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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

freundliches; rührend ist besonders die Anhänglichkeit der Kinder an die weiblicher Dienstboten und der letztern an jene Eine Spanierin – und wer wüßte nicht, daß sie eine zärtliche Mutter ist? – wird ohne Sorge ihr Kind der ama de leche, der früheren Amme, anvertrauen, und wäre es auch für eine Reise nach den Philippinen oder nach Cuba zum fernen Gatten; sie weiß, daß die Dienerin das Kind wie ihr eigenes hütet und es schützt, so weit es überhaupt gegen Unheil geschützt werden kann.

Noch eigenartiger wird das Verhältniß zwischen Herrschaft und Dienstboten in Portugal. Selbst in ganz kleinen Häusern und Wirtschaften müssen mehrere Bedienstete sein, wie im alten Griechenland, und diese Diener, besonders die Dienerinnen, spielen eine große, ja man kann sagen gewichtige Rolle. Oft genug muß sich die Herrschaft nach den Launen der Köchin richten. Der Grund dafür liegt hauptsächlich in dem starkentwickelten Selbstbewußtsein in der Unabhängigkeitsliebe und dem Stolz der Portugiesen; sie pochen mit demokratischer und republikanischer Rücksichtslosigkeit auf ihre Menschenrechte, wollen dem entsprechend behandelt sein und sind nur schwer zu bewegen in ein dienstliches Verhältniß zu treten. Alle groben häuslicher Arbeiter müssen daher auch von Galegos, von galicischen Tagelöhnern verrichtet werden.

Hat man nun aber z. B eine portugiesische Köchin gemiethet, so gehört diese auch gewissermaßen zur Familie; ihr strenge Vorschriften machen, ihre Freiheit irgendwie beschränken, ihr Arbeiten zumuthen, wie sie jede deutsche Köchin übernehmen muß, wie sie dort aber in den Arbeitsrayon des Galego gehören, würde sie sofort veranlassen, aus dem Hause zu gehen. Die Köchin nimmt denn auch an den Sorgen des Hauses Theil und spricht gelegentlich gerade so in der Unterhaltung mit, wie die Hausfrau, da die Küchenthür gewöhnlich offen ist. Es kommt vor, daß, weil es der Köchin beliebt um neun Uhr zu Bett zu gehen die Herrschaft keine Abendmahlzeit – man nimmt den Thee gewöhnlich um zehn Uhr – mehr halten kann. Der Herr muß also gegen den Diener zuvorkommend sein und ihn immer in guter Laune zu erhalten suchen.

Der patriarchalische Zug, der durch das Dienstverhältniß das häusliche Leben des Portugiesen kommt, hat etwas Aehnlichkeit mit den patriarchalischen Zuständen des Orients, mit denen, die man bei den mohammedanischen Völkern findet. Auch bei diesen trat uns ein demokratisches Moment entgegen. Gehen wir z. B. in ein arabisches Café von Tunis! Auf den einfachen Holzbänken und Schemeln sitzen da neben einander der reiche, von Kopf zu Fuß in die kostbarsten Seidengewänder gekleidete Vornehme und der arme Beduine, dessen zerlumpter Burnus kaum als „Bedeckung“ bezeichnet werden kann. Diese demokratische Gleichheit herrscht dort überall, und wer sich vorstellt, der Araber der Wüste entbehrte des Selbstbewußtseins und ließe sich eine unwürdige Behandlung gefallen, der befandet sich in einem großen Irrthume.

Das patriarchalische Wesen, das bei den Semiten im Alterthum und zu allen Zeiten geherrscht hat, ist durch den Islam auch auf alle mohammedanischer Völker übertragen; es bedingt seinerseits ebenfalls die Beziehungen zwischen Reichen und Armen, Vornehmen und Niedrigstehenden und prägt sich im socialen Verkehr und Leben in angedeuteter Weise aus; ein schroffer Ständegeist existiert nicht. Das Verhältniß von Herr zu Diener, buchstäblich genommen ist freilich nicht viel verschieden von dem des Gebieters zum Sclaven, entbehrt aber trotzdem keineswegs der Vertraulichkeit und weicht tatsächlich wenig von den äußerlich scheinbar viel freieren europäischen Verhältnissen ab. Es ist hierbei ja selbstverständlich nicht die Beziehung zwischen einem Fürsten und seiner Bedientenschaar in’s Auge gefaßt; denn es gilt in dieser Specialfrage wie in allen Culturfragen der Satz, daß der Mittelstand der Träger des Nationalcharakters ist.

In Italien ist der intelligente Diener nach wie vor der Vertraute seines Herrn und zu allen Diensten bereit. Das Verhältniß der dortigen Stände zu einander ist im Uebrigen zu bekannt, als daß es noch besonders besprochen werden müßte; es ist je nach den Provinzen verschieden. Der Römer besitzt noch immer etwas von dem republikanischen Stolz seiner Vorfahren und will demgemäß behandelt sein; der Neapolitaner dagegen ist servil und tückisch.

Eine der Grundzüge im Charakter des Italieners ist die hohe, natürliche geistige Begabung, die sich in schneller Auffassungskraft und in politischer Klugheit und Gewandtheit ausspricht. Diese Gaben im Verein mit fein ausgebautem Gesellschaftsformalismus, bedingen die gefälliger Beziehungen der Stände zu einander: jeder deckt sich so gut er kann durch die ihm zu Gebote stehenden Mittel; das Vertrauen zum Nebenmenschen ist dort in Folge der Nothendigkeit der eigenen Reserve ein geringes.

Wenden wir uns nun dem Norden zu! Schroff stehen sich in England die Stände gegenüber. Der Diener ist, trotz alles Humanismus, nur eine lebendige Maschine, die für ihre Leistungen bezahlt wird. Hochmuth nach unten aber allerdings auch Hochmuth und das äußerste Selbstbewußtsein nach oben zeichnen den vornehmen Engländer aus. Zwischen dem altadeligen Lord und seinem alten Diener, der sein Leben im Schlosse seines Herrn verbracht hat, besteht wohl etwas wie Vertraulichkeit, aber doch ist es immer nur die gewaltige, herablassende Vertraulichkeit des Gottes, der sich der niederen Creatur zur Anbetung offenbart. Dasselbe Verhältniß besteht mehr ober weniger zwischen allen Abstufungen der englischen Gesellschaft. Waltet im Süden überall das Patriarchalische vor, so finden wir in England alle Merkmale des feudalen Aristokratismus, und zwar nicht allein in den obersten sondern auch in allen Schichten der Gesellschaft.

Ueber den Deutschen im gesellschaftlichen Verkehr gedenkt die „Gartenlaube“ ihren Lesern gelegentlich ein eigenes Capitel zu bieten und brauchen wir deshalb heute über dieses Thema wohl nicht viel zu sagen. Wir Alle kennen ja unsere gesellschaftlicher Gewohnheiten und Zustände mit ihren Licht- und Schattenseiten. Die guten Seiten des deutschen Gesellschaftslebens hervorzuheben, würde uns übrigens auch als eine Art von Selbstlob schlecht zu Gesichte stehen, und so soll hier nur – weil man auf seine Fehler nicht oft genug hingewiesen werden kann – auf eine bedenkliche Schwäche des deutschen Gesellschaftslebens aufmerksam gemacht werden. Aengstlichkeit und Kleinlichkeit klebt uns im Verkehr mit unseren Nebenmenschen allzusehr an.

Der Deutsche im Allgemeinen – und die Regel hat ja zahlreiche Ausnahmen – zieht erst genaue Erkundigungen über die Individuen ein, die in seinen Gesichtskreis treten, um sich zu vergewissern, daß er sich im Verkehr mit Diesem und Jenem nicht gesellschaftlich bloßstellt. Im Umgang mit seinem Diener. mit Niedrigerstehenden sucht er den „Anstand“ zu wahren um möglichst nach keiner Seite hin anzustoßen, wie er sich auch nicht mit dem Arbeiter an einen Tisch setzt, eine Engherzigkeit, um die uns andere Nationen wahrlich nicht zu beneiden brauchen, und von der wir nur hoffen können, daß sie durch die immer häufiger werdende Berührung mit den anderen Völkerfamilien Europas mehr und mehr schwinden und freieren Auffassungen des gesellschaftlichen Lebens Platz machen werde.

Es liegt im Allgemeinen im Wesen des Deutschen, sich reservirt zu halten, sich nicht nach außen zu erkennen zu geben aber hinter dem conventionellen Scheu der Gemessenheit verbirgt sich bei uns gottlob! oft genug viel Wärme des Empfindens und wirkliche Gefühlstiefe, die sich im Innern des Hauses auch im Verkehr mit den Bediensteten äußern. Und dies ist ganz besonders auf dem Lande der Fall, da die Abgeschlossenheit von der großen Welt die Nahelebenden zu größerem Anschluß an einander zwingt.

Polen ist auch bezeichnend für unser Thema. Rührend ist dort der Anblick eines alten Hausdieners einer Adelsfamilie im Verkehr mit dieser. Als Freund der Kinder, als Märchenerzähler, als Vertrauter der Jugend, als Rathgeber des Alters, ist der greise, ehrwürdige, gleichsam – und oft tatsächlich – ein Stück des Inventariums bildende Jan oder Stephan oder wie er sonst heißen mag, der Liebling der Familie. So war es wenigstens früher – so war es auch mit seinem russischen Collegen Iwan.

In Frankreich endlich, dem Lande der feinen Lebensart, der Bonhomie – und vollends unter dem Einfluß der Herrschaft der Republik – finden wir alle Verkehrsformen vertreten. Es läßt sich kaum eine typische Form für die Beziehung zwischen Herr und Diener, Vornehm und Niedrig finden als nur die im Eingange behandelten ganz allgemeinen. Jede Gesellschaftsclasse hat dort ihre eigenen, wenig ausgeprägten, das heißt von denen der anderen wenig abweichenden Typen. Jeder Mensch lernt dort Mensch zu sein – inwieweit er diese Kunst lernt, das ist eine andere Frage, und darnach richtet sich auch sein Benehmen. Jeder will aber auch als Mensch behandelt sein, und das regulirt wieder in anderer Hinsicht die Beziehungen Aller zu Allen.


Im Allgemeinen aber darf man wohl in Bezug auf alle Nationalitäten sagen: laß mich sehen, wie du mit deinen Dienern und den gesellschaftlich unter dir Stehenden wie du mit deinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_367.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)