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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Wer sich so genau kennt wie wir, fühlt dem Andern natürlich nach, wenn Der mit Diesem oder Jenem nicht einverstanden ist. Ich glaube aber, sobald ich Dich bitte, Deine Wünsche in bestimmte Form zu fassen, wird es Dir zum Bewußtsein kommen – was Du eigentlich verlangst.“

„Worauf beziehst Du –“

„Nein, Else! Wir wollen von vornherein ehrlich zu Werke gehen. Du weißt genau, was ich meine – nun sprich Dich aus!“

Eine jähe Blutwelle flog bis in ihre Stirn empor, doch antwortete sie mit nur anfangs gepreßter, bald wieder freier Stimme:

„Kannst Du’s mir verdenken, daß ich mich an solchen Tagen wie heute schmerzlich nach Deiner Gegenwart sehne? Und dabei kommst Du gerade von dort immer verstimmt, trübe nach Hause; man wagt dann schon mit Nichts mehr lästig zu fallen. Richtig ist das unbedingt nicht.“

„Und das nicht Richtige läge blos an mir?“

Sie schlug die Augen unwillkürlich vor seinem Blicke nieder.

„Ich will zugeben, daß ich vielleicht viel fordere, Du hast mich aber verwöhnt. Auch könnte meine Forderung nichts Anderes beweisen, als –“

Sie stockte.

„Nun?“

Aufspringend rief sie:

„Das möchtest Du hören. Doch warum auch nicht? Ich sollte ja ehrlich sein: Es beweist einfach, daß ich Dich viel zu lieb habe.“

Sie ging mit raschen Schritten durch’s Zimmer.

„Wenn Du mich wirklich so lieb hättest –“

„Was dann?“ fragte sie, plötzlich stehen bleibend, in herausfordernder Weise. Förster machte jedoch eine Bewegung der Abwehr.

„Wozu an Unmögliches rühren?“ fragte er. „Du hast meinen Wunsch, Bestimmtes zu fordern, noch nicht erfüllt.“

Sie schwieg und nahm ihr Gehen wieder auf.

„Du siehst, wie Recht ich hatte. – Darf ich es Dir erleichtern?“

Von Neuem blieb sie stehen und sagte nur:

„Ich bin begierig, was Du mir andichten wirst.“

„Ich brauche nichts zu dichten; ich fühle deutlich, daß Du mir die Fahrten zu meinem Kinde, meinem armen Kinde – ich will ein mildes Wort wählen – verdenkst. Und das ist so unrecht. Ich meine, Du dürftest längst wissen, was Du mir bist, habe ich doch nie ein Hehl daraus gemacht. Um so eher müßtest Du die paar Stunden denen gönnen, denen ich einst ganz gehörte. Daß ich in der letzten Zeit öfters hingefahren und ernst zurückgekommen bin? Rudi war recht krank – ich habe Dir nichts davon gesagt, weil Du nicht darnach gefragt hast.“

„Er ist nun aber auf dem Wege der Besserung?“

Förster nickte.

„Hättest Du mir gesagt daß Rudi krank gewesen –“

„So wäre heute allerdings kein bitteres Wort gefallen, darum jedoch Dein Unbehagen über diese Fahrten, das ja lange vorher bestanden hat, nicht aufgehoben worden. Gebietet es aber nicht schon die einfache Pflicht, seine Mutter, sein Kind dann und wann wiederzusehen? Und gar ein Kind, das vor Sehnsucht ganz träumerisch geworden ist! Ich schränke die Besuche nun ja auf’s geringste Maß ein. Du wußtest auch, ehe Du mein wurdest, daß ich kein völlig freier Mann war.“

„Bernhard!“ sagte Else wie beschämt.

„Trotzdem,“ fuhr dieser fort, „begreife ich Deine Empfindung bis zu einer gewissen Grenze. Ja, wir haben Dich alle verwöhnt; man verwöhnt Dich ja so gern. Wie Du aber bereits eingesehen hast, daß ich neben Dir und dem Vergnügen noch die Leitung unserer großen Wirtschaft in der Hand zu behalten habe, so müßtest Du auch einsehen, daß wir Gefühle, welche die Natur in uns gelegt, niemals los werden können. Ich hoffte sogar, Du würdest es, wenn Du recht darüber dächtest, gar nicht wünschen: eines Menschen, der das vermöchte, wäre ja Niemand sicher. Nicht wahr, Du lässest mir meine Art? Wirst sogar versuchen mich zu versöhnen?“

Sie sah ihn an.

„Und versuchen, gerade Dein allerfreundlichstes Gesicht zu machen, wenn ich von dort komme? Es wäre mitunter nöthig.“ Else schüttelte den Kopf

„Das verspreche ich noch nicht,“ sagte sie, „aber ich danke Dir für das immerhin Gute und Liebe, was ich eben gehört habe. Fahre nur – ich will mich nun schon gewöhnen. Und das ist nicht schwer, wenn man glauben darf, nicht vergessen zu –“

Sie brach ab und horchte. Ihr eben noch lächelndes Gesicht bekam einen Zug der Sorge; nach der Thür des Schlafzimmers eilend, rief sie angstvoll:

„Hörst Du den Husten?“

Der Anfall war jedoch vorüber, als nun auch Förster an die Wiege trat, und bald schlief Role wieder einen gesunden Schlaf. Dieser Friede war im Burgsdorfer Schlosse.



7.

Einige Tage darauf – Förster war nach einem benachbarten Gute gefahren, um eine Probe lebender Bilder mit anzusehen, die man am silbernen Hochzeitsfeste eines Bruders von Hemmingen stellen wollte – saß Else nach ihrer Gewohnheit vor der Wiege ihres Lieblings und hatte eben die letzten Stiche an einer Stickerei gethan. Leise aufstehend ging sie an ein Fenster, brachte ihre Stickarbeit in’s volle Licht und schien mit herzlicher Befriedigung – ihr Gesicht nahm seinen kindlichsten Ausdruck an – prüfend auf die gestickten Mohnblüthen zu sehen, die wohl irgend eine innere Seite eines Notizbuches schmücken sollten. Bald wurden ihre Mienen aber gedankenvoller; sie legte die Stickerei fort und nahm wieder ihren vorigen Platz ein. Ein linder Luftzug strich aus dem geöffneten Fenster bis zu ihr hinüber; sorglich ließ sie noch den jenseitigen Vorhang der Wiege nieder; dann versank sie in ein Halbträumen.

Die ruhigen Atemzüge des Kindes störten sie nicht; ihre Empfindungen wurden immer traumhafter, immer unbestimmter. Zuletzt erfüllte sie nur das Gefühl tiefen Wohlseins, mit weicher Müdigkeit gemischt.

Da stieg auf einmal, mitten aus solchen behaglichen Empfindungen heraus und wie durch den Lufthauch zum Fenster hereingeweht – ein Gedanke in ihr auf, der ihr augenblicklich alles Träumen verscheuchte. Hastig schloß sie das Fenster; der eindringende Erdgeruch, so kräftig er war, wie gern sie ihn sonst gehabt, heute machte er sie frösteln – sonderbar: sie hatte an den Tod denken müssen – plötzlich, sie wußte nicht, warum. Solcher Gedanke war selbst in ihrer schweren Stunde nicht gekommen; was wollte der Gedanke jetzt? Sterben! Sterben müssen?

Sie schritt das Zimmer auf und ab, hob den Kopf, als hätte sie sich von Umstrickendem zu befreien, ging rascher, gleichsam ihre Kraft erprobend; dann setzte sie sich mit halbem Auflachen über ihr törichtes Gebahren von Neuem nieder.

Doch höchstes Lebensgefühl und Tod müssen irgendwie geheimnißvoll zusammen hängen – vielleicht weil sie Zwillingsbrüder sind?

„Thörichter Gedanke!“ sagte sie zu sich selbst, und mit unsagbar anmuthiger Bewegung streckte sie die Arme nach dem Kinde aus; ihre Lippen flüsterten Zärtlichkeiten. Nein! hier war sie nöthig, und Gott wäre grausam, könnte er jetzt, nachdem sie die schwere Stunde überwunden, welche ihr dieses Kleinod schenkte, könnte er jetzt noch die Mutter von dem Kinde nehmen. O, der Gedanke, der sich ihrer so sonderbar bemächtigt, hatte nichts weiter gesollt, als ihr einmal recht herzensnahe zu bringen, was sie besaß. Fühlt sich das doch niemals klarer, als wenn ein Fürchten Alles in Frage stellt.

„Gott kann aber grausam sein,“ dachte sie weiter, „wie viele junge Mütter sterben! Hat nicht vielleicht hier, in demselben Zimmer, auch die andere Mutter an der Wiege gesessen und solche Gedanken gehegt? Und sie mußte sterben.“

Eiskalt überlief es Else. Sie entsann sich nicht, gehört zu haben, daß die Kinder in diesem Zimmer geschlafen hätten. Wahrscheinlich aber!

Dämmerung hatte sich unterdessen in die Ecken gelagert – grau und breit, gleichwie von unheimlichen Behagens; der Wind mußte noch mehr abgenommen haben; denn nur wie Seufzen rann es die Fenster nieder; über den ganzen Raum war etwas Bedeckendes gebreitet; selbst des Kindes Atem schien schwerer zu gehen. Und es wurde kaum besser, als sie nun eine Lampe anzündete und dieselbe so stellte, daß ein matter Schein auf die Züge des Kindes fiel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_695.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)