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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

dafür und das Mittel, sich jeden schönsten Lebensgenuß, Kunst, Reisen und Gesellschaft hervorragender Menschen zu verschaffen, also doch alles Hauptsächliche in der Welt. Warum werden denn die Heeren Poeten und Künstler doch gerade immer voll der aristokratischen Luxus-Atmosphäre der grande dame bezaubert und berauscht? Man küßt voll Entzücken schmale weiße duftende Hände – um ihnen dann aus Liebe für ihr künftiges Leben die Arbeit einer Haushälterin zuzumuthen.“

Baron Willek warf nach diesem Wagniß einen raschen Blick auf seine Tochter; sie sah stumm, mit zusammengepreßten Lippen vor sich nieder. Ein paar Mal war es, als wollte sie reden; dann wandte sie sich wieder ab. Er schöpfte aus diesen Symptomen große Hoffnung und sagte also nur noch:

„Bedenke Alles, Leontine! Es giebt kein Schicksal; man bereitet sich alles Ungemach selbst. Leichtere Fehler lassen sich einige Male wieder ausmerzen – der Hauptfehler ist definitiv und nicht zu repariren; ob Du diesen machen willst oder nicht, darüber mußt Du Dich noch heute entscheiden.“

Er goß sich den Rest der Flasche in’s Glas; dann brannte er eine Cigarre an und sah mit einem Seitenblick, wie die blaue Schleppe langsam über die Schwelle des Salons hineingezogen wurde. Drinnen warf sich Leontine mit abgewandtem Gesichte in denselben Lehnstuhl, in welchem sie gestern Erich Björnson gegenüber gesessen. Es war. ihr, als sei inzwischen ein Jahrhundert vergangen.

Einige Minuten wartete ihr Vater noch, dann sagte er hereinkommend:

„Die Zeit drängt, mein liebes Kind; ich kann Dir keine halbe Stunde Träumerei mehr gestatten; sie wäre auch unter diesen Umständen nur vom Uebel. Ich bin sicher, Du wirst mit dem überlegenen Verstande, den ich stets an Dir respectirt habe, heute wieder gut machen, was Du gestern verdorben hast.“

„Das heißt?“ fragte sie in müdem Tone.

„Das heißt,“ erwiderte er und zog die Uhr, froh, aus dem ungewohnten Pathos wieder zur Alltagsstimmung zurückzukehren, „daß wir um dreiviertel auf Zehn mit Nordstetter beim Fürsten J. erwartet werden, um den Einzug zu sehen. Mache eine schöne Toilette und sei pünktlich bereit!“

Er berührte mit den Lippen ihren duftenden Scheitel; dann fiel die Zimmerthür. hinter ihm in’s Schloß.

Wie von einer Feder emporgeschnellt, fuhr Leontine auf; sie hatte eine ganz deutliche Vorstellung davon, was jetzt eine edlere Natur an ihrer Stelle thun würde, ungefähr so, als läse sie es in einem Buche; sie schätzte sich auch aufrichtig gering in diesem Augenblicke gegen die Menschen, welche mit dem Stolze der Armuth voll „inneren Unmöglichkeiten“ reden dürfen. Aber sie rief den Vater nicht zurück. – Nur als sie vor dem Spiegel saß und ihre langen Flechten in das graziöse, tiefgesteckte Oval ordnete, das vom ersten Augenblicke an Erich’s Entzücken gewesen war, da dachte sie plötzlich wieder an ihn, an den schönen warmherzigen Mann mit den leuchtenden Augen, und es überkam sie eine stürmische Sehnsucht – –

Sie bog sich im Sessel zurück, und ihre halbgeschlossenen Augen starrten träumerisch das schöne blasse Spiegelbild an – da weckte sie ein Klopfen an der Thür – – es war der Papa, der mahnte, daß sie doch ja zur rechten Zeit bereit sein möge.

Sie war bereit, und als sie unten auf der Terrasse im eleganten schwarzseidenen Schleppkleide erschien, stand Nordstetter im tadellosen Gesellschaftsanzuge bereit, ihr in die Gondel zu helfen; er grüßte freundlich; sie nahm seine Hand an – da fühlte Nordstetter plötzlich eine ganz bedeutende Zuversicht und sagte zu sich selbst: „Heute Abend muß es in’s Reine kommen!“

Die sonnenhelle Pracht, in welche sie hineinfuhren, war wohl dazu angethan, eine heitere Stimmung hervorzurufen. Vom Meere her donnerten die Kanonen; von den großen Ostindienfahrern wehten unzählige bunte Flaggen, und ein Gewimmel von kleineren Dampfern und Gondeln schoß darum her. Vor den ernsten alten Palastfacaden flatterten Teppiche und Fahnen.

Einige Minuten später standen Leontine und ihre beiden Begleiter plaudernd in einem aristokratischen Kreis auf der vorderen Terrasse der Casa Bertucci; es waren viele und zum Theil schöne Damen da, aber Leontine bewegte sich wie eine Fürstin unter ihnen; das sagte sich der Banquier, der sie am Arm die Stufen vom Wasser herauf geleitet hatte und stets in ihrer Nähe blieb, mit der angenehmsten Steigerung seines Selbstgesprächs. Auch noch ein Anderer sagte es sich, welcher auf dem hochgelegenen Fenster seines Freundes Bartels herunter sah. Er hatte ein so wahnsinniges Verlangen nach ihrer Nähe, nach dem Laut ihrer Stimme; jede Minute, die er ohne sie verleben mußte, schien ihm völlig verloren – und nun stand sie da unter all den fremden Leuten, sprach mit dem langweiligen Geschäftsmenschen, dem Erich gerne für sein unverschämt glückliches Gesicht einen Ziegel an den Kopf geworfen hätte – und zu ihm wandte sie keinen Blick herauf, zu ihm, der nach dem Gruß ihrer Augen verschmachtete.

Jetzt hörte man den Kanonenschuß vom Bahnhof her noch ein paar Minuten und es wurde lebendig unter dem hohen öden Rialtobogen. Ein halb Dutzend Boote schossen in rasendem Tempo hervor; ihnen nach drängte sich eine Fluth von andern. Es flog und schimmerte, wie ein dichter Schwarm goldener, bunter, silberner Schmetterlinge.

„Die Prachtbarken der Republik!“ rief einer der Herren, und in der That, man sah sie nun in pfeilschnellem Laufe herankommen, phantastisch decorirte goldene Schiffe, jede von zwölf in bunte Seide und Sammet gekleideten Ruderern vorwärts gejagt. Am Bug wehten riesige Federbüschel in goldenen Emblemen; vom hinteren Baldachin schleiften die langen bunten Seidenwimpel im Wasser nach – es war ein Anblick von imposanter Pracht und Herrlichkeit. Mitten in dieser strahlenden Geleitschaft bewegten sich die einfachen Gondeln, welche die Monarchen und ihre Gondoliere trugen. Die Luft erzitterte voll tausendstimmigen Evvivarufen; Franz Joseph, blaß und ernsthaft, dankte nach allen Seiten. Leontine hatte ihr Tuch gezogen und winkte lebhaft über die Brüstung hinaus – noch ein Moment und der ganze bunte Schwarm war vorübergeflogen.

In die Gruppen auf der Terrasse kam wieder Leben und Bewegung; ein Diener mit Erfrischungen erschien; Fürst J. und seine Gemahlin machten mit großer Liebenswürdigkeit die Wirthe, und bald war das Gespräch allgemein im Gange.

Leontine stand noch vorn an der Balustrade, und jetzt trat Nordstetter von ihrem Vater zu ihr hinüber.

„Gnädiges Fräulein,“ sagte er, sich verbeugend, „der Heer Baron hat mir erlaubt, Sie zu fragen, ob ich heute so glücklich sein werde, Sie Beide zu Mittag als meine Gäste im Restaurant F… am Marcus-Platze zu begrüßen?“

Leontine sah einen scharfen Blick ihres Vaters auf sich gerichtet – sie neigte zustimmend das Haupt, und als er sich nach längerer Weile gemeinsam mit ihr und dem Vater von ihren Wirthen verabschiedete, indem er dieselben gleichfalls bat, die Sechsuhrstunde nicht zu vergessen, machte sie keine Anstalt, sich Nordstetter’s Begleitung zu entziehen.

Erich war oben regungslos am Fenster stehen geblieben; jetzt sah Leontine aufwärts und erwiderte seinen Gruß mit kurzem Kopfneigen. Ninette, welche ebenfalls gezögert hatte, das Zimmer zu verlassen sah, wie blaß er wurde, wie seine Augen sprühten und bog sich gleichfalls zum Fenster hinaus. Da stieg gerade unten die schöne fremde Dame in die Gondel; der magere Heer mit den gelben Handschuhen half ihr hinein, legte eine weiche Plüschdecke über ihre Kniee und nahm dann mit dem Grauhaarigen gegenüber Platz. So vornehm lehnte sie sich in die Kissen zurück, so graziös neigte sie lächelnd und grüßend noch einmal den hellen Sonnenschirm gegen die Terrasse – „come una principessa!“ Das junge Mädchen sprach es halblaut vor sich hin.

Sie hatte nicht mehr herauf gesehen Erich wandte sich um; seine Blicke fielen so kalt auf das liebenswürdige Gesicht mit den großen dunklen Augen ihm gegenüber, als wenn es ein Stück Tapete gewesen wäre; es wurden Worte zwischen ihnen gewechselt, deren Sinn nicht in seinem Gedächtniß haftete; nur das schoß ihm flüchtig durch die Erinnerung, als er fünf Minuten später in seinem Atelier stand und die große aufgespannte Farbenskizze anstarrte, daß Ninette gesagt hatte, es stehe heute nicht gut mit der Mutter.

Aber nur einen Augenblick dachte er daran; dann stürmten wieder die leidenschaftlichen Empfindungen über alles Andere hin. Was ihn gestern in unendlicher Seligkeit an Leontinens Seite bewegt hatte, es war kühl gewesen gegen die Gluthen, welche er heute im Herzen fühlte. Eine übermächtige Vorstellung der Königreiche, welche dieses Weib mit ihrer Liebe zu vergeben haben mußte, die Unmöglichkeit, daß sie einem Andern als ihm angehören dürfe, setzte sein Hirn in Flammen und trieb ihn rastlos hin und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_455.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)