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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Heinrich war unglücklich. Er schrieb ihr einen Brief: er könne nicht glauben, daß sie nicht mehr an den Hof kommen wolle, aber Anna blieb fest – und Heinrich war nicht der Mann, auf etwas, was ihm am Herzen lag, in Resignation zu verzichten. Er setzte es endlich durch, daß Anna an den Hof zurückkehrte. Indessen sprach man bald bei Hofe von nichts, als den glänzenden Aussichten der Anna, und den Feinden des Cardinals lachte das Herz vor Vergnügen.

Aus der Liebelei, die der Cardinal begünstigt, war ein für ihn sehr bedenklicher Ernst geworden. Er beschwor den König kniefällig, „ein bis zwei Stunden“, wie er selbst erzählt, den Gedanken aufzugeben. Umsonst! Mit Entsetzen berichtete er dem Papst, daß eine junge Dame, welche von der Königin von Navarra erzogen und folglich von der Luther’schen Ketzerei angesteckt sei, das Herz des Königs gewonnen habe. Es blieb ihm nur die Hoffnung auf Intriguen – denn die Scheidung mußte er mit Rom weiter verhandeln.

Inzwischen wurde Anna allmählich umgestimmt. Heinrich schrieb ihr einen rührenden Brief nach dem anderen, und einer derselben schließt:

„Auch bitte ich Euch, daß, wenn ich Euch jemals beleidigt habe, Ihr mir ebenso vergeben möget, wie Ihr mich darum bittet, und versichere Euch zugleich, daß mein Herz in Zukunft Euch allein gehören wird, und ich wünsche sehr, daß es auch mein Leib könnte, wie Gott es fügen kann, wenn es ihm gefällt, zu dem ich jeden Tag einmal darum flehe, in der Hoffnung, daß mein Gebet mit der Zeit Erhörung finden werde. Möchte es bald kommen! Die Zeit dünkt mich lange. Auf Wiedersehen! Geschrieben von der Hand des Schreibers, der mit Herz und Leib und Willen Euer ergebener und ganz getreuer Diener ist. H. T. rex.

Bei der Unterschrift steht die Zeichnung eines Herzens mit den Buchstaben A. B. darin, links die Worte: „Nichts als“, rechts: „sucht H. T.“ - „Nichts als Anna Boleyn’s Herz sucht Heinrich Tudor“ heißt das Ganze.

Eines Tages erklärte Anna: „Sobald der König frei ist, will ich ihm meine Hand nicht mehr vorenthalten.“

Damit war das Schicksal Katharinens besiegelt.

Um diese Zeit brach die furchtbare Schweißfieberseuche in England aus. Der König nahm in einem Anfall von Gewissensbissen die Königin zu sich und ging nach Waltham, Hemsden, von Ort zu Ort, jedesmal den Aufenthalt wechselnd, sobald der Tod in seine Umgebung hineingriff. Zuletzt schloß er sich in einen einzeln stehenden Thurm ein, mit der Königin versöhnt. Das geschah im Sommer 1528.

Die Seuche ließ endlich nach; der Hof sammelte sich wieder, und der wankelmütige Heinrich brachte neues Feuer in die Scheidungsverhandlungen; er berief eine Notablenversammlung, welcher er die Scheidungsgründe plausibel zu machen suchte – er soll sogar mit Todesdrohungen geschlossen haben.

Inzwischen bezog Anna königlich eingerichtete Gemächer im Schlosse und erhielt ihren Hofstaat so gut wie die Königin. Dabei lebten die beiden Frauen äußerlich auf gutem Fuße zusammen. Anna’s Einfluß machte sich in manchen Fragen geltend – die Alleinherrschaft Wolsey’s begann zu schwanken. Sie führte in der That, wie dieser gefürchtet, reformatorische Elemente dem Könige nahe, wenngleich sie ein kirchliches Interesse nicht hatte, und die politischen Combinationen brachten es mit sich, daß bald auch die Volksstimmung sich dem Bruch mit dem Papstthum zuneigte.

Die Proceßverhandlungen wurden fortgesetzt, aber die Unklugheit des Papstes, welcher das Scheidungsgericht nach Rom verlegte und Heinrich zu einem Termine dorthin lud, widrigenfalls er zehntausend Ducaten Buße zu zahlen habe, schlug dem Fasse den Boden aus. Wolsey’s Sturz war die nächste Folge – er starb bald darauf. Die weitere Folge war Heinrich’s Entschluß, England von der geistlichen Jurisdiction Roms loszureißen.

Er hatte jetzt in der Ehescheidungsfrage freie Hand, legte die Gutachten, welche er längst von Theologen und Universitäten erhalten hatte und die sich gegen die Dispensbulle des Papstes Julius des Zweiten erklärten, dem erzbischöflichen Gerichte zu Canterbury vor und ließ seine erste Ehe annuliren. Für Katharina blieb nur der Titel einer Prinzessin-Wittwe.

Zu Anfang des Jahres 1533 fand in aller Stille die Vermählung Heinrich’s mit Anna Boleyn statt, nach Fällung des Spruchs über Katharina auch die Krönung der neuen Königin. Es war am Donnerstag nach Pfingsten – da erschien der Lordmayor nebst den Gewerken von London, um sie abzuholen. Ein Prachtgeschwader von Barken geleitete sie; bunt wehten die Wimpel und Flaggen; die Musik spielte festliche Weisen. Die Kanonen des Tower begrüßten die junge Fürstin, der Alles huldigte. Am folgenden Sonnabend zog sie, von achtzehn neugebackenen Rittern des Bathordens in vollem Schmuck und einem großen Theile des Adels geleitet, durch die City nach Westminster. Zwischen Rossen edelster Art hing ein prachtvolles Ruhebett; darauf lag Anna Boleyn, unbedeckten Haares, liebreizend und glücklich, über sich einen Baldachin, welchen die Barone der fünf Häfen trugen. Am Sonntage läuteten die Glocken der alten Abtei; der Erzbischof von Canterbury, sechs Bischöfe und der Abt von Westminster mit zwölf andern Aebten führten die in Purpur Gekleidete zur Kirche; der Herzog von Suffolk trug die Krone vor ihr her; ihre Damen folgten in Scharlach. Als der Erzbischof ihr die Krone aufgesetzt, grüßte sie ein Sturm von Huldigungen.

Anna trug bereits ein Kind unter dem Herzen; nicht den Thronerben, auf den Alles wartete, sondern eine Tochter. Aber diese Tochter hieß nachmals Elisabeth, Königin von England.

Der Papst antwortete mit der Cassierung des erzbischöflichen Urtheils, und die Cardinäle erklärten in einer Gerichtssitzung die Ehe mit Katharina für rechtsbeständig. Das Parlament aber faßte den Beschluß, daß die Thronfolge der Anna Boleyn gebühren solle, selbst wenn sie eine Tochter gebären würde.

In kirchlichen Reformversuchen und der Bekämpfung der sich aus der entstehenden Gäherung heraushebenden Opposition vergingen zwei Jahre. – –

Das so glänzend aufgegangene Gestirn von Anna Boleyn neigte rasch zum Niedergange. Heinrich hatte seinen Willen durchgesetzt, wie er immer that, aber vielleicht gerade, weil es einer solchen Anspannung aller Kräfte bedurft hatte, Anna zu erringen, war die Ermattung, die in Heinrich’s Verhältniß zu ihr eintrat, um so tiefer und plötzlicher. Schon bald nach ihrer Krönung, im November 1533, läßt er Unzufriedenheit mit ihr durchblicken. Es ist psychologisch begreiflich, daß der Verdruß über die Art, wie sie ihm den Weg zu sich erschwert, nachträglich die souveraine, sonst durch jedes Hinderniß in Wuth gebrachte Natur Heinrich’s gegen sie verbittert hat.

Daß sie nicht fest blieb, daß sie auf die Heirath mit Heinrich einging, statt ihn dauernd abzuweisen, war ihre echt tragische Schuld, an welcher sie überraschend schnell zu Grunde gehen sollte. Ein gewisser Eigensinn, der sich neben dem autokratischen Gatten behaupten wollte, eine kokette Ader, die sich unbekümmert geltend machte, kam hinzu; haarsträubende Erfindungen der Eifersucht und neidisch-gehässiger Zuträgerei sind es, die Heinrich ihr nachher schuld gab. Vielleicht bot sie Veranlassung zu diesen Beschuldigungen der Untreue, indem sie absichtlich seine Eifersucht erregte, um ihn zu fesseln; denn sie selber war beständig von Eifersucht gequält, zuletzt im höchsten Maße jener Johanna Seymour gegenüber, welche ihre Nachfolgerin werden sollte. Schlimm für sie war es, daß sie mit einem Fuß im Parteigetriebe stand: ihre protestantischen Neigungen trugen ihr die Feindschaft einer ganzen Partei ein und von dem, was Heinrich durch Anknüpfen an den Protestantismus Unangenehmes erfuhr, fiel wohl auch ein Schatten auf sie.

Es ist Thatsache, daß die Stimmung Heinrich’s gegen Anna immer erbitterter ward, wie daß sie selbst endlich in einen Zustand der Aufregung gerieth, welcher an Wahnsinn streifte. Sie gebar noch einen Sohn – todt; ihrer Verzweiflung über Heinrich’s Verhältniß zur Seymour gab sie die Schuld an diesem Ausgang ihrer Hoffnung.

Bei einem Turnier zu Greenwich, Anfangs Mai 1536, fiel das Taschentuch der Königin über die Logenbrüstung hinab. Heinrich, bei welchem das Maß eifersüchtigen Grolles voll war, wurde darauf aufmerksam gemacht. Bleich und finster verließ er den Platz und gab Befehl, drei Personen aus der Umgebung der Königin, Norris, Brereton und Smeton, sowie ihren Bruder, den Herzog von Rochford, gefänglich einzuziehen. Der König war überzeugt, daß Anna das Taschentuch geworfen, um einem ihrer Liebhaber ein Zeichen zu geben; die drei Vertrauten waren ihm längst als in sträflichem Umgang mit der Königin stehend verdächtigt, den Herzog aber hatte seine eigene nichtswürdige Gattin, welche mit Anna verfeindet war, verbotenen Umgangs mit ihr bezichtigt. Auf

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