schwert; sie glich einer Kriegsgöttin, zugleich anmuthstrahlend und furchtbar.

Der Anblick dieser heldenmüthigen Jungfrau wirkte so begeisternd auf die schwache Besatzung, daß selbst die Verwundeten sich wieder geheilt wähnten und auf den Mauern in Reih und Glied kämpften. Wiederum trieb das Häuflein Zesyma’s die Taboriten vor sich her, Agnes an seiner Spitze.

Diese übernahm von nun an die kriegerische Führung und schlug manchen Sturm zurück. „Die Heldin war nämlich überall,“ sagt unsere Quelle, „und überall,“ fügt sie originell hinzu, „schien die Gefahr zu fühlen, Agnes sei noch gefährlicher als sie, und — verschwand.“

Agnes von Zesyma sann jedoch auf kriegsgerechte Mittel zur Vertheidigung der Burg, an welche merkwürdiger Weise ihr im Kampfe erprobter Vater nicht gedacht hatte; denn inmitten der wilden Wetternacht sendete sie einen schlauen, aller Schliche und Wege kundigen Knecht durch des Feindes Lager an ihren Oheim, Meinhard von Neuhaus, und bat diesen um Hülfe. Der berühmte Feldherr rüstete auch sofort seine Mannen und zog zum Entsatze des bedrängten Kamenitz heran. Aber am Teiche Kalice kam ihm Prokop entgegen und trieb das Entsatzheer nach blutiger Schlacht in die Flucht.

Nachdem nun auch diese letzte Hoffnung auf auswärtige Hülfe geschwunden war, wurde die Lage der Heldin eine geradezu verzweifelte, und nun mußte ihr Muth die härteste Probe bestehen, indem sie der Versuchung ausgesetzt wurde, sich und die Ihrigen zu retten, aber dafür die Ehre ihrer Ueberzeugung preiszugeben.

Das Blutbad bei dem Teiche Kalice hat das innere Wüthen Prokop’s „etwas gestillt“. Ein Herold erscheint in den Trümmern von Kamenitz, und durch seinen Mund läßt der Taboritenfürst Agnesen freundlich entbieten:

„Ihres und der Ihrigen Leben solle geschont sein, wenn sie die Waffen strecke, die Burg öffne und sich — den Kelch reichen lasse.“

Mit edelstolzer Würde antwortet hierauf die Jungfrau:

Ein ruhmvoller Tod auf den Trümmern der väterlichen Burg sei ihrem geringsten Knechte lieber als Saus und Braus im taboritischen Heerlager. Sie vertraue auf Gott und überlasse die endliche Entscheidung den Waffen.

„Wohlan denn, so fallet, blutige Würfel!“ ruft hierauf Prokop, und wiederum wird die Burg beschossen und tagtäglich gestürmt. Da erhebt sich ob des fruchtlosen Kampfes ein lautes Murren unter den wetterharten Hussitenkriegern, und mit der Frische und Würde der alten römischen Historiker läßt unser Gewährsmann die Meuterer im feindlichen Lager also reden:

„Unsere Glaubensbrüder streifen in nahen und fernen Landen siegreich umher, überall reiche Beute machend. Wir aber liegen nun schon monatelang vor diesem Neste, das nur noch ein Steinhaufen ist, aber vor allem Zauber der Hölle beschützt wird. Arm und verspottet werden wir heimkehren. Uns, die wir mit unserem bloßen Namen die größten Heere geschlagen, die wir mit dem Schalle der Trommel von unseres blinden Ziska Haut Schrecken und Flucht in die Glieder weit überlegener Feinde gebracht — uns hat der Feldherr seinem Eigensinne geopfert; er hat den Frevel geübt, die Hölle selbst herauszufordern und mit jener Zauberin anzubinden. Wir, denen reiche Städte und glänzende Burgen ohne Zahl die stolzen Häupter gebeugt, verlieren nun den Ruhm zahlloser Siege an einen elenden Steinhaufen, an ein Weib. Pflicht ist es und Tugend, hier den Gehorsam aufzukünden und heimzukehren.“

In Folge dieser Gährung unter seinen Mannen sah sich Prokop genöthigt, der tapferen Burgherrin folgende Capitulationsbedingungen zu stellen: Agnes von Zesyma solle ihm die Schlüssel der Burg einhändigen und dafür mit ihrer Besatzung, an Ehren, Leben und Freiheit ungehindert, ziehen, wohin es ihr beliebe. Auf der Burg Kamenitz wurde dieses Anerbieten gern angenommen, und Agnes bedingte sich nur ein freies Geleite bis zu ihrem Oheim, Meinhard von Neuhaus, aus. Prokop ging auf diese Capitulation ein, legte betheuernd die Hand auf die Brust und nahm beschwörend den Kelch.

Am frühen Morgen des nächsten Tages wurde das Taboritenheer auf dem Abhange des Schloßhügels in Schlachtordnung aufgestellt, einen schimmernden Lanzenwald bildend. Seitwärts stand gesondert die Schaar, welche zum Geleite nach Neuhaus bestimmt war; in der Mitte, in düsterer Neugier, hoch auf seinem Kriegswagen, von Fahnen und Siegeskränzen umflattert, thronte Prokop, „ein Fürst der Hölle, der Mann des Schreckens und des Sieges“. Wild lärmte dazwischen die Kriegsmusik der böhmischen Spielleute.

Plötzlich verstummte auf ein Zeichen des Feldherrn das laute Treiben des siegreichen Heeres; dann thaten sich langsam die morschen Thore der Burg auf, und ein Trauerzug schritt feierlich über die Brücke dahin.

„Fünfzig Burgmannen,“ heißt es in der Schilderung des Auszuges aus der Burg, „waren noch übrig, alle mit Wunden bedeckt. In ihrer Mitte trugen sie die Leiche Prokop’s von Zesyma, offen, einen Siegeskranz auf dem Haupt, das bloße Schwert mit gekreuzten Armen an die Brust gedrückt; hinter der Bahre schritten, mit umflortem Helm und Schwert, den Blick zur Erde gesenkt, Agnes und ihre jüngeren Geschwister in tiefster Trauer. Die andere Hälfte der Besatzung schloß den Zug, der mit gesenkten Waffen, blaß, leidvoll, entschlossen – geisterähnlich daherschritt, leise und eintönig den Psalm des Todes und der Erbarmung betend.“

Das war also die Macht, welche der wüthenden Belagerung so lange getrotzt hatte. Ueberwältigt von diesem tragischen Anblick

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