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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

das er, so lange es seines Amtes war, mit Begeisterung und Ausdauer verteidigte.

Gustav Adolf Mühl wurde zu Straßburg am 7. Mai 1819 als der dritte und jüngste Sohn des Rentners Andreas Mühl geboren. Seine beiden Brüder und eine Schwester leben heute noch in Straßburg. Das Elternhaus Mühl’s war ein altelsässisches, echtstraßburgisches Bürgerhaus, und seine Jugenderziehung ging von dem Princip aus, daß er einst, wenn nicht französischer Beamter, so doch französischer Bürger werden sollte. Vielleicht war es ein deutsches Gedicht, ein deutsches Buch, das dem Knaben in die Hände fiel, das ihn alsdann so sehr für das Land Luther’s, Lessing’s, Schiller’s und Goethe’s begeisterte, daß diese Begeisterung zu seiner idealen Lebensarbeit werden konnte. Deutschland war seine erste Liebe, darf man füglich sagen, und was in dem Knaben schüchtern keimte, diese freudige Hinneigung zu einem damals von seinen Landsleuten wegen politischer Ohnmacht geringschätzig betrachteten Lande, das durchwogte seine Jünglingsseele mit Feuer und bewegte den Mann, bis der Tag der Erfüllung hereinbrach und er sich sagen durfte: „Ich hab’ erlebt, was ich als schönsten Traum durch’s ganze Leben trug.“

In den Kreuzgängen des Straßburger Gymnasiums und im Garten desselben – einer alten Klosteranlage – wandelte oft in den dreißiger Jahren ein ergrauter Professor, an seiner Seite ein begeistert aufhorchender Jüngling. Ihr eifriges Gespräch galt dem Lande über’m Rhein, dem der beredte Lehrer eine glänzende Zukunft verhieß. Sie sprachen über deutsche Literatur, die vor Kurzem zum andern Mal sich einen Ehrenplatz im Schriftthum der Völker errungen. Die feurigen Worte des Lehrers weckten in der Brust des Schülers verborgene Kräfte. Da übergab der Schüler eines Tages dem Professor sein erstes deutsches Gedicht und trat damit in die Genossenschaft der elsässisch-deutschen Poeten ein. Schweighäuser hieß der Professor – Gustav Mühl hieß der Schüler. Und dieser Schüler hat seinem ehrwürdigen Lehrer, der von der französischen Regierung seiner deutscher Gesinnung wegen „kaltgestellt“ wurde, zeitlebens ein dankbares Andenken bewahrst

Die ersten Verse unseres Poeten veröffentlichte der Straßburger Buchdrucker Danbach in seinem „Anzeige- und Unterhaltungsblatt“. Um den jungen Dichter schaarte sich ein Häuflein treugesinnter Freunde, die seine Begeisterung und Neigung für das alte Stammland mehr oder minder theilten. Zu diesen zählte Karl August Candidus, Mühl’s nachmaliger Schwager, welcher, ein nicht genug geschätzter Dichter, anfangs der siebenziger Jahre als reformirter Pfarrer zu Odessa starb und dessen bedeutsamstes Werk sich „Der deutsche Christus“ betitelt. Neben Candidus standen in diesem Kreise die Brüder Stoeber, der Theologe Ungerer, der treue Freund des Mühl’schen Hauses, jetzt Inspector der Neuen Kirche in Straßburg, dann der Dichter Jaeger, der heute noch in einer elsässischen Gemeinde als Pfarrer amtet, der Archivar Schneegans, der schon in den fünfziger Jahren starb und dessen Tod Mühl mit großem Schmerz erfüllte.

Diese jungen Männer haben nicht für ein „literarisches Deutschland“ geschwärmt – im Gegenteil, sie wollten Deutschland politisch groß und mächtig, einig und frei – Gefühle, denen Mühl in einem größeren Gedicht, „Hambach“, Ausdruck gegeben hat, das im Jahre 1842 in Separatdruck erschienen ist.

Zum äußeren Lebensberuf wählte sich Mühl die Heilkunde. Er studirte dieselbe in seiner Vaterstadt und promovirte im Jahre 1847 als doctor medicinae, doch hat er sich niemals der ärztlichen Praxis gewidmet. Nach Beendigung seiner Studierzeit verbrachte er mehrere Jahre auf Reisen. Er besuchte Deutschland wiederholt und lebte längere Zeit in Berlin und Stuttgart, wo er meistens in gelehrten und literarischer Kreisen verkehrte.

Im Jahre 1858 vermählte sich Mühl mit Wilhelmine Candidus, und nun begann für ihn nach der Zeit des Wanderns die der Rast in schöner Häuslichkeit. An der Seite der schönen und edlen Frau verlebte er glückliche Jahre. Im Winter wohnte er in Straßburg; der Sommer verlebte er gewöhnlich in Schiltigheim. Freudig wirkte er für sein Ideal: die Brücke für die geistigen Beziehungen nach Deutschland hinüber zu unterhalten, bei seinen Landsleuten geschichtliche Kenntnisse über das Elsaß früherer, und zwar deutscher Zeiten, zu verbreiten und in Deutschland selbst das Interesse für den nach seiner Anschauung nur zeitweise verlorenen Gau wach zu erhalten. In diesem Sinne hat er an deutschen und elsässischen Zeitschriften rege mitgearbeitet und für deutsche Zeitungen correspondirt. Als getreuer Mitarbeiter des von August Stoeber herausgegebenen „Elsässischen Sagenbuchs“ half er den herrlichen Schatz an charakteristischen Sagen heben, der das Land am Wasgenwalde birgt. Er veröffentlichte ferner Gedichte in den „Elsässischen Neujahrsblättern“ von August Stoeber und Friedrich Otte und lieferte historische Aufsätze für die „Alsatia“, eine literarisch historische Zeitschrift, die August Stoeber von 1851 bis 1874 herausgab. Von früh auf hat er an deutschen belletristischen Unternehmungen mitgearbeitet, nicht von persönlichem Interesse geleitet, einzig um seiner Lebensaufgabe gerecht zu werden.

Gustav Mühl war ein tätiges Mitglied eines Comités für Volksvorlesungen , die in deutscher Sprache zu Straßburg Jahre hindurch abgehalten wurden und kurze Zeit vor dem Kriege erst eingingen, nachdem allmählich alle Mitglieder bis auf den Maire Küß und unsern Dichter ihre Theilnahme versagt hatten. In Vorlesungen suchte Mühl die geschichtlichen Kenntnisse über Deutschland bei seinen Landsleuten auf jede Art zu fördern, um so auf indirecte Weise sein Ideal zu predigen. Dabei hielt er mit seiner edlen Gattin darauf, daß das eigene Heim von französischen Einflüssen gesellschaftlicher Art allenthalben frei blieb: in seinem Hause wurde nur Deutsch gesprochen, und was er in dieser Beziehung für sich und bei der Seinigen that, dafür trat er jeder Zeit mit edlem Mannesmut öffentlich ein, er, der im Leben fast ängstlich schüchtere Mann. Was er für alle diese Mühe und Arbeit bei seinen Landsleuten geerntet, das läßt sich leicht denken. Keine Lorbeeren, dagegen aber vielfach Haß und Mißachtung, und als die Zeit der Erfüllung seiner Träume kam, da hatte die aufgeregte Menge auch für ihn, gleichwie für den eindringenden Sieger, das brandmarkende Wort: „Schwob“.

Mühl war ein tiefreligiöses Gemüth, das ehrfurchtsvoll allem Hohen und Heiligen gegenüberstand. Es war ihm als Dichter keine glutvolle Phantasie eigen; seine Werke strömten nicht mit begeistertem Klange dahin; dagegen war ihm in hohem Grade Innigkeit und Sinnigkeit und eine edle Begeisterung verliehen, und wenn die Flamme, die er auf seinem Altar schürte, niemals grell aufloderte, so leuchtete sie um so mehr mit keuschem und heiligem Lichte. Er war lyrischer Dichter von leisem und innigem Empfinden, und seine Dichtung gleicht der Blume, die bei sinkender Sonne ihren Kelch dem geheimnißvolleren Lichte des Mondes und der Sterne erschließt. Ein Sehnen nach dem Ueberirdischen durchzitterte seine Seele, und nur das Gute war ihm heilig; nur das Heilige erschien ihm groß.

„Trink’ Sokrates! – es wird ein And'rer nahen,
Ein heilig-stilles Wesen liebeshehr –
Der wird noch einen größ’ren Kelch empfahen,
Gefüllet aus der Menschheit Thränenmeer –“

apostrophirt er in einem tiefempfundenen Gedichte den zum Giftbecher verurtheilten Weisen. Leise öffnet die Muse dieses elsässischen Sängers den Mund, gilt es seine innersten Gedanken in Verse umzusetzen, aber kraftvoll wird ihr Ton, lehnt der Dichter seine Empfindung an eine große Idee oder an eine weltgeschichtliche That an. So ruft er in seiner am 5. December 1870 gedichteten „Wacht auf den Vogesen“ energisch aus:

„Hier schaut mein Blick in Zorn entbrannt,
Hinüber dann in’s welsche Land:
Im tiefsten Mark hat’s dir gegraust,
Als du gefühlet meine Faust;
Nun hüt’ dich ferner, hüt’ dich fein
Vor meines Schwertes Blitzesschein!“

Erst kurz vor seinem Heimgange, im Jahre 1878, stellte Mühl eine Auswahl seiner Gedichte in einem Bande zusammen der unter dem Titel „Aus dem Elsaß. Gedichte von Gustav Mühl“ von K. I. Trübner in Straßburg verlegt wurde. Die Sammlung enthält unter Anderem Perlen von seinen Stimmungsbildern aus dem Leben der Seele wie der Natur. Manchen dieser Perlen fehlt ein Geringes: da und dort bleibt der poetische Ausdruck nicht auf seiner Höhe, aber man bedenke: Mühl war elsässischer Poet, dem in seiner engeren Umgebung lange Jahre hindurch das Hochdeutsche nicht aus lebendiger Quelle floß, wogegen ihm als einziger Sprachquell das Straßburgische Dialektdeutsch mit seiner allemannischen Schlichtheit des Ausdrucks zu Gehör kam.

Schlichtheit in Bild und Wort ist die Signatur der ganzen Gruppe elsässischer Dichter, die in den Brüdern Adolf und August

Stoeber, unserem Mühl und dem leider auch zu früh dahingegangenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_610.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)