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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

freute sich der schönen Rundschau; die Stimmung an der Tafel wurde eine gehobene; das anmuthige Bild des Flusses erheiterte die Gemüther und so dampften wir unter günstigen Vorzeichen für einen angenehmen Verlauf der Wisbyfahrt an der mecklenburgischen Küste entlang, Stralsund zu.

Heiter und durch nichts getrübt verging der erste Tag in See. Beim anbrechenden Morgen sahen wir in unmittelbarer Nähe vor uns die so überaus malerisch, schroff und steil dem Meere entsteigende Küste von Rügen, die unter der aufgehenden Sonne in wundervoller Beleuchtung strahlte. Wir nahmen directen Curs auf Stralsund und passirten um neuneinhalb Uhr das unverkennbare Spuren eines würdevollen Alters tragende Rammpfahlwerk seines Hafens.

Die alte Hansastadt trug ein Festkleid; Fahnen und Flaggen sah man allerwärts wehen, und die Straßen waren mit frischem Laub und Blumen bestreut. Von den ehrwürdig auf uns herniederschauenden Thürmen der St. Nicolai- und Marien-Kirche verkündete Geläute erhebende Freude und feierliche Feststimmung. Es war gerade der Wallensteins-Tag, welchen die Stralsunder jedes Jahr zu feiern pflegen, zum Andenken des am 24. Juli 1628 erfolgten Abmarsches der Wallenstein’schen Belagerungsarmee. Dem stolzen Friedländer, welcher unverrichteter Dinge abziehen mußte, blies damals der Stadttrompeter von dem Thurme des Rathhauses ein höhnisches Marschlied nach, und auch heute erklingen an genanntem Tage dieselben höhnenden Töne vom Thurme.[1]

Eine sternenhelle Nacht hatte uns hinüber nach dem felsigen Wikinger-Eilande, Bornholm, geführt, dessen hohe zerklüftete Ufer mit ihren phantastischen Formen die Monotonie der Meeresfläche unterbrachen und uns zuerst den Zauber der nordischen Natur erschlossen. Es war früh am Morgen, als wir uns dem Hafen des Hauptstädtchens Rönne näherten, wo bereits eine Reihe von siebenzehn Wagen, mit kleinen muthigen Pferden bespannt, unser zu einer Fahrt über die Insel Bornholm harrte. Männer von Rönne boten uns zu der Uebersiedelung auf die Wagen hülfreiche Hand. Was waren das für Gestalten, welche Nacken und Arme! In der That, die Nachkommen der alten Wikinger sind immer noch ihrer Vorfahren würdig, und man muß selbst in ihrem Lande gewesen sein, um ihre milden Augen, ihren sanften und doch wieder so urmännlichen, entschlossenen Gesichtsausdruck verstehen zu können. Unser Weg führte uns mitten durch das Städtchen. Ein wahres Bild des Friedens stellte Rönne dar mit seinen langen wohlgepflegten Straßen, seinen schmucklosen, von einfachem aber biederem Sinne ihrer Bewohner sprechenden Häusern, mit den hübschen Anpflanzungen schöner Linden und Ebereschen und mit seinen alten, ehrwürdigen Marktplätzen. Aber nicht immer hatte in diesen Straßen solche friedliche Stille geherrscht. Es gab auch Zeiten, wo Rönnes und ganz Bornholms Schicksal nur blutig entschieden werden konnte; die Geschichte des freundlichen Eilands erzählt herzerschütternde Gräuel.

An reichen Gemüsegärten und Obstbaumanlagen vorbei, wie mitten durch üppige Wiesen und wogende Kornfelder fuhren wir in westlicher Richtung unserem Ziele, dem Jons-Dorfe, zu. Wir erreichten es nach einer dreistündigen genußreichen Fahrt und wanderten zu Fuße nach der sogenannten Jons-Capelle, auf welcher der Sage nach ein Mönch Jon vor den heidnischen Bornholmern gepredigt haben soll. Sie bildet den Endpunkt eines mächtigen Amphitheaters von steilen Klippen, welche den nördlichen Theil von Bornholm begrenzen. Ein fast senkrechtes Treppengewinde führte uns an mächtigen uralten Sandstein- und Schieferfelsen hinab zu einem vorspringenden Felsen, der sogenannten „Kanzel“.

Bis zur schwindelnden Höhe erhoben sich um dieselbe herum die gewaltigen Felsmassen, von den schäumenden Wogen umbrandet, lothrecht aus dem Meere. Wilde Rosen und Kreuzdorngestrüpp wucherten in üppiger Fülle zwischen den tiefen Spalten des Jahrtausende alten Gesteins; ein Teppich reichen Epheugeranks bedeckte zum Theil seine schlüpfrigen Flächen, während über die Rinnen Wasser hinab in die Brandung tröpfelte, die zischend den gewaltigen Grundbau dieses Sinn und Gefühl befangenden Naturwerkes bespülte.

Ein höchst anmuthig freundliches Bild bot hier unsere Gesellschaft selbst dar, die sich behufs einer photographischen Aufnahme seitens eines fahrenden Künstlers in Reih’ und Glied aufstellte. Das nahm sich inmitten dieser grotesken Natur interessant, originell und heiter zugleich aus, und in frohester Stimmung traten wir den Rückweg nach unserem Schiffe an.

In früher Morgenstunde des folgenden Tages sahen wir im Oelander Sunde die Thürme von Calmar sich am Horizonte erheben, und nach Besichtigung der Stadt sowie des alten Schlosses, Calmar-Huus, steuerten wir nach der Küste von Oeland hinüber, an der uns der Hafen des durch seine Schloßruine berühmten Borgholm aufnahm. Man nennt dieses Schloß „das nordische Heidelberg“; heute bildet es aber nur einen gewaltigen Trümmerhaufen, auf welchem Gras, Sträucher und Bäume gar üppig wachsen.

Trüb und regnerisch brach der Morgen des 27. Juli an, aber trotzdem waren die Hansafahrer vollzählig auf dem Deck des „Heimdal“ erschienen; denn in mattem Frühlicht tauchte ein blauer Streifen Landes, die malerische Küste Gottlands, aus dem Meere empor. Dort lag Wisby, das Ziel unserer Reise. Das Emporblühen seiner Macht reicht in ferne Zeiten zurück, in denen – vielleicht schon gegen das Ende des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung – die deutschen Kaufleute den Hansabund zur Abwehr fürstlicher Anmaßung und ritterlicher Raublust begründeten. Die günstige Lage des Hafens bot den in der Ostsee von stürmischem Wetter überraschten Schiffen einen sicheren und leicht erreichbaren Schutz, und so ward die Stadt bald zum Vororte des deutschen Handels mit den an der Ostsee gelegenen Ländern. Von Wisby aus wurde auch die erste deutsche Handelscolonie im fernen Osten, der „Hof der Deutschen zu Naugard“ (dem jetziger Weliki-Nowgorod) in’s Leben gerufen, und bis in das vierzehnte Jahrhundert stand das „Siegel der deutschen Kaufleute, auf Gottland weilend“, in hohem Ansehen. Später begann Lübeck mit der Stadt um die Handelshegemonie zu wetteifern, und feindliche Uebermacht stürzte sie schließlich von ihrer Höhe in die Tiefen des Verfalls, aus dem sie sich nie wieder erhob.

Es war wiederum ein historischer Gedenktag, an dem wir die einstige stolze Metropole der Ostsee erblickten. Am 27. Juli des Jahres 1361 hatte nämlich der Dänenkönig Waldemar (Atterdag) der Vierte die Stadt erstürmt und geplündert. Damals nahm Dänemark den Anlauf, eine Großmacht des europäischen Nordens zu werden. Waldemar der Vierte mit dem Beinamen Atterdag („den andern Tag“ heißt das in deutscher Uebersetzung) überzog Schweden, unter dessen Botmäßigkeit Gottland stand, mit Krieg, und sein erster Angriff richtete sich gegen das reiche Wisby, welches damals etwa zwölftausend Kaufleuten in seinen Festungsmauern sichern Schutz gewährte.

Als Waldemar auf Gottland gelandet war, versuchten die Männer von Wisby, welche Schweden schmählich im Stiche ließ, ihr Glück in offener Feldschlacht, wurden aber auf’s Haupt geschlagen und verloren auch die Stadt nach einer kurzen Gegenwehr. Da ließ der Dänenkönig einen Theil der Mauer schleifen und hielt durch diese Bresche als Sieger seinen Einzug. An jenem Tage erlosch Wisby’s Stern für immer, und auch die Bresche in der Stadtmauer blieb bis auf den heutigen Tag, gleichsam als ein symbolisches Zeichen, daß die Macht der Hansastadt gewaltsam gebrochen sei.

Die riesigen Ruinen dieser gegen acht Meter hohen Mauer und ihre theilweise noch hochemporragenden Thürme fielen uns zunächst in’s Auge, bis allmählich, als wir uns dem Hafen näherten, die Stadt selbst, hart am Strande der See, sichtbar wurde.

Zur Rechten und Linken von ihr zog sich die sehr düster und kahl aussehende Kalksteindecke der Küste hin, während im Süden das wunderlich geformte, etwa fünfzig Meter hohe Felscap Högklint den Blick begrenzte. Im wehenden Flaggenschmuck fuhren wir in den Hafen ein, von brausenden Hurrahs der seit einer Stunde unser harrenden, Kopf an Kopf am Hafen stehenden Bevölkerung Wisbys – leider unter strömendem Regen – begrüßt.

Der herzlichste Empfang wurde uns hier zu Theil. Die in dem kleinen, 7000 Einwohner zählenden heutigen Wisby erscheinende „Gotlands Allehanda“ widmete uns an bevorzugtester Stelle einen langen Begrüßungsartikel unter der Ueberschrift „Die Deutschen, welche Gottland besuchen!“ und die aus der am Ufer dichtgedrängten Menge heraustretenden Herren im Frack und weißer Binde, die Spitzen der Stadt, sprachen uns im Namen Wisbys Gruß und Willkommen aus und boten sich uns dann zur Führung an.

Die dicht an dem Hafen liegenden Straßen bieten dem Auge


  1. Für manchen unserer Leser dürfte es interessant sein, zu erfahren, daß dieser historische Friedländer-Marsch unter dem Titel „Hohnblasen“ von R. Fischer für Clavier übertragen wurde und durch die Buch- und Musikalienhandlung von W. Bergholz in Stralsund zu beziehen ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_679.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)