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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

eine vollständige Oper auf: Naumann’s dreiactigen „Amphion“. Für das Concert selbst schrieb er wenig. Bemerkenswerth ist aber seine Instrumentation der Zelter’schen Ballade „Joh. Sebus“. In dieser Form wurde der alte verdiente Professor und Dirigent der Berliner Singakademie für das Gewandhaus möglich.

In die Schulz’sche Zeit fällt die einzige längere Unterbrechung, welche die Gewandhaus-Concerte erfahren haben; sie trat im October 1813 nach der großen Völkerschlacht bei Leipzig ein, und wurde durch die Nothwendigkeit der Verwendung der Gewandhaussäle zu Lazarethzwecken herbeigeführt; die einzigen öffentlichen Musikaufführungen, welche damals stattfanden, bestanden in zwei Wohlthätigkeits-Concerten, welche im Theater und in der Nicolai-Kirche im April und Mai 1814 unter der ausschließlichen Mitwirkung von Dilettanten abgehalten wurden. Im Jahre 1806 hatte man – nebenbei bemerkt – nach der Schlacht von Jena die Concerte ebenfalls fallen lassen, aber nach zwei Monaten schon wurden sie auf ausdrücklichen Wunsch des französischen Gouverneurs wieder eröffnet. Auch im October 1814 begann man sie wieder mit einer Erinnerungsfeier an die große Schlacht. Der Krieg zeigte seine Wirkungen auf das Institut dadurch, daß ein Theil der besten Orchestermitglieder weggezogen war und das Publicum nicht mehr die alte Theilnahme zeigte. Bald aber richtete sich Alles wieder ein, und schon im nächsten Jahre, wo der König das Concert besuchte, mußten Maßregeln gegen zu großen Andrang des Publicums getroffen werden. In diese Zeit fällt eine Aufführung vom ersten Finale der Zauberflöte mit italienischem Text. Man darf sich über diesen Mangel an deutschen Sängern nicht wundern; hatte man doch in Dresden sogar die „Jahreszeiten“ von Haydn in’s Italienische übersetzen müssen. Auch Mozart’s Sohn präsentirte sich in dieser Periode im Gewandhause durch ein Extraconcert. „Der Vater“ – wird berichtet, „spielte bei leerem Saale – der Sohn hatte ihn voll.“

Im Jahre 1825 spielte ein Knabe vor dem Publicum, der zehn Jahre später schon eine Stütze des Instituts wurde. Dies war der junge Ferdinand David aus Hamburg, der mit seiner Schwester Louise – der späteren Frau Dulken – zweimal im Extraconcert und dann im Neujahrsconcert auftrat.

Schicht starb im Jahre 1823, und schon vier Jahre später folgte ihm Schulz. Nun wählte man zum Dirigenten Christian August Pohlenz (geb. 1790 zu Sallgast in der Niederlausitz), der, wie Schulz, vom Studium, dem er in Leipzig oblag, zur Musik übergetreten war. Er war einer der Ersten, der mit Dilettanten in Leipzig Choraufführungen veranstaltete. Bei dem ersten Debut der Aufführung der „Schöpfung“ sang sein Freund, der berühmte Tenorist Gerstäcker, Vater des bekannten Reisenden, der Wachtel seiner Zeit und nebenbei ein gründlich musikalischer Sänger, die Tenorsoli. Pohlenz, der ganz besonders als Gesanglehrer geschätzt und dessen berühmte Schülerin Livia Gerhard war, sah sich am Gewandhause nur wenig vom Glück begünstigt, und schon 1835 wurde er durch einen Anderen ersetzt. Bevor wir uns aber zu diesem Nachfolger wenden, ist noch einiger kleinen Ereignisse zu gedenken, welche unter seiner Direction vorfielen. Da ist zunächst das erste Auftreten einer neunjährigen Pianistin zu erwähnen, welche „große Hoffnungen erregte“. Ihr Name war Clara Wieck – nachmals Clara Schumann. Sie spielte im Jahre 1828 zum ersten Male, und fünfzig Jahre später bereitete das Gewandhaus-Directorium ihr eine erhebende Jubiläumsfeier. – In einem Extraconcert jener Zeit begegnen wir allem Anscheine nach zum ersten Male einem großen Meister, der damals schon todt war: Franz Schubert’s Forellenquintett. Trauernd registriren wir, daß es „nicht gefiel“.

Das Jahr 1831 war das Jubiläumsjahr des fünfzigjährigen Bestehens der Gewandhaus-Concerte. Dasselbe wurde auch in aller Form gefeiert durch ein Festprogramm, welches der hochverdiente Rochlitz aus den nach seiner Meinung beliebtesten Compositionen der verschiedenen Perioden zusammengesetzt hatte. Dieses Jubiläumsjahr brachte auch einen wichtigen Geburtstag – nämlich den einer Ouverture von Richard Wagner. Letzterer, bekanntlich ein geborener Leipziger, war damals achtzehn Jahre alt und machte seine Studien beim Thomascantor Weinlig. Die Ouverture gefiel. Noch mehr aber eine Symphonie Wagner’s, welche im nächstfolgenden Jahre zur Aufführung kam und laut und mit verdientem Beifall begrüßt wurde. Der Redacteur, Magister Fink, schrieb über den später so berühmt gewordenen jungen Künstler: „Etwas Eigenes lebt in seiner Seele.“ Wagner’s Wege führten in der Folge vom Concertsaale weitab. Soweit möglich, ist aber auch dem Gewandhaus-Publicum immer Gelegenheit gegeben worden, dieselben zu verfolgen. Nach jener Symphonie vergehen allerdings zehn Jahre, ehe wir dem großen Componisten wieder in diesem Saale begegnen; denn erst im Jahre 1842 sangen in einem Extraconcerte Tichatschek und Frau Schröder-Devrient Nummern aus dem für Leipzig neuen „Rienzi“. Später sind mehrfach die Ouvertüren der Wagner’schen Musikdramen im Gewandhause aufgeführt worden. Die freundlichste Aufnahme aber von allen Compositionen des Meisters fanden die Fragmente aus „Lohengrin“, welche Rietz im Jahre 1853 vorführte.

Der Ersatzmann für Pohlenz in der Direction, auf welchen wir hindeuteten, war Felix Mendelssohn-Bartholdy, damals schon ein Liebling des Gewandhaus-Publicums; denn unter all den Arbeiten neuer junger Talente, welche in diesem Saale debütirten, von denen wir Wilhelm Taubert, Fr. Lachner – der allerdings etwas früher einzuschalten ist –, Otto Nicolai nennen wollen, machten die Mendelssohn’schen Werke den reinsten und gewinnendsten Eindruck. Seine „Sommernachtstraum“-Ouvertüre, die bald nach der Wagner’schen Symphonie im Armenconcert 1832 gegeben wurde, hatte geradezu bezaubert, wie man auch fand, daß die „Hebriden“-Ouvertüre, welche bald folgte, ein „herrliches Werk“ sei. Die künstlerischen Tonangeber in Leipzig hatten wohl erkannt, daß der gebildetste Kunstgeist jener Zeit in diesen Werken lebte, und waren von dem Wunsche beseelt, diese phänomenale Kraft an Leipzig zu fesseln. Ein Arrangement mit der Universität kam nicht zu Stande, aber das bereits so blühende Gewandhaus bot Mendelssohn einen Boden für seine Neigungen, und so folgte er denn einem Rufe an dieses Institut. Mit Mendelssohn-Bartholdy’s Antritt im Herbste 1835 beginnt die eigentliche Glanzepoche des Leipziger Gewandhauses. Die Leipziger hielten schon längst sehr viel von ihrem Gewandhaus-Orchester, aber seit Mendelssohn an der Spitze desselben stand, war es doch noch ein ganz anderes. Er brachte einen neuen Geist mit und – was wir nicht vergessen wollen – eine neue Directionsmethode. Bisher nämlich hatte der nominelle Musikdirector der Gewandhaus-Concerte, hatten die Hiller, Schicht, Schulz, Pohlenz mit den eigentlichen Hauptwerken der Programme, mit den reinen Orchestercompositionen gar nichts zu thun gehabt. Diese dirigirte der Concertmeister an seinem Pulte ungefähr so, wie wir es jetzt noch in Gartenconcerten, bei Tanzmusiken sehen, wo der Führer der Capelle mitgeigt und nur beim Wechsel des Tempo, bei schwierigen Einsätzen einzelner Instrumente mit dem Bogen vorübergehend einige Winke giebt. Dieses Verfahren war sogar schon in London seit fünfzehn Jahren abgeschaftt worden, und wie es sich in Leipzig so lange erhalten konnte, ist schwer zu begreifen; ja, durchaus erstaunlich liest es sich, daß das Leipziger Gewandhaus-Orchester unter solcher Direction auch ganz neue und schwere Werke wie Beethoven’s Chorphantasie mit einer einzigen Probe erledigen konnte. Selbst unter einem geringeren Künstler als Mendelssohn hätte die neue Directionsweise auf die Leistungen des Orchesters Wunder wirken müssen. Und sie that es augenscheinlich. Das Orchester folgte Mendelssohn’s Worten, als wären es Orakelsprüche. Unbedingt war seine Autorität und noch größer seine Liebenswürdigkeit. Er gewann Jeden, der ihm nahe trat, und er gewann ihn für’s Leben. Als Mendelssohn todt war, schon lange Jahre todt, kam es vor, daß Einer aus der Gesellschaft aufstand und fortging, weil er es nicht hören mochte, daß von Mendelssohn so schlecht gesprochen wurde.

Bald nachdem Mendelssohn seine Stellung angetreten hatte, starb Matthäi, der langjährige Concertmeister des Instituts, dem hauptsächlich das Verdienst zugeschrieben werden muß, die Quartettunterhaltungen der Gesellschaft in’s Leben gerufen zu haben, welche im Jahre 1809 begannen und im kleinen Saale abgehalten wurden – zwölf im Jahre. Ihre Zahl unterlag im Laufe der Zeit mancherlei Modificationen, bestanden haben sie aber ohne Unterbrechung, und ihre Gemeinde ist mehr und mehr gewachsen, sodaß sie in den großen Saal übersiedeln mußten, wo seit einer Reihe von Jahren nun schon allwinterlich acht abgehalten werden.

Matthäi’s Nachfolger wurde Mendelssohn’s Freund, der junge Ferdinand David, den man später mit Recht den „Musterconcertmeister“ nannte. Die unvergleichliche Elasticität, die Einheit und Genauigkeit des Streichorchesters im Leipziger Gewandhaus ist hauptsächlich sein Verdienst, ein Verdienst, welches er sich Mühe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_802.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)