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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Um die Erde.
Von Rudolf Cronau.
Zweiter Brief: Auf dem Greenwood Cemetery zu Brooklyn.
Brooklyn, N.-Y., Frühling 1881.

Im Sommer des vergangenen Jahres saß ich in träumerischer Ruhe auf dem Friedhofe des Oybin in Sachsen; als im Herbste die Blätter fielen, wandelte ich einsam unter den düsteren Hollunderbäumen des alten Judenfriedhofes in Prag; jetzt, wo junges Grün den Zweigen entsprießt, lehne ich an einem Grabmale des Greenwood Cemetery in Brooklyn. Drei Plätze, denselben Zwecken dienend, derselben Bestimmung geweiht und doch – wie verschieden ist ihr Charakter, wie verschieden die Sprache, die aus ihrer Anlage, ihrem Pflanzenwuchs und ihren Monumenten zu uns redet!

Süßer, heimlicher Friede umfächelt uns auf den Höhen Oybin; das Herz hat innerhalb dieser Idylle kaum einen anderen Wunsch, als auch dereinst unter diesen alten Walnußbäumen zu Füßen der verfallenen Klosterruinen schlafen zu dürfen. Weltentrückt, schlägt das Herz ruhiger in stillem Entsagen.

Unter dem mauerumschlossenen Hollunderdickicht in Prag aber ist’s finster und schauerlich. Die verloschenen Schriftzüge, die fremdartig durch Gestrüpp und Unkraut von den zerborstenen Tafeln uns entgegenstarren, sie kälten das Herz; kein freundlicher Strahl der Hoffnung steigt aus dem über einander gethürmten Schutte der Gräber empor; unheimlich schüttelt’s uns, als fühlten wir die Nähe des Judengottes, der furtchtbar und unerbittlich richtet und keine Gnade kennt.

Greenwood Cemetery in Brooklyn.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

Nichts von dem empfinden wir, wenn wir über die Hügel des Greenwood wandern; kaum bemerken wir die traurige Bestimmung dieser paradiesischen Ruhestätte; sie breitet sich über eine Reihe wohlbewachsener Hügel aus, die allenthalben liebliche Plätze und reizende Ansichten bieten. Wunderbar schöne Baumgruppen neigen sich da und dort über einen stillen See, dem zur Sommerszeit ein Springbrunnen sprudelnd entsteigt, oder sie ziehen sich einen Hügel hinan, dessen Gipfel von einem prächtigen Denkmal geziert wird. Nirgends streiten die Todten sich um den Raum; der Freigebigkeit, mit welcher der Boden zugemessen wurde, entspricht der Reichthum und die Vornehmheit der Marmormonumente, die in schneeweißer Pracht dem Blumendickicht entsteigen.

Sie bekunden zwar nicht die unendliche Mannigfaltigkeit, den architektonischen Reichthum und die künstlerische Reinheit, die wir auf europäischen Friedhöfen zu finden gewohnt sind, dagegen überrascht uns eine seltene, an Verschwendung grenzende Benutzung der kostbarsten Materialien, sodaß sich wohl kaum ein Friedhof der Welt in dieser Hinsicht mit dem Greenwood messen dürfte. Der Gesammteindruck der zahllosen, schlanken Marmorobelisken, die neben Kreuz und Sarkophag vorherrschen und in allen erdenklichen Varianten erscheinen, ist ein ungemein edler und erhabener und kommt etwa dem gleich, den wir bei Betrachtung einer der edelsten Architekturblüthen des alten Griechenthums empfinden.

Greenwood Cemetery ist eine fashionable Ruhestätte mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_577.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)