Seite:Die Gartenlaube (1881) 545.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Die Glasmalerei – eine deutsche Erfindung.

„Wie einer, der da blickt
Durchs Fenster, so gemalt,
Vom Glanze wird entzückt,
Der ihm entgegenstrahlt,
so ist mein Herz erfüllt
von Süßigkeit, o Frau,
Wenn blendend ich dein Bild
In voller Schönheit schau.“

     „Troubadour“ Peire Vidal.

Die altbaierische Benedictiner-Abtei Tegernsee, nach ihrer Säcularisirung 1803 in den Besitz der baierischen Dynastie übergegangen und in eine königliche Residenz umgewandelt, gehörte zu den berühmtesten mittelalterlichen Pflegstätten für Kunst, Wissenschaft und jede Art Cuturleben. In der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts in reizender Lage am See begründet und mit Sanct-Galler Mönchen besiedelt, gelangte die Abtei rasch zu fürstlichem Besitz, erfuhr zwar um 918 durch Herzog Arnulf völlige Aufhebung, nahm aber seit dem Jahre 979, durch Kaiser Otto den Zweiten von St. Emeran in Regensburg aus neu aufgerichtet, sofort einen außerordentlichen Aufschwung. Im zwölften Jahrhundert waren die Aebte Reichsfürsten mit großem Hofstaat und dem Recht, die bischöfliche Mitra zu tragen. Ein Freiheitenbrief Friedrich Barbarossa’s von 1183 zählt neunzehn von Tegernsee abhängige Kirchen auf; über 11,000 Höfe bestritten den Unterhalt der Conventualen. 1012 zählte man schon zweihundert gebildeter Mönche. Das Schulwesen entwickelte sich glänzend; stattlich wuchs die Bibliothek – im Jahre 1573 schaffte Abt Quirin eine eigene Druckerei an. Schönschreibekunst, Malerei, Baukunst, Erz- und Glockengießerei und andere Kunstzweige entfalteten sich zu stolzer Blüthe; Dichter- und Künstlernamen: Froumund, die beiden Werinher, von denen der ältere ein Allerweltskünstler, der zweite im zwölften Jahrhundert zugleich Gelehrter, Dichter, Kartenzeichner und Begründer eines botanischen Gartens war, ferner Metellus, der Dichter der „Quirnalia“, und Andere, gehen wie glänzende Sterne am Himmel von Tegernsee auf.

Uns interessirt hier besonders eine der Künste, welche in der Abtei ihr Heim hatte: die Glasmalerei.

Gedenkfenster in der Stiftskirche zu Tegernsee.
(Graf Arnold von Vohburg, Erfinder der Glas-Emailmalerei.)

Am 28. September 1879 beging das altberühmte Tegernsee ein glänzendes Fest: die neunhundertjährige Jubelfeier der ältesten Anstalt für Glasmalerei, die in Deutschland begründet wurde. König Albert von Sachsen, Herzog Theodor von Baiern mit seiner anmuthigen und kunstverständigen Gattin, der Prinzessin Josepha von Braganza, auch der Münchener Erzbischof waren zugegen. Vier Gedenkfenster, Graf Arnold von Vogaburg oder Vohburg, Abt Gozbert von Tegernsee, ferner Froumund und den älteren Werinher in Glasmalerei darstellend, wurden in den sich gegenüberstehenden Capellen der Stiftskirche eingesetzt, und Professor Sepp aus München, der Veranstalter und Mitstifter, hielt die Festrede. Die darauf folgende Festtafel, durch Gedichte und Reden belebt, bot als ganz besondern Schmaus einen wie für diese Gelegenheit eigens aus der Weissach aufgetauchten zweiundzwanzigpfündigen Silberlachs von vier Fuß Länge, und ein kühner Einfall Professor Sepp’s, im Namen der vier alten in Glas verherrlichten Herren die Pathenschaft über die nächstkünftigen vier Söhne Tegernsees zu übernehmen, traf mit der seltsamen Fügung zusammen, daß schon bis zum dritten Tage ein Gozbert, Werner und Froumund das Licht der Welt erblickten.

Diese historische Feier, von welcher nur Altbaiern, nicht das große Deutschland Notiz genommen, war gleichwohl eine recht nationale; denn die Thatsache, daß die Glasmalerei eine deutsche Erfindung, hatte vor Professor Sepp keinen eigentlich sieghaften Verteidiger gefunden.[1] Wenn auch die Entscheidung in der Sache urkundlich nicht über jede Anfechtbarkeit erhaben ist, so erscheint Sepp’s Ansicht doch in einer Weise gestützt, wie keine der entgegenstehenden, und darum werth, daß an dieser Stelle Notiz von ihr genommen wird. Sie kehrt ihre Spitze der Hauptsache nach gegen französische Ansprüche. Wie von dieser Seite her 1840 das vierte Säcularfest der Erfindung der Buchdruckerkunst für das „französische“ Straßburg reclamirt wurde, welches Ansinnens sich Mainz seiner Zeit mit Glück erwehrt hat, so kämpft hier ein Altbaier für die Ehre Deutschlands und seiner engeren Heimath namentlich gegen des berühmten und verdienstvollen Grafen Lasteyrie de Saillant „Geschichte der Glasmalerei nach französischen Denkmälern“ (Paris 1857), ein von der Akademie, welcher der Graf angehörte, preisgekröntes Prachtwerk, sowie gegen eine Reihe anderer Kunstforscher Frankreichs.

Die eigentliche Glasmalerei, wie der Begriff heute verstanden wird, hat zwei Vorstufen, welche in keiner Weise mit ihr verwechselt werden dürfen. Zuvörderst kommt die Glasmosaik in Betracht, die durch Zusammenstellung farbiger Gläser erzielt wurde. Buntglas ergiebt sich in der Schmelze von selbst; das reine weiße lernte man erst nach und nach erzielen – und es kam zu theuer. Schon der altchristliche Dichter Prudentius (gestorben 413) gedenkt der mit mehrfarbigen Scheiben gefüllten Bogenfenster in der Basilika des heiligen Paulus in Rom. Sanct Peter erhielt erst bei der Krönung Karl’s des Großen seinen Gläserschmuck; danach ließ Papst Leo der Dritte die Fenster der Apsis im Lateran mit Glas von verschiedenen Farben verschließen. Der Sophien-Dom empfing das Licht durch farbige Fenstergläser bereits 534, und in Paris stattete der Merowinger Childebert um dieselbe Zeit zuerst eine Kirche mit diesem Reichthume aus. Auch die kunstliebenden Chalifen verwandten Glasmosaik in ihren Moscheen; wenn der weltbekannte Geograph Karl Ritter schreibt: „Gemalte Glasscheiben bilden die Fenster im Grabdom Mohammed’s zu Medina“, so ist das ungenau gesagt, es sollte „farbige Gläser“ heißen.

Die zweite Phase stellt sich als wirkliche Bemalung der Fenster dar. Und hier liegt der Punkt, wo mangelhaftle Deutung alter Nachrichten die Franzosen zu unberechtigten Ansprüchen verleitet. Die Nachricht, daß bereits Heribald, der frühere Caplan

  1. Vergleiche dessen lehrreiche „Festschrift zur Stiftung der Gedächtnißfenster am Orte der Erfindung der Glasmalerei, zu Tegernsee.“ München und Leipzig 1878. (Verlag von G. Hirth.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_545.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)