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haben. Da der Niger bei Timbuctu östlich fließt und Aegypten, der Nil und Mekka in dieser Richtung liegen, so glaubt man noch heute an die Identität beider großen Ströme. Es giebt in Timbuctu mehrere Schulen und auch Bibliotheken, das heißt Sammlungen von Manuscripten, mit deren Hülfe die Gelehrten ihre endlosen Unterhaltungen über den Koran führen.

Timbuctu hat im Laufe der Jahrhunderte mehrfach seine Herren gewechselt und ist wiederholt im Mittelalter geplündert und zerstört worden; auch neuerdings hat es vielfach als Spielball zwischen den streitenden Parteien, namentlich zwischen den Tuareg im Norden und den Tulani im Süden gedient. Die stete Furcht, in der es als offene Stadt schweben mußte, hat sich der Bewohnerschaft so unauslöschlich eingeprägt, daß das fortwährende Waffentragen der Einwohner geradezu eine typische Erscheiuuug für Timbuctu ist. Nähert sich beispielsweise eine Karawane, so eilen ihr wohl zahlreiche Neugierige entgegen, um die Ankömmlinge herzlich zu begrüßen, aber jeder Einzelne trägt gewohnheitsmäßig einen etwa sieben bis acht Fuß langen Speer in der Hand. Einen König giebt es in Timbuctu gegenwärtig nicht, wohl aber wohnen daselbst sehr einflußreiche Häuptlinge. Neben der Familie der Kahia, der das Stadtoberhaupt angehört, spielt eine alte hochangesehene Scheriffamilie El Bakey eine Hauptrolle; ihr gegenwärtiges Haupt ist Abadin, ein junger, sehr gelehrter Mann, von großem Ehrgeize, welcher in der Entwickelung der politischen Verhältnisse jener Gegend noch eine große Rolle spielen wird; er ist der Sohn jenes Scherifs, welcher dem Dr. Barth eine ausgezeichnete Gastfreundschaft erwiesen hat. Er genießt bei den Tulani so großes Vertrauen, daß diese ihn, als zur Zeit von Dr. Lenz’ Anwesenheit wieder ein Krieg auszubrechen drohte und sie bereits die ganze Communication auf dem Niger abgeschnitten hatten, zu ihrem Anführer wählten. Aber die Tuareg, deren Anführer der große Sultan Fandagumu war, der auch seinen Wohnsitz in Timbuctu hatte, besaßen vorläufig noch das Uebergewicht, sodaß, wenn es zum Kampfe gekommen wäre, im Wesentlichen die Stadt selbst darunter gelitten haben würde.

Ansicht von Timbuctu.

Diese allerersten Kreise von Timbuctu hielten sich gegenüber dem „Scherif“ und seinem „türkischen Militärarzt“ zuerst in kühler[WS 1] Reserve, namentlich konnte es der stolze Scheich der Tuareg nicht mit seiner Hoheit und Würde vereinbaren, dem „Abkömmling des Propheten“ zuerst seinen Besuch zu machen. Aber auch der Scherif gab nicht nach und hatte, wie sich später herausstellte, ganz richtig gerechnet; denn sein Stolz erfocht über den des Fandagumu einen glänzenden Sieg.

Dies geschah am Tage der Abreise, welcher sich für Dr. Lenz und seine Genossen zu einem großartigen Feste gestaltete, indem nämlich mehrere Tausend Einwohner von Timbuctu die Reisenden begleiteten. Der imposante Auszug aus der Stadt geschah hierbei nach landesüblicher Sitte folgendermaßen: Zuerst kam als die Hauptperson der Scherif, und zwar wurde er von zwei Männern am Arme geführt, nämlich von dem Bürgermeister und dem größten islamitischen Gelehrten Timbuctus; als Zweiter folgte Dr. Lenz, der „Leibarzt“ – dessen Curen meist in der unschuldigen Verabreichung von Englisch Salz bestanden hatten –, geführt von dem Sohne des Kahia und einem anderen großen Gelehrten. So wandelte man langsamen Schrittes zur Stadt hinaus, begleitet von den unzähligen Salam-Rufen der Eingeborenen. Da nahte ein überaus stattlicher Zug mit vielen Reitern zu Pferde und zu Kameel; es war das Gefolge des mächtigen Tuaregsultans Fandagumu, welcher dem Scherif auf diese Weise noch in der letzten Minute des Abschieds seine Huldigung darbrachte. Es war prächtig anzusehen, wie jedes Thier von zwei Männern beritten war, dem Herrn und seinem Diener, welcher Letztere die Waffen, Schild, Lanze und Schwerter, trug.

Nach mehrmonatlicher Reise langte Dr. Lenz mit seinem Scherif wohlbehalten, wenn auch fast ganz ausgeplündert, in St. Louis in Senegambien an und erreichte von dort aus die Heimath. Timbuctu aber geht als Karawanenstadt seinem allmählichen Untergange mehr und mehr entgegen. Wenn es dem wachsenden modernen Handelsverkehr gelingen wird, die reichen Producte des Sudan vom atlantischen Ocean aus an sich zu ziehen, wenn ferner der Export von Negersclaven aufgehört haben wird und das Salz dem Sudan auf andere Weise zugeführt werden kann, als durch tausende von Kameelladungen aus Taudeni, dann wird die märchenhafte Wüstenkönigin sich auch allmählich in den Schleier der Vergessenheit hüllen und die frommen Moslemin auf ihren Trümmern sich fügen in das unvermeidliche Kismet.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ühler
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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_432.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)