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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

starr; dann zogen sich seine buschigen Brauen zornig zusammen, und er rief hastig: „Dürten!“

Im Corridor öffnete sich nebenan die Küchenthür, und der Baron trat einen Schritt zur Seite, um die Alte einzulassen.

„Was soll ich, Herr?“ antwortete diese draußen. „Mit der Suppe komm ich gleich.“

„Komm mal her, komm doch mal her! Was ist dies? Was heißt dies?“ Und er zog Dürten bei der Schulter herein und zeigte auf das an der linken Wand aufgeschlagene Bett, das noch nicht in Ordnung gebracht war.

„Je, Herr, da hat die Nacht der neue Administrator geschlafen.“

„In meiner Eßstube? Wer hat das angeordnet?“

„Das gnädige Fräulein, Herr! Er konnte ja nirgendwo anders unterkommen.“

„Das hat Anne-Marieken gethan? Nein, was ist das Kind unverständig!“ brummte der Baron milder. „Aber das sage ich Dir, Dürten: in dieser Stube esse ich keinen Bissen mehr. Wie werd’ ich mir hier den Appetit verderben, wo der Kerl seinen Nachtschlaf hält!“

„Je, Herr Baron, das müssen Sie mit dem Fräulein abmachen,“ meinte Dürten kurz. „Ich und der Radmacher, wir haben gethan, was sie uns geheißen hat. Wo soll denn sonst gegessen werden?“

„Schweig’, Dürten! Du sollst mir nicht immer widersprechen. Und jetzt bring’ meine Suppe auf meine Stube.“

„Wie kann ich denn da ’reinkommen? Durch das Fenster steig’ ich nicht.“

„Das brauchst Du auch nicht; ich will sie mir schon ’reinlangen. Und dann will ich mal mit Anne-Marieken reden, daß wir in ihrer Stube oder in meiner essen. – Was hat der Kerl hier zu schlafen? Der hätte auf dem Boden oben liegen können,“ fuhr er mit erneutem Zornesausbruch fort, und die welken, ein wenig über das umgeschlungene wollene Halstuch niederhängenden Wangen zitterten dabei. „Na, warte mir! Daß Du Dir nicht etwa einbildest, daß der mit uns ißt, Dürten!“

„Das kann mir gleich sein,“ sagte Dürten Schoritz und ging in die Küche, um die Mehlsuppe für den alten Herrn zu besorgen, welcher im Hinausgehen die Thür schallend in’s Schloß warf.

„Guten Morgen, Onkel!“ rief es aus dem Zimmer Anne-Marie’s neben der Küche. Der Baron blieb vor der offenen Thür stehen.

„Guten Morgen, Anne-Marieken! Das hast Du aber nicht gut gemacht, Döchting, daß Du die Teterower Pogge in der Eßstube hast schlafen lassen,“ sagte der alte Herr mit mildem Vorwurf. „Ich esse nun keinen Bissen in der Stube mehr. Nun wollen wir uns nur so einrichten, daß wir das erste Frühstück einzeln in unsern Stuben einnehmen Jeder für sich, indem daß es genirlich ist, wenn ich zu Dir kommen wollte oder Du zu mir, wenn noch nicht aufgeräumt ist. Aber das andere Essen wollen wir umschichtig bei Dir oder bei mir abhalten.“

„Aber Onkelchen, ich wußte ihn wirklich nicht anders unterzubringen,“ meinte Anne-Marie betroffen, welche am Spiegel die letzte Hand an ihre Toilette legte.

„Na, laß nur gut sein! Das schadet ja nichts, Adschüs, Döchting!“

Eine Viertelstunde später saß der Baron auf dem Pferde, und Anne-Marie stand neben ihm.

„Ich habe gehört, Döchting, daß die Pogge mit den grünen Handschuhen und den Gläsern vor den Augen draußen durch die Felder läuft, und nun will ich mal sehn ob ich ihr begegnen kann. Und übernimm Dich nicht mit dem Laufen, mein liebes Anne-Marieken! Setz’ Dich lieber ein bischen in den Garten! Du hinkst ja noch.“

Er nickte ihr zu, gab dem Pferde einen leichten Schlag und ritt fort, –

Curt von Boddin war zeitig aufgestanden; Dürten hatte ihm Kaffee schaffen müssen; dann hatte er begonnen, sich in den ihm völlig neuen Verhältnissen zu orientiren. Aus Dürten war nicht viel herauszubekommen. Desto mehr hatte er vom Radmacher erfahren

Vor Jahren, ehe das gnädige Fräulein als halbwüchsiges Ding auf den Hof gekommen sei, habe es da schauerlich ausgesehen. Die Strohdächer der Scheunen und Ställe wären seit langen Jahren nicht ausgebessert gewesen, die Thore und Thüren hätten nur halb noch in den Angeln gehangen. Auf dem Dache des Gutshauses habe sich kein ganzer Ziegel mehr befunden, sodaß in regnerischen Tagen das Wasser oft bis in die unteren Räume durch die vermorschte und verfaulte Dielung des Bodens gelaufen sei, während sich außen der Kalk vollends von den Wänden gelöst habe. Der Baron habe nur sein jetziges und das gegenwärtig von dem gnädigen Fräulein bewohnte Zimmer für sich benutzt; der ehemalige Salon auf der andern Seite der beiden Stuben sei den Knechten eingeräumt, die Zimmerverbindung nach dieser Seite vermauert worden. Die beiden Räume der Küche gegenüber hätten die Mägde und Dürten Schoritz eingenommen; das Eßzimmer habe als Rumpelkammer gedient. „Blos bei Dürten Schoritz war ein bischen Ordnung. In den andern Stuben hingen die Tapeten in lauter Fetzen herunter; manche hatten aus Zeug mit bunten Bildern und aus Leder bestanden – das schleppten die Leute aus dem Dorfe fort; was die Möbel anbetrifft – die kamen in die Rumpelkammer und wurden allmählich zerbrochen und verbrannt. Bei dem Herrn Baron durfte nie aufgeräumt werden; nur hinten herum hat es Dürten Schoritz fertig gebracht, daß er nicht ganz verkommen ist; denn wenn er was merkte, wurde er sehr grob. Draußen vor dem Hause lag alles voll Kalk und Auskehricht, und im Steinpflaster waren so tiefe Löcher, daß man Abends ohne Laterne in der Dunkelheit da kaum gehen konnte.“

„Kam denn Niemand aus der Nachbarschaft zum Besuch her?“ hatte Curt gefragt.

„Nein,“ lautete der Bescheid, „außer wenn Einer ein Geschäft beim Herrn Baron hatte, was nicht oft vorkam; denn die Geschäfte haben ihm fast immer zwei Demminer Juden besorgt, besonders der Wolfsohn, nämlich der David Wolfsohn, der sein Comptoir bei der Brücke hat.“

„Und seit Fräulein von Lebzow auf dem Hofe ist, hat sich das geändert?“

„Jawohl. Zuerst, als sie noch zwölf bis fünfzehn Jahre alt war, da ging das ganz langsam; denn dazumal war sie noch zu unverständig. Wie sie mit Fieken, ihrem Mädchen, was jetzt meine Frau ist, ankam, da hat ihr der Herr Baron das eine von seinen Zimmern abgegeben; denn er war ihr gleich sehr gut, und sie war auch ein sehr hübsches Ding und hatte so was Zuthunliches für den alten Herrn. Da hat nun mein Fieken Ordnung bei ihr gehalten. Und als sie größer wurde, da haben die drei Frauensleute, nämlich die zwei und Dürten Schoritz, ein Complot gemacht, daß nach und nach überhaupt Ordnung werden sollte. Das gnädige Fräulein hat immer die Schuld auf sich genommen, und der hat der alte Heer nichts sagen können, wenn sie so weich um ihn herum gegangen ist. Da haben sie denn das letzte Gerümpel hinten verkauft und das Eßzimmer eingerichtet, wo ich alles getischlert habe, und der alte Kalden im Dorfe, der als Maurer gelernt hat, der hat kalken und anstreichen müssen, immer wenn der alte Herr in der Umgegend auf der Jagd war, was manchmal acht und auch vierzehn Tage dauerte. Und seit der Zeit hält der alte Herr Baron viel mehr auf sich. Und als nun das gnädige Fräulein in Langsdorf confirmirt worden ist, da hat er die Frau von Pannewitz auf Branitz gebeten, welche dazumal nach Berlin gereist ist, daß sie ihr solle ein schönes Meublement für die Stube besorgen, was denn auch angekommen ist.“

Auf Curt’s Frage, ob sich denn sein Onkel überhaupt um die Wirtschaft gekümmert habe, hatte der Radmacher geantwortet:

„Das hat er wohl gethan; er war nur oft lange nicht zu Hause; dann hat immer der Statthalter nach dem Rechten gesehen, so gut er das gekonnt hat. Der alte Herr ist was wunderlich, aber ein guter Mann, ein viel zu guter Mann. Wenn er auf’s Feld hinaus reitet und welche beim Stehlen findet, dann kehrt er immer um, und als ich ihm einmal sagte, daß hinten an der Koppel eine Pappel nach der anderen umgehauen und zerhackt würde – was ihm selber wegen der schönen Bäume leid that – da sagte der alte Herr blos: Schweig nur still, Radmacher! Wenn die Leute das Holz nicht brauchten, dann würden sie die Pappeln wohl stehen lassen.“

Die verständige Art des Radmachers hatte Curt gefallen und als derselbe sein Anliegen wegen des gewünschten Stückchens Pachtacker vorgetragen, hatte er ihm dasselbe bewilligt, vorausgesetzt, daß sich nicht irgendwelche Hinderungsgründe ergeben würden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_743.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)