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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


dem Schlosse Forthringham übergab Heinrich ist der größten Aufregung und Eifersucht seine Gemahlin dem Lieutenant der Wache, und Anna ahnte alsbald verzweiflungsvoll ihr blutiges Schicksal.

Das dieser Skizze im Holzschnitt beigegebene schöne Bild Piloty’s, welches die Unglückliche ihrem feindlichen Gatten in so ergreifender Situation gegenüberbringt, stellt diese historische Scene dar: Heinrich weist jede Selbstverteidigung Anna’s zurück.

Im Gefängniß fiel sie auf die Kniee und betete: Gott möge sie nur so gewiß selig machen, wie sie unschuldig wäre.

Von dort schrieb sie an den König:

„Euer Majestät wolle nicht glauben, daß Ihre arme Gemahlin sich je werde dahin bringen lassen, einen Fehler zu bekennen, an welchen sie nicht einmal gedacht hat. Wahrlich: niemals hat ein Fürst eine Gemahlin gehabt, welche in aller Pflicht und wahrer Liebe treuer gewesen, als Sie solche in Anna Boleyn besessen haben. Mit diesem Namen und Stande hätte ich mich gern begnügen wollen, wenn es Gott und Euer Majestät so gefallen hätte. Seit meiner Erhebung zur königlichen Würde habe ich nicht daran gezweifelt, daß ich ein Schicksal, wie es mich jetzt trifft, gewärtigen müsse; denn da meiner Erhebung nichts zu Grunde lag, als ein Einfall Euer Majestät, so mußte ich gefaßt sein, daß die geringste Veränderung hinreichen werde, diesen Einfall auf einen anderen Gegenstand zu lenken. Sie haben mich aus niedrigem Stande gewählt, Ihre Königin und Genossin zu sein, weit mehr, als ich verdiente oder verlangte. Wenn Sie mich solcher Ehre für würdig fanden, theurer, gnädiger König, so geben Sie nicht zu, daß eine nichtige Erfindung und Aufhetzung meiner Feinde mir diese königliche Gnade entwende, und lassen Sie diesen Flecken der Untreue nicht Ihrer gehorsamsten Gemahlin und der unmündigen Prinzessin, Ihrer Tochter, zur Schande anhaften! Lassen Sie mich gerichtlich verhören, theurer König, aber lassen Sie mich ein gesetzmäßiges Verhör haben und meine geschworenen Feinde nicht meine Ankläger und Richter zugleich sein! Dann mögen Sie sehen, wie entweder meine Unschuld dargethan – oder meine Schuld öffentlich erklärt wird, sodaß in allem, was Gott oder Sie über mich bestimmen, Euer Majestät von allem öffentlichen Tadel befreit und, falls mein Unrecht gesetzlich bewiesen wird, Euer Majestät Freiheit hätten, vor Gott und Menschen, nicht nur mich zu strafen, sondern auch Ihrer Neigung zu folgen, welche bereits an diejenige Person geknüpft ist, um deren willen ich mich jetzt in diesen Umständen befinde und deren Namen ich bereits geraume Zeit hätte nennen können, wie denn auch Euer Majestät mein Argwohn in dieser Beziehung nicht unbekannt ist. Wenn Sie aber über mich schon etwas verhängt haben, wenn nicht nur mein Tod, sondern auch schmähliche Nachrede Ihnen zum Genuß Ihrer begehrten Glückseligkeit helfen muß, so bitte ich Gott, daß er Ihnen Ihre große Sünde vergebe, gleicherweis meinen Feinden, welche zu ihr mithelfen, und daß er von Ihnen für Ihre unkönigliche und grausame Behandlung meiner Person an seinem allgemeinen Gerichtstage, an welchem wir beide bald erscheinen müssen und in dessen Entscheidung, wie ich nicht zweifle (möge die Welt denken, wie sie wolle), meine Unschuld offenbar werden wird, nicht allzu strenge Rechenschaft fordern möge.“

Zum Schluß bittet sie für die Unschuldigen, welche ihretwegen im Gefängniß schmachteten, in rührender Innigkeit, als des Königs „gehorsamste und ewig treue Gemahlin Anna Boleyn“.

Man sieht: sie hat den Muth, dem Könige seinen Vorwurf der Untreue zurückzugeben.

Die drei Leute aus ihrem Gefolge wurden verhört. Nur Smeton, in der Hoffnung sich zu retten, log sträflichen Umgang mit Anna. Sie wurden nebst einem Vierten, Weston, hingerichtet, ohne Beweise für ihre Schuld. Die Königin selbst und ihr Bruder wurden vor ein Gericht gestellt, bestehend aus dem Herzog von Suffolk, dem Marquis von Exeter, dem Grafen von Arundel und dem Herzog von Norfolk als Vorsitzenden. Man fand nichts Begründetes gegen Anna, und als Schuld ihres Bruders ergab sich nur die Thatsache, daß er sich einst vor einer Anzahl Zeugen an das Bett der Schwester gelehnt habe – nichts Sonderliches, wenn man weiß, wie die Sitte fürstlicher Personen, im Bett zu empfangen, in Frankreich sich sogar zum Bestandteil des Hofcermoniells ausbildete. Das Urtheil über Anna ward gefällt. Sie solle nach Gefallen des Königs entweder enthauptet oder verbrannt werden. Sie erhob die Hände und sprach mit nach oben gerichtetem Antlitz: „O Vater, o Schöpfer, der du der Weg, die Wahrheit und das Leben bist, du weißt, daß ich diesen Tod nicht verdient habe.“

Heinrich wollte sie noch tiefer vernichten. Das jugendliche Liebesverhäliniß zu Percy mußte herhalten. Ob zwischen ihm und Anna ein Ehecontract oder Eheversprechen bestanden? wurde er gefragt. Er leugnete es vor den beiden Erzbischöfen und nahm das Abendmahl darauf, in Gegenwart des Herzogs von Norfolk und anderer Räthe. Anna – es ist unsicher, ob mit besserem Gedächtniß als der Jugendgeliebte, oder in Folge der Drohung, im Leugnungsfalle die härtere Strafe leiden zu müssen – bekannte das Gegentheil. Ihres Todes war sie sicher. Noch einmal sandte sie eine Botschaft an den König, ihn ihrer Unschuld zu versichern, ihm ihre Tochter anzuempfehlen. Er habe sie aus einer adeligen Person zur Königin gemacht – höher habe er sie auf Erden nicht heben können; nun wolle er sie zu einer Heiligen im Himmel machen. – Sie äußerte keine Furcht vor dem Tode. In einem Gemach des Towers fand die Hinrichtung statt. Zuvor betete sie für den König, den sie einen gnädigen und wohlwollenden Fürsten nannte, welcher gegen sie stets ein guter und gnädiger König gewesen wäre. Sollte Jemand ihre Sache untersuchen, so bäte sie ihn, das Beste zu denken.

Der Scharfrichter von Calais führte den Streich; man hatte ihn kommen lassen, da er den Ruf größerer Geschicklichkeit vor seinen englischen Collegen voraus hatte. Anna’s Körper ward nachlässig in einen gemeinen Sarg von Ulmenholz gelegt und im Tower begraben. Dies geschah am 19. Mai 1536.

Am Tage nach der Hinrichtung vermählte sich Heinrich mit Johanna Seymour, und drei Wochen später erklärte das Parlament auf Grund ihres eigenen Bekenntnisses, die Ehe mit Anna sei nie rechtsgültig gewesen, ihr Kind außerehelicher Geburt und successionsunfähig. Es ist schmählich zu sehen, unter welchen speichelleckerischen Redewendungen und bombastischen Huldigungen gegen Heinrich dieser Beschluß gefaßt ward. Niemand bedachte, daß hiernach Anna des Ehebruchs gar nicht mehr beschuldigt werden konnte, daß Percy’s von Northumberland Ehe damit gleichfalls für ungültig erklärt war.

So endete diese geistvolle, anmuthige, interessante Frau, als Opfer eines tragischen Geschicks. Ihr ward eine glänzende Genugthuung in dem von der Geschichte gefällten Urheile wie in der Rolle, welche ihre Tochter Elisabeth auf dem englischen Throne gespielt hat.

B.




Aus vergangener Zeit.
Harmlose Plaudereien eines Alten.

Wir sind heutzutage ein schnellebiges Geschlecht. Das zeigt sich unter Anderem auch darin, daß die Jetztlebenden so wenig selbst von einer unweit rückwärts liegenden Vergangenheit wissen. Kaum daß von den Aelteren Einige (weitaus nicht Alle) sich dessen erinnern, was sie selbst früher erlebt, gethan oder gelitten. Und doch ist so manches, das im Schooße der Vergangenheit schläft, werth, in unserem Gedächtniß fortzuleben, zumal, wenn es vom Hauche edler Freiheit und jenem höhen Unabhängigkeitssinne durchweht ist, an den zu erinnern in Tagen der Reaction, wie wir sie heute durchleben, doppelt Pflicht ist.

Lassen Sie mich in der leichten Form einer „Plauderei“ ein paar lose Blätter dieser Vergangenheit wieder aufschlagen!

Ich versetze mich um fünfzig Jahre zurück. Ich war Student in dem romantischen Heidelberg, das damals noch viel romantischer war als jetzt, weil es noch nicht zu einer englischen Colonie geworden, sondern einen stillversteckten Winkel, ganz im Horazischen Sinne, bildete, traulich hineingeschmiegt in die Ausläufer des Odenwaldes und doch von seiner stolzen Schloßruine, von seinem Kaiserstuhle aus weite Aus- und Umblicke gewährend auf die herrliche Rheinebene bis hinüber zu den Vogesen und bis hinauf zum Donnersberg und zu den Gebirgen des Rheingaus.

Es war eine bewegte Zeit. Ein frischer Hauch war kurz vorher, nach langer Grabesstille, durch die deutschen Lande gegangen. Das freie Wort, lange gefesselt oder doch gedämpft, war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_667.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)