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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

bieten zwar nichts Besonderes, aber die staffelförmig gebildeten schmalen Haubenfedern mit nach vorn sich biegenden Schäften, schwarzer Hauptfarbe und weißen Kanten, denen die gleichgefärbten Wangen entsprechen, geben dem nur 12,5 Centimeter großen Vogel doch eine markante Erscheinung. Dazu kommt ein Zügelstreifen, der sich durch das Auge zieht und sich dann in Sichelform nach vorn abwärts neigt; ferner ein daran grenzendes breiteres, weißes Band und ein schwarzer, vom Oberkopfe bis zur Kehle reichender Streifen, sowie ein gleichfalls schwarzes von der Kehle zum Nacken krausendes Band, was Alles zur Auszeichnung des Vogels beiträgt. Die dunkelgraubraunen Schwingen und Steuerfedern zeigen hellere Säume. Die braunen Augen, der schwarze, an den Scheiden hellere Schnabel und der lichtblaue Fuß vollenden die Farbenzeichnung.

Als eine treue Bewohnerin unserer deutschen Fichten-, Kiefern- und Tannenwälder wählt sich die Haubenmeise vorzugsweise solche Brutorte aus, die an Dickichte grenzen. Hier verfolgt zur Paarungszeit das Männchen in Stangenorten und im Hochwalde das Weibchen. Es ist ein anmuthiger Anblick, wie der bewegliche Liebeswerber sich hoch emporrichtet, unter leisem Gezwitscher. bald die Haube weit nach vorn stellend und die Gefährtin förmlich umtanzend, bald wieder die bewegliche Kopfzierde nach hinten senkend.

Neben dem Minnetrieb macht sich jedoch alsbald der Ernährungstrieb geltend. Das geübte Vogelauge erspäht und prüft nun die lose sitzenden Rindenplättchen der Stämme und Aeste, unter denen Kerbthiereier und Larven verborgen sind, und sogleich ist der geschäftige Schnabel bereit, die Schuppen auszuhämmern oder ganz loszuhacken, um an den verdeckten Fund zu gelangen. Bald untersucht die Meise in seitlicher, bald in hängender, bald in aufrechter oder übergebogener Stellung die beuteversprechenden Zweige mit schnellen und geschickten Wendungen, und ein reicher Fund beliebter Nahrung wird hastig ausgebeutet und fesselt den Vogel länger an eine Stelle, als es ihm sonst die angeborene Unruhe erlaubt. Freude und Wohlbehagen an solchen Entdeckungen offenbart sich in dem Tonausdruck „Zit“, der sich während der eifrigen Aufnahme von Leckerbissen öfters wiederholt und zugleich vom Gefährten als Aufforderung zur Theilnahme an der Mahlzeit begrüßt wird. Abwechselnd macht Eins dem Andern Platz an der gedeckten Tafel. Von da aus geht’s nun weiter vorwärts und zurück, hinaus in die Kronen der Bäume und dann wieder zum Stamm, zur bloßgelegten Wurzel und selbst auf den Boden oder in das angrenzende Dickicht, und sobald die Meise auf freiem Zweige erscheint, sträubt sie die Haube und läßt unter koketten Wendungen ihre Rufe lauter erschallen.

Nachdem nun von dem Weibchen in aller Schweigsamkeit und Heimlichkeit die Wahl des Nistplätzchens getroffen worden, sammelt es kleine Partien Flechten von den Bäumen, zerrt Moosbündelchen von Steinen und Felsen los und trägt dieses Material unter Begleitung des ihm folgenden Männchens zur Errichtung des gröberen Nesttheils entweder einer Baumhöhle in höherer oder tieferer Lage oder einer Wandung des verlassenen Eichhorn- oder Elsternestes zu, in welch letzterem es sich selbst eine entsprechende Höhle hergerichtet hat. Nach Vollendung des äußeren Nestes sucht sich die Meise zur Auspolsterung des Innern an Gesträuch und Gestrüpp, sowie auf dem Waldboden abgestreifte Haare des Wildes, wie auch auf Waldwegen Kuhhaare und Schaf- und Pflanzenwolle. Alsdann beginnt sie zu legen – das vollendete Gelege besteht aus acht bis zehn kleinen weißen Eiern, welche rostroth punktirt sind und in dreizehn Tagen ausgebrütet werden.

Doch versetzen wir uns in die Zeit der Minne unseres Vogels zurück und beobachten wir Wandel und Wesen der nachbarlichen Verwandten! Da ist zuerst die Tannenmeise. Gewandtheit, Munterkeit, Keckheit und Zanksucht sind Meisencharakterzüge, welche auch ihr eigens sind. Auch sie hat ihren besonderen Gesang; ihre Größe theilt sie mit der Haubenmeise, ihre Färbung aber ist düster, dem schattenreichen Nadelwalde mehr entsprechend. Kopf und Hals, Kinn und Kehle der Tannenmeise sind schwarz, weiß die Backen und die Halsseiten von den Mundwinkeln an, und ein Nackenstreifen ist von gleicher Farbe; die übrige Oberseite erscheint aschgrau, die Unterseite schmutzig grauweiß mit bräunlichen Flanken. Auf den Flügeln stehen zwei weiße Binden. Die Iris ist tiefbraun, der Schnabel hornschwarz und der Fuß bleigrau.

Diese mit großer Anhänglichkeit an den Nadelwald gefesselte Meise wählt gewöhnlich ihre Niststätte in tieferer Lage, als die Haubenmeise; man findet sie vielfach in hohlen Baumstümpfen, in Spechtlöchern, Felsenspalten, nicht selten auch in Erdhöhlen, alten Mäuse- und Maulwurfsgängen. Ich habe an dem Ufer eines Teiches mehrere Jahre hindurch die Nester von zwei Paaren in den Astlöchern alter Weiden gefunden. Beide waren regelmäßig aus Erdmoos erbaut und mit Federn ausgepolstert, während andere mir bekannte nur Pferdehaare enthielten. Die Durchschnittszahl der Eier eines Ende April oder Anfangs Mai vollendeten Geleges beträgt sechs bis acht, während das Gelege der zweiten Brut, wie beiden Vögeln überhaupt, stets weniger zahlreich ist.

Die Grundfarbe der zartschaligen, spitzgeformten Eier der Tannenmeise zeigt reines Weiß, diejenige der Flecken Rostroth; Doch lassen wir das Weibchen – das Männchen betheiligt sich nur wenig daran – das Brütgeschäft während eines vierzehntägigen Zeitraumes besorgen, und versetzen wir uns wieder in die letzten Tage des März oder die des April! Da begegnen wir denn den treuen Begleitern der Meisen, unseren Goldhähnchen, von denen das feuerköpfige einen ziemlich lauten Gesang hören läßt, der aus den rasch auf einander folgenden Lauten: „Si–si–si–si…“ und einem den Schluß bildenden melodischen Triller besteht und von Nachbarmännchen regelmäßig beantwortet wird.

Während das gelbköpfige Goldhähnchen als Standvogel zur Zeit des Winters in Begleitung der Meisen kleine Wanderungen durch Wald und Gärten des Heimathsgebietes unternahm, verbrachte das feuerköpfige die rauhe Jahreszeit unter südlichem Himmelsstrich in der Fremde und ist erst Ende März wiedergekehrt. Wie doch diese kleinsten europäischen Vögelchen die Unruhe mit den Meisen theilen! Wie sie flink und ewig beweglich gleich ihnen die verschiedenartigsten Stellungen einnehmen! Wahrhaft prächtig entfaltet das minnende feuerköpfige Goldhähnchen seine Kopffedern. Dann wird das dunkel orangefarbene, über Scheitel und Hinterkopf laufende Längsfeld sichtbar, welches durch das breite schwarze Band über dem weißen Augenstreifen und das schmale ebenfalls schwarze Band des Vorderkopfes in seiner Wirkung noch gehoben wird. Auch die olivengrüne Oberseite des Vögelchens hebt die Decoration des Kopfes. Die übrigen Merkmale der Färbung bestehen in den orangegelben Halsseiten, dem rostbräunlichen Rande der Stirn über der Schnabelwurzel, dem schwarzgrauen Augenstrich und Augenrand, dem weißen Strich unterhalb des Auges, welcher von dunklem Bartstreifen begrenzt wird, dem olivengrauen Ohrfelde, den olivenbraunen Schwingen und Steuerfedern mit gelblichgrüner Säumung, der oberen schwarzen Querbinde und den unteren lichten Querlinien über den Flügeln. Dunkelbraun ist das Auge, schwarz der Schnabel und bräunlich der Fuß.

Mit entschiedener Vorliebe bewohnt das feuerköpfige Goldhähnchen die Fichtenwälder, während das gelbköpfige Vetterchen die Kiefernbestände bevorzugt. Indessen durchwandern beide Arten da, wo Laubholzbestände oder gemischte Holzarten an ihren Wohnort grenzen, diese täglich, von Zweig zu Zweig dahin eilend, bald in hängender, bald in flatternder, bald in vorgebeugter Stellung sich die verschiedenartigsten Kerbthiere und deren Larven aneignend, keineswegs aber auch die feineren Sämereien verschmähend. Sie erweisen sich durch ihren scharfen Spähsinn als gründliche Säuberer der Nadelbäume von schädlichen Räupchen, Käferchen, Puppen und vorzüglich Kerbthier-Eiern. Auch dem fliegenden Insect eilen sie nicht selten auf kurze Strecken nach, um es zu erhaschen, und wenn sie die Kerbthiere in ihren verschiedenen Entwickelungsstadien nicht zur Befriedigung ihres eigenen Bedürfnisses, sondern zum Zwecke der Fütterung aufnehmen, so sammeln sie gewöhnlich eine größere Anzahl, insbesondere Kerbthier-Eier, im Schnabel an und fliegen dann erst dem Ort ihrer Bestimmung zu.

Doch kehren wir zu dem Hauptgegenstand dieser Schilderung zurück, und besuchen wir zur Zeit, wo die jungen Hauben- oder Tannenmeisen der ersten oder zweiten Brut ausgeflogen sind, die Heimstätte derselben! Da nehmen wir wahr, daß die Tannenmeisen ihre eigene Nahrung wie diejenige für ihre Jungen nur dem Nadelwalde in der Gestalt von Eiern und Larven nicht blos der Kerbthiere, sondern auch kleinerer und größerer Fliegen entnehmen, während die Haubenmeisen auch dem Laubdickicht zufliegen, um ihren Jungen grüne Räupchen zur Atzung zuzutragen.

Es lohnt der Mühe, auch einen Blick in die kunstvoll gebauten Nester der Goldhähnchen zu werfen, aber ich will das bewunderungswürdige Bauwerk nicht eingehend schildern. Dies würde mich hier zu weit führen. Wohl aber möchte ich durch kurze Andeutung eine Beobachtung zur weiteren Kenntniß bringen, die ich durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_478.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)