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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Arnis, nach Ascheberg etc., bis alle die Tausend und aber Tausend Exemplare, die bei der Post bestellt sind, zur Vertheilung gekommen sind.

Gewöhnlich sind bei der Vertheilung einer jeden Zeitung ein Beamter und ein Unterbeamter thätig. Der Beamte, welcher für die richtige Vertheilung verantwortlich ist, verliest die Namen der Postanstalten und die Zahl der abzugebenden Exemplare, während der Unterbeamte die Nummern in die genannten Fächer legt. Das Geschäft wird oft gleichzeitig von dreizehn Beamten und zwanzig Unterbeamten vorgenommen, um die Zeitungsfluth, die in circa 8000 Fächern untergebracht werden muß, zu bewältigen. Die stärksten Tage sind der Donnerstag und der Freitag, weil an diesen die wöchentlich erscheinenden Blätter ihre Auflieferungstage haben, zur Zeit kommen an diesen beiden Tagen 85,700 Exemplare zur Versendung. Aber auch an den andern Wochentagen gehen viele Tausende von Zeitungsnummern nach allen Himmelsrichtungen ab.

Ist die Vertheilung vorbei, so werden die in den einzelnen Fächern liegenden Zeitungen der verschiedensten Art, zu einem Paket vereinigt, mit der Adresse des betreffenden Postortes versehen und nach Eisenbahncoursen geordnet, abgesandt. Solche Pakete gehen täglich 2186, Donnerstags und Freitags aber gegen 8000 Stück ab.

An den Fächern ließen sich nun ganz interessante Studien anstellen. Kann man doch daran, welche Blätter und wie viel Zeitungen in den einzelnen Gegenden gelesen werden, den Culturzustand dieser Ortschaften annähernd ermessen. Ein vollständig zuverlässiges Material erhält der Statistiker auf diesem Wege zwar nicht, da ja ein großer Theil der Blätter auf anderem Wege, durch Buchhandlungen etc., versendet und verbreitet wird; aber annähernd richtig wird das Bild doch sein. Wissenschaftliche Blätter gehen vorzugsweise in die größeren Städte, die Centren der Bildung; auch einzelne Landstriche, z. B. Thüringen, zeigen viel Bedürfnisse darnach; religiöse Zeitschriften finden am Rhein und in Schlesien, aber auch in Gebirgsgegenden großen Absatz; Ungarn und Galizien beziehen besonders Modejournale; auch die industriellen Verhältnisse üben hierbei großen Einfluß aus. Aber weiter Eingehendes erfahren wir nicht; denn die Post, diese große Vertrauensanstalt, hütet mit Sorgfalt ihre Geheimnisse.

Viel zu thun giebt es auf dem Zeitungspostamte zur Zeit des Quartalwechsels. Da gehen circa 30,000 einzelne Bestellzettel ein, von denen mancher 20 bis 30 verschiedene Zeitungen verlangt. Was giebt es da nicht zu rechnen! Wie viel neue Vertheilungs- und Versendungslisten sind dann wieder aufzustellen! Steht doch dies Zeitungspostamt mit circa 4000 Postanstalten in unmittelbarer Abrechnung. An den Tagen, wo die wenigsten Zeitungen zur Versendung kommen, haben die Unterbeamten die Herstellung der Umschläge zu besorgen, und daß dies keine kleine Arbeit ist, geht daraus hervor, daß allein in der Zeit vom 16. October 1880, dem Tage der Eröffnung, bis Ende Februar 1881 365 Rieß Packpapier verbraucht wurden.

Die Tausend und aber Tausend Blätter, die heute zur Post gegeben werden, sind bereits morgen früh in Hamburg, Frankfurt, München, Breslau in den Händen der Abonnenten. Und dieser riesenhafte Verkehr, im vergangenen Jahre 9,828,882 Stück, wird allein von dreizehn Beamten und zwanzig Unterbeamten besorgt. Respect vor einer so großartigen Leistung!

Wie ganz anders war’s doch noch zu [Friedrich Schiller|Schiller]]’s Zeit! Da brauchte eine zur Post gegebene Zeitung von Weimar nach Rudolstadt vier volle Tage. Die Botenfrau ging schneller, als der Postwagen fuhr, und so vertrauten ihr Schiller und Lotte ihre Pakete und Zeitungen lieber an, als der Post.

Wir steigen nun hinunter in den großen Posthof.

In langen Reihen stehen hier die wohlbekannten gelben Postwagen, des Augenblickes wartend, da sie in Dienst gestellt werden. Rechts und links sehen wir Werkstätten für Wagenbau, und das große Poststallgebäude schließt den Hof ab. Es enthält im Parterre und im ersten Stockwerk Stallungen für 160 Pferde, im zweiten Stockwerke die Wohnräume für die Postillone, und wer etwa denken sollte, diese Species wäre im Aussterben begriffen, der irrt gar sehr. Bekanntlich ritten in Berlin vierzig Postillone an der Spitze des Zuges, der die junge Prinzenbraut einholte. Sie sahen gar stattlich aus, diese lustigen strammen Posttrompeter – in der früheren gelben Uniform wäre es effectvoller gewesen. In Berlin ist also kein Mangel an Postillonen, aber auch in Leipzig ist ihre Zahl im Wachsen begriffen. Gegenwärtig sind ihrer 70 – sage siebenzig – in Dienst, welche täglich mit 105 Pferden 435 Fahrten nach den Bahnhöfen und in die einzelnen Stadtpostbezirke zu machen haben. Allerdings, die Art, die einst Lenau besang, ist es nicht mehr. Der Postillon von heute ist nicht der „Schwager“ aus früherer Zeit; denn er hat nicht mehr lebensfrohe Passagiere, sondern todte Pakete zu fahren.

Leipzig hatte noch bis zum Jahre 1873 eine Personenpost nach Pegau; dieselbe fuhr am 19. October des genannten Jahres zum letzten Mal ab. Auch sonst im deutschen Reiche vermindert sich fortwährend die Zahl der Personenposten, da sie durch die Eisenbahnen mehr und mehr überflüssig werden. Während im Jahre 1872 durch die Post noch 5,558,214 Reisende befördert wurden, ist dies 1876 nur mit 3,987,054 und 1879 mit 2,750,333 Reisenden der Fall gewesen. Immerhin noch eine stattliche Zahl! In Zukunft wird diese Zahl wieder etwas wachsen, da die „fahrenden Landbriefträger“ auf ihren Touren auch Passagiere mitnehmen dürfen und zwar nicht etwa blind, sondern ganz ordnungsmäßig gegen ein bestimmtes Fahrgeld, welches die Postverwaltung diesen modernen Postillonen als Nebeneinnahme überlassen hat.

C. Stötzner.




Franz Dingelstedt.
Von Wilhelm Goldbaum.


Einen Tag über wehte von dem grauen Gemäuer des Wiener Burgtheaters die Trauerfahne, einen Tag und nicht länger; denn das Theater ist wie das Leben: es duldet kein betrachtendes Stillstehen. Aber an diesem Tage sind zehn glanzvolle Jahre des Burgtheaters mit dem Manne in das Grab gelegt worden, von dem jene zehn Jahre Richtung und Inhalt empfangen, und dieser Mann war Franz Dingelstedt.

Das literarische Leben Deutschlands hat von Franz Dingelstedt manche fruchtbare Anregung erhalten; das ist längst vorüber, und es fragt sich, ob die deutsche Literaturgeschichte das Andenken des „kosmopolitischen Nachtwächters“ auf lange Zeit hinaus bewahren wird. Die Wiener Gesellschaft, diese witzige, leichtlebige, in den Reizen schöner Sinnlichkeit schwelgende Gesellschaft, stand fünfzehn Jahre hindurch unter dem Zauber der überlegenen Persönlichkeit Franz Dingelstedt’s, doch die Gesellschaft ist sehr vergeßlich; sie errichtet keine Mausoleen; denn sie lebt nur vom Augenblicke und für den Augenblick. Das deutsche Theater aber wird in seinen Annalen dem Namen Dingelstedt’s ein goldenes Blatt widmen, ist es doch wenigen Männern zu gleichem Danke verpflichtet wie ihm, der recht eigentlich erst der deutschen Schaubühne das Bewußtsein beibrachte, daß sie, von ihren sittlichen und pädagogischen Zwecken abgesehen, das Auge des Zuschauers nicht dürfe zu kurz kommen lassen, da es der natürliche Vermittler ist zwischen Scene und Parterre, zwischen Schauspieler und Publicum.

Von der schönen Stelle in der schönen Kaiserstadt, wo er wohnte – Stadt und Vorstadt scheiden sich dort durch einen Gürtel grüner Oasen, und das Auge fliegt über den Stadtpark fort an dem herrlichen Thurm von Sanct Stephan empor – bewegte sich der imposante Trauerzug hinter dem Sarge Dingelstedt’s, Schauspieler, Schriftsteller, Cavaliere und Finanzmänner in reicher Mischung; am Grabe sprachen für das Burgtheater Adolf Sonnenthal, für die Literatur Johannes Nordmann bewegte Abschiedsworte. Aber nicht mit der Stimmung am Grabe und nicht mit Regungen, welche die Stunde weckt, ist erschöpft, was über Franz Dingelstedt zu sagen ist; denn in sein Andenken theilen sich nicht blos Diejenigen, welche die letzten anderthalb Decennien gemeinsam mit ihm verlebten – er gehört der Geschichte des gesammten deutschen Schriftthums und der Geschichte des gesammten deutschen Theaterlebens an; seine Wirkungen wie sein Ruf reichten weit hinaus über das Weichbild Wiens, dem er nicht durch Geburt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_414.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2022)