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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

nach der schlecht motivirten Niederlegung seines Senatorenamtes nach der Stadt Albany begab, um bei der dort gerade tagenden Gesetzgebung des Staates New-York seine und seines Collegen Wiedererwählung, wenn auch wahrscheinlich umsonst, zu betreiben.

Als Conkling wegen der Zollcollectorsstelle den Kampf mit Garfield begann, da ließ er sich in seiner zornigen Wuth zu der Aeußerung hinreißen, er habe jetzt zwischen „Todtschlag“ und „Selbstmord“ zu wählen, und er wähle den „Todtschlag“. Das sollte vermutlich nichts Anderes bedeuten, als daß er entweder den Kampf um das New-Yorker Zollhaus aufnehmen und das Ansehen von Garfield’s Administration vernichten oder sich die Ernennung Robertson’s gefallen lassen und damit in seine eigene politische Vernichtung willigen müsse. Hätte Conkling die Ernennung Robertsons aus principiellen Gründen, aus Rücksichten auf den öffentlichen Dienst bekämpft, so hätte er sich ruhig im Bundessenate überstimmen lassen dürfen, ohne dadurch an Ansehen zu verlieren, aber der Beute wegen riskirte er den „Todtschlag“ von Garfield’s Administration oder seine eigene Vernichtung.

Die Reden und Handlungen Conkling’s wurden in allen Tagesblättern besprochen und verbreitet; man nahm gegen und für ihn Partei und selbst der Expräsident Grant trat wiederholt in Wort und Schrift für ihn ein. Unter solchen Umständen war es nicht zu verwundern, daß ein exaltirter und überspannter Kopf, daß Charles J. Guiteau, ein getäuschter Aemterjäger und enragirter Anhänger Grant’s, der sich in einem Briefe selbst als den „Stalwart der Stalwarts“ bezeichnete, den von Conkling figürlich gebrauchten Ausdruck „Todtschlag“ im wirklichen Sinne des Wortes verstand und Garfield, mit der Waffe in der Hand, aus dem Wege zu räumen suchte, um persönliche Rache zu kühlen und zugleich dem Beutesystem zum Siege zu verhelfen.

Seit dem Ausscheiden Conkling’s aus dem Bundessenate, wo er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln die Garfield- Administration zu discreditiren und zu schwächen bemüht war, wurde in der amerikanischen Presse und in politischer Kreisen wiederholt die Ansicht laut, daß Conkling und Grant auf dem Punkte ständen, „sich an die Spitze einer neuen Partei zu stellen“; namentlich hatte Grant zu diesem Gerüchte durch verschiedene unüberlegte Aeußerungen Veranlassung gegeben. Daß der Ex-Präsident Grant, der ursprünglich der demokratischen Partei angehörte, nur so lange in der republikanischen einen ihm zusagenden Platz suchte und fand, als er hoffen durfte, von ihr wieder zum Präsidenten erwählt zu werden, und daß der Ex-Senator Conkling mit der republikanischen Partei sehr unzufrieden wurde, als dieselbe ihn nicht länger als „Boß“, das heißt als alleingebietenden, infallibeln Rathgeber und Leiter, anerkennen wollte, mag begreiflich sein; wenn aber diese beiden Männer es unternehmen wollten, in den Vereinigten Staaten eine neue, lebenskräftige Partei zu bilden, so würde dies doch schwerlich möglich sein. Zu der Bildung einer neuen Partei gehört, wie überall, so namentlich in Amerika, die Aufstellung, Begründung und Vertheidigung von Grundsätzen, die sich von denen der alten Parteien unterscheiden und um welche sich die Massen des Volkes zu einer neuer politischen Organisation schaaren können.

Welche Grundsätze würden nun von Grant und Conkling zu dem erwähnten Zwecke aufgestellt werden können? Die Finanzfrage ist in der Union in der Hauptsache in zufriedenstellender Weise gelöst worden, namentlich durch die unter Garfield’s Billigung vorgenommenen neuesten Finanzoperationen des Finanzministers Windom; auch dürften sich die genannten beiden Herren in Bezug auf die Finanzfrage am wenigsten von der republikanischen Partei trennen, ganz abgesehen davon, daß Conkling dieser Frage nie viel Interesse entgegengebracht hat. Auch in der so wichtigen und noch nicht gelösten Zoll- und Tariffrage nahmen Grant und Conkling keine Sonderstellung ein; noch während des letzten Präsidentenwahlkampfes waren beide entschiedene Schutzzöllner und wußten nichts Neues vorzubringen.

Eine Versöhnung mit dem Süden der Union auf freiheitlicher und nationaler Basis könnten sie ebenso wenig mit größerm Erfolge und besserm Willen in’s Werk setzen, als dies von Hayes geschah und von Garfield geschehen wird. Oder sollte es möglich sein, daß sie die Monopolfrage und die Verwaltungsreform bei der projectirten Bildung einer neuen Partei als Aushängeschild nehmen würden? Es würde doch sicherlich nur wie ein schlechter Scherz aussehen, wenn General Grant, der kühne Eisenbahn- und Canalbau-Unternehmer, und Herr Conkling, der in mehreren Fällen der Anwalt der größten Monopolisten der Vereinigten Staaten gewesen und im Bundessenate Gesetzen opponirt hat, welche gegen die gemeinschädlichen Anmaßungen des Monopolwesens gerichtet waren, sich nun plötzlich als die großen uneigennützigen Anti-Monopol-Führer aufspielen wollten.

Noch wunderbarer und als eine Selbstironie müßte es aber erscheinen, wenn General Grant, der als Präsident die corrupteste Administration geführt, und Herr Conkling, der ihm getreulich und nach Kräften hierin beigestanden hat, sich an die Spitze einer Reformbewegung zu stellen versuchten. Darauf hin aber, daß Grant und Conkling sich von dem Präsidenten Garfield beleidigt und zurückgesetzt fühlen, kann eine gefährliche Spaltung oder gar eine Revolution in der republikanischen Partei doch wohl kaum durchgeführt werden. Andererseits ist es vielleicht nicht zu leugnen, ja sogar wünschenswerth, daß in dem bisherigen Parteiwesen der Vereinigten Staaten ein Umschwung stattfindet. Das allmähliche Verschwinden der großen principiellen Streitfrage, welche die alten politischen Parteien in’s Leben rief, würde jetzt möglicher Weise eine Neubildung der Parteien leichter erscheinen lassen, aber die persönlichen Beschwerden eines Grant und eines Conkling sind gewiß nicht hinreichend, einen genügenden Anstoß dazu zu geben. Am allerwenigsten ist dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Fall, wo das ruchlose Attentat auf Garfield diesem die vollste Sympathie des weitaus größten und besten Theiles des amerikanischen Volkes sichert.

Man ist sich in Amerika sehr wohl bewußt, wo die eigentliche Ursache des Verbrechers vom Juli dieses Jahres zu suchen ist; so sagte z. B. die weitverbreitete „New-York-Tribune“ kürzlich:

„Präsident Lincoln wurde nicht von der Rebellion gemordet, aber von dem Geiste, welcher der Rebellion Leben und Kraft gab. Präsident Garfield ist nicht durch eine politische Partei, aber durch den Geist, den eine politische Fraction erzeugt und groß gezogen hat, auf den Tod verwundet worden. Ohne diesen Fractionsgeist wäre kaum ein Mensch in der ganzen Union sicherer vor einem mörderischer Angriffe gewesen, als Garfield. Haben die betreffenden Parteiführer jemals all das Unglück beabsichtigt, welches aus dem wilden, rücksichtslosen Geiste hervorwächst, den sie schaffen und Woche für Woche aufstacheln? Ist es nicht ihr beständiges Vergehen gegen die Freiheit und die Selbstregierung, daß sie einen solchen Geist entzünden und dadurch schwache oder rücksichtslose Menschen über die Grenze von Recht und Vernunft hinaustreiben? Der Mörder Guiteau war sich wohl bewußt, daß er einen Präsidenten tödten und einen neuen schaffen wollte. Seine Sprache und seine Briefe beweisen nur zu sehr, daß er recht gut wußte, was er that.“

Und in ähnlichem Sinne äußerte sich die einflußreiche „New-York-Times“:

„Präsident Garfield brachte zu dem höchsten Amte der Union Gaben des Geistes und des Charakters mit, welche das Amt ehrten, und schon im Anfange seiner Administration wird sein Leben von einem Elenden angetastet, der genau so das Böse in unserem Regierungssystem repräsentiert, wie Garfield das Gute. Der Mörder war ein enttäuschter Aemterjäger, und er verband die Verbitterung persönlicher Enttäuschung mit der leidenschaftlichen Gehässigkeit des Parteicliquenwesens. Sein Geist war durch die Angriffe auf den Präsidenten, die in manchen Kreisen nur allzu sehr all der Tagesordnung waren, aufgereizt. Gewiß, wir wollen keine Partei für die Mordthat verantwortlich machen, aber wir halten es für unsere Pflicht, anzudeuten, daß die That ein übertriebener Ausdruck eines Gefühls voll engherzigem und bitterem Hasse war.“

Hoffentlich wird Präsident Garfield seinem Lande und seinem Volke erhalten bleiben. Die einzig gute Frucht aber, welche der Mordthat Guiteau’s entwachsen könnte, wäre die so oft und so heiß von allen guten Bürgern der Union ersehnte gründliche Reform im Civildienste, eine vollständige Abschaffung des entsittlichenden Beutesystems. Demoralisation ist die gefährlichste Klippe jedes Staatswesens, namentlich aber der Republik, und das Wort des Dichters gilt nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für den Staat:

„Und allein durch seine Sitte
Kann er frei und mächtig sein.“

Rudolf Doehn.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_544.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)