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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 47.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


5.

Curt fuhr am nächsten Tage doch nicht gleich nach Demmin, Irgend eine heimliche Macht zwang ihn, auf etwas Anderes zu denken, was etwa geeignet war den Onkel wirksamer zu beeinflussen, als dies Herrn von Pannewitz gelungen. Der Jurist und Mann des strengen Gesetzes wurde plötzlich von Scrupeln der Weichherzigkeit geplagt, über die er sich gegen Anne-Marie so wegwerfend geäußert.

Er besann sich, daß der Landrath des Kreises, Herr von Wedel auf Bornitz, der Vorgesetzte des Onkels in dessen Eigenschaft als Ortsobrigkeit von Pelchow, ein alter Freund der Familie war. Zu diesem fuhr er, setzte ihm die Verhältnisse aus einander und bat um sein persönliches Eingreifen. Ihn müsse der Onkel anhören; ihm werde er auch glauben, wenn er ihm die Consequenzen seiner Halsstarrigkeit klar mache.

„Vielleicht, und sicher zum Vortheil des Gelingens, erinnern Sie ihn auch an das Schicksal meiner Cousine Lebzow, die er bei sich hat und für die er eine große Vorliebe empfindet.“

Herr von Wedel ließ anspannen und fuhr sofort mit Curt nach Pelchow, während Jochen mit dem Pelchower Fuhrwerk in Bornitz verblieb. Der Baron war ausgeritten, und man griff den ersten besten Mann auf, um ihn durch diesen auf den Hof bitten zu lassen. In der Zwischenzeit unterhielt sich der Landrath mit Anne-Marie.

Curt ging im Garten mit Beiden auf und ab, froh, daß die Wege meist zu schmal waren, als daß er auf einer Linie mit ihnen hätte gehen können. Nur zuweilen wandte der Landrath den Kopf ein wenig und zog ihn zu ein paar flüchtigen Bemerkungen heran. Es schien ihm, als seien Anne-Marien’s bittere Klagen, wie sehr dem Onkel der Wechsel der Verhältnisse auf dem Gute nahe gehen, an seine Adresse gerichtet, und einmal war’s ihm sogar, als hätte das braune Auge, welches ihr Profil ihm zeigte, mit raschem Seitenblicke sein Gesicht gestreift. Uebrigens hatte sie andere Toilette gemacht; das mattgrüne Kleid mit weißem Spitzenbesatze erschien für die ländliche Umgebung vielleicht etwas zu anspruchsvoll, aber es stand ihr gut.

Endlich ließ Hufschlag jenseits der Mauer die Ankunft des Barons vermuthen.

„Erlauben Sie mir, daß ich Sie zu ihm führe, Herr Landrath!“ sagte Anne-Marie hastig; „Sie müssen ohnehin durch mein Zimmer gehen. Onkel hat die seltsame Angewohnheit, durch’s Fenster zu steigen, und ist nicht zu bewegen, sich einen besondern Eingang herstellen zu lassen.“

„Das kenne ich von früher her, liebes Kind; damals war überhaupt nicht anders zu ihm zu gelangen. Auf Wiedersehen, Herr von Boddin – ich gehe wohl klüger ohne Sie. Ich hoffe das Beste.“

Der Baron war in sehr übler Laune angelangt; denn er ahnte den Zweck dieses Besuches. Er war inzwischen bereits durch sein Fenster gestiegen und empfing den Landrath mit mürrischem Gesichte, was dieser indeß nicht zu bemerken schien.

„Lieber Boddin,“ setzte er gemüthlich und doch theilnahmsvoll von einem Stuhle her aus einander, den er sich herangezogen, „hier hilft kein Zittern vor’m Frost; Sie haben die Wahl: entweder Sie überliefern Ihrem Neffen das Gut und bleiben in aller Gemüthsruhe hier, oder Sie lassen sich von der Polizei einsperren und vielleicht einen Theil Ihrer Leute mit, leben viel, viel kümmerlicher in einem kleinen Neste und ziehen das Geschick Ihrer liebenswürdigen Nichte mit in diese Misere hinein.“

„Das ist aber eine offenbare Ungerechtigkeit,“ murrte der alte Herr aufgeregt, und die kleinen wässerigen Augen sahen aus, als ob sie die Absicht hätten, auf den Landrath zu springen. „Das ist mein Gut, und ich hätte die verdammten Juden auch bezahlt. Und das will ich mit meinen Leuten schon zwingen, daß mich keine Polizei hier wegholt. Soldaten schicken sie mir doch wohl nicht her.“

„Warum nicht, lieber Freund? Die können Sie in drei Tagen hier haben, wenn Sie’s darauf ablegen.“

Der Alte brummte wie eine knurrende Dogge vor sich hin.

„Wie lange können sie mich denn einspunden?“

„Je nachdem, Bester; ein paar Monate, auch ein paar Jahre, wie Sie’s haben wollen. Machen Sie sich keine Flausen vor, und stellen Sie sich vor die nackte Thatsache!“

In finsterem Nachsinnen brach der Widerstand des Barons.

„Dann hol’s der Teufel! Meinetwegen will ich dem Kerl die Papiere alle geben, die ich habe; damit mag er machen was er Lust hat. Aber ärgern kann ich ihn doch, Landrath – wie?“

„Wenn Sie in den Grenzen des Gesetzes bleiben, ohne Zweifel. Ich rathe Ihnen indessen nicht dazu, alter Freund; denn es könnte Ihrem Neffen eines Tages einfallen, das Gut nicht nur allein bewirthschaften, sondern auch allein bewohnen zu wollen.“

„Das soll er nur thun; er soll seinen alten Vatersbruder nur aus seinem ererbten Hause ’rauswerfen! Muß ich ihm die Tagelöhner auch übergeben, Landrath?“

„Soweit sie in festem Contract zum Gut stehen und nicht

freie Arbeiter sind, ja. Ich denke aber, daß auch diese Arbeiter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_773.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)