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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Zur Fundamentlegung der beiden Granitthürme wurde das unseren Lesern bereits bekannte System der Taucherglocke angewandt (vergleiche Jahrgang 1880 , Nr. 18, den Artikel „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?“). Man baute zunächst an den Ufern des East-River zwei mächtige eiserne Glocken, welche an den Stellen, wo die Brückenthürme sich erheben sollten, versenkt wurden. Sechs Dampfmaschinen comprimirten unaufhörlich in denselben die atmosphärische Luft, welche das Wasser verdrängte und am Boden der Glocken den Meeresgrund trocken legte. Während nunmehr auf den oberen Theilen derselben, welche gleich Inseln aus dem Strome hervorragten, die Maurer Steine und Mörtel zubereiteten, gruben auf dem Boden Erdarbeiter, um den Meeresgrund zu nivelliren und ihn für die Legung der ersten Winkelsteine geeignet zu machen.

Es waren dies die größten Taucherglocken, welche jemals erbaut wurden. Jede derselben war 63 Meter lang und 31 Meter breit, und jede legte auf dem Meeresgrund 1,626 Quadratmeter Boden trocken, auf welchem geräumigen Platze tagtäglich 236 Menschen unter dem Luftdrucke von vier Atmosphären arbeiteten.

Diese gewaltige unterseeische Arbeitskammer wurde von 56 Gasflammen erleuchtet, und da das gewöhnliche Leuchtgas in der comprimirten Luft nicht gut brannte, so wurde den Brennern eine Mischung des Kohlenleuchtgases und reinen Sauerstoffs unter einem Luftdrucke von fünf Atmosphären zugeführt. Auch gab es in diesem künstlich mit Luft erfüllten Raume, in dem sonst die Fische des Oceans hin und her schwammen, sinnreich construirte Wasserleitungen, welche die Arbeiter mit trinkbarem Süßwasser versorgten, und selbst Waterclosets fehlten nicht.

Leider war es unmöglich, in diesem complicirten Bau jeden Unfall zu verhüten, und einmal entstand sogar ein Schadenfeuer in der Brooklyner Taucherglocke – ein Brand unter den Wellen des Atlantischen Oceans!

Endlich, im Monat August des Jahres 1876, ward der Bau der beiden Thürme fertig gestellt, und es begann der zweite Theil der mühseligen Arbeit, die Befestigung der vier Kabel an den beiden Thurmspitzen.

Ein eisernes Kabel, welches über ein Kilometer lang und eineinviertel Meter stark ist, würde man schwerlich vom Ufer auf die Thurmspitze heben können, und man sah sich daher genöthigt, die etwa 25,000 Stahldrähte, aus welchen die vier Kabel gebildet werden, einen nach dem andern an der ihm zugewiesenen Stelle zu befestigen.

Den ersten Draht versenkte man zunächst an dem einen Ufer auf den Meeresgrund und leitete ihn also vermittelst eines Fahrzeuges auf die gegenüberliegende Insel. Da bot sich wiederum eine unverhoffte Schwierigkeit, als man den Draht in die Höhe ziehen wollte. Der Schiffsverkehr auf dem East-River ist nämlich so belebt, daß die Stelle, an welcher man die eiserne Sehne, welche zum ersten Male New-York mit der „Stadt der Kirchen“ vereinigen sollte, heben wollte, zu keiner Zeit des Tages oder der Nacht nur wenige Augenblicke von Schiffen und Fähren frei ist. Erst am 14. August 1876 verkündete ein Kanonenschuß, daß kein Schiff für die nächsten Minuten zu erwarten sei; rasch wurde der Stahldraht in die Höhe gezogen, und nun schwebte frei in der Luft der erste Faden, um welchen das vielverschlungene Netz der eisernen Brücke gewoben werden sollte. Bald wurde mit Hülfe dieses ersten Drahtes ein zweiter von New-York nach Brooklyn hinübergezogen, und beide wurden zu einer Schnur ohne Ende zusammengebunden und auf Rollen gelegt. Jetzt zogen an diesen hochschwebenden Drähten die Arbeiter eine Menge Schnuren und Stahldrähte hinüber, welche an verschiedenen Punkten der Thürme befestigt wurden.

Nun bot sich dem Auge des Beschauers ein neues eigenartiges Schauspiel, grundverschieden von demjenigen, welches er früher unter den Wellen des East-River in den Taucherglocken beobachtet hatte. Nun sah man Arbeiter in kleinen Käfigen, die an den Stahldrähten in einer Höhe von 60 bis 80 Meter über dem Wasserspiegel hingen, sich hin und her bewegen und die Kabel zusammenlegen.

Die Befestigung des ersten Drahtes jedes Kabels mußte, den Plänen des Ingenieurs gemäß, mit mathematischer Genauigkeit erfolgen; man hatte nicht allein auf die Befestigungspunkte an den Thürmen, sondern auch auf die Spannung des Drahtes, auf die Krümmung des Bogens, welchen er in der Luft beschrieb, die sorgfältigste Rücksicht zu nehmen. Aber über dem East-River brausen in der Regel ziemlich starke Winde, deren Druck genügte, die Richtung des hängenden Drahtes zu verschieben, und wiederum mußte man wochenlang auf den windstillen Tag warten, an dem es möglich wäre, den ersten Kabeldraht regelrecht zu befestigen und die Curve, die er bilden sollte, genau auszumessen. Dies geschah erst am 29. Mai des Jahres 1877, und nachdem die Lage der Kabel einmal festgestellt worden, ging ihre endgültige Zusammenlegung rasch von Statten.

Wenden wir uns nunmehr der noch nicht vollendeten Brückenbahn zu, welche durch eiserne Träger an den Kabeln befestigt wird! Dieselbe schwebt in einer Höhe, welche in der Nähe der Thürme 36 Meter beträgt, gegen ihre Mitte dagegen den Wasserspiegel um 41 Meter überragt und auf diese Weise selbst den höchsten Schiffen freie Durchfahrt gewährt.

Die Zahl der Personen, welche jährlich zwischen Brooklyn und New-York verkehren, ist schon früher auf 70 Millionen veranschlagt worden, und diesem gewaltigen Menschenverkehre, zu dem noch der bedeutende Waarentransport hinzutritt, entsprechen auch die Dimensionen der Brücke. Ihre Breite steht der einer großstädtischen Hauptstraße nicht im Geringsten nach; denn sie beträgt 26 Meter. In ihrer Mitte läuft ein 4½ Meter breiter Trottoirweg für Fußgänger, welcher über die eigentliche Brückenbahn um 3 Meter erhöht ist. Zu beiden Seiten dieses Fußgängerdammes befinden sich je zwei Fahrwege für Fuhrwerke und je ein Eisenbahngleis.

Die beiden Brückenthürme sind, wie die stimmungsvolle Abbildung Cronau’s uns zeigt, auf der Höhe des Brückenbogens durchstochen, sodaß dort je zwei mächtige Hallen entstehen, durch welche unten die Fuhrwerke und Eisenbahnwaggons die Thürme passiren, während der Fußgängersteg an dem die Vorhalle trennenden Pfeiler sich so zu sagen spaltet und zu beiden Seiten desselben über dem unteren Fahrwege fortläuft.

Der Zugang zu dieser hohen Brücke wird an beiden Ufern durch massiv gemauerte Viaducte ermöglicht, die sich allmählich gegen das Land senken und in den Centren von Brooklyn und New-York münden.

Die Länge des New-Yorker Viaductes beträgt 470 Meter und die des Brooklyner nahe an 300 Meter, sodaß die Gesammtlänge des Brückenbaues mit seinen Zugängen sich auf 1825 Meter beläuft.

An den Mündungen der beiden Viaducte werden zwei Bahnhöfe errichtet, aber es sind keine gewöhnlichen Eisenbahnzüge mit Locomotiven, welche von hier aus die Brücke passiren sollen. Long-Island bleibt noch vorläufig dem Dampfroß unzugänglich, und erst, wenn die inzwischen projectirte feste Brücke mit eisernen Bogen von 224 Meter Spannung zwischen Brooklyn und New-York erbaut wird, erst dann wird die Locomotive vom Festlande aus in Brooklyn ihren siegreichen Einzug halten. Für den Verkehr auf der East-River-Hängebrücke hat man einstweilen eine Drahtseilbahn in Vorschlag gebracht. Durch eine feststehende Dampfmaschine sollen an einem Doppelkabel stets zwei Züge von je zehn Waggons auf der Brücke bewegt werden, von denen der eine von New-York nach Brooklyn, der andere in umgekehrter Richtung Passagiere befördern wird. Wir wissen augenblicklich nicht, ob man dieses Project fallen ließ und an die Stelle der Drahtseilbahn die viel praktischere, in Deutschland erfundene elektrische Eisenbahn zu bauen gedenkt. Ueber kurz oder lang dürfte dies jedoch der Fall sein; denn die East-River-Brücke eignet sich vorzüglich für diese neue Errungenschaft des Fortschritts.

Das ist nun in allgemeinen Zügen ein Bild des großartigen Baues, welcher voraussichtlich im nächsten Jahre dem öffentlichen Verkehre übergeben werden wird und dessen Errichtung nach unserer Währung über 60 Millionen Mark kosten soll. Aber nicht nur gerechtfertigtes Staunen ruft der Anblick dieses Riesenwerkes hervor, es zeugt auch in imposanter Weise von den bewunderungswürdigen Erfolgen, welche in unserm Jahrhundert die Energie der Forscher und Erfinder zu erringen wußte.

Eine schwankende Liane, deren Ranken der Sturmwind von dem Stamme eines Waldriesen an das gegenüberliegende Ufer eines tropischen Gewässers schleuderte, bildete die erste einfache, natürliche Hängebrücke.

Bald versuchte der Mensch dieses Vorbild der Natur nachzuahmen und fand in der Spinne seine Lehrmeisterin. So entstanden die primitiven Hängebrücken, welche wilde Völker aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_799.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2022)