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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

So geht es fort in ewigem Wechsellauf, und mühelos läßt sich genau die Stunde bestimmen, in welcher an einem beliebigen Tage nach Hunderten von Jahren das Wasser an einem bestimmten Punkte der Küste seinen höchsten Stand erreichen wird. Ich sage an einem bestimmten Punkte; denn nicht an allen Stellen unserer Küste tritt der höchste, beziehentlich der niedrigste Wasserstand zur selbigen Stunde ein, vielmehr ist dieser Eintritt abhängig von der geographischen Lage eines jeden einzelnen Punktes.

Es leuchtet ein, daß die dem Ocean entstammende Fluthwelle die westlichsten unserer Inseln und somit die hinter diesen belegene Küste früher erreichen wird, als die weiter östlich gelegenen, und so hat denn auch, um ein Beispiel anzuführen, Wangeroog an demselben Tage erst um neuneinviertel Uhr Hochwasser, wo dasselbe bei Borkum bereits um neuneinviertel Uhr eingetreten ist.

Die Niveaudifferenz zwischen höchster Fluth und niedrigster Ebbe innerhalb einer „Tide“ beträgt an unseren Nordseeküsten durchschnittlich 2,4 Meter. Multiplicirt man mit dieser Zahl den Flächenraum der Wattstrecke, welche sich hinter jeder Insel befindet, so erhält man einen Begriff von der Wassermasse, welche sich alltäglich zweimal durch ein „Seegat“ auf das Watt und damit gegen die Küsten ergießt.

Daß die einströmenden Fluthen bei stürmischem Wetter oft das Doppelte, ja sogar das Dreifache der genannten Höhe erreichen, möge nur nebenbei Erwähnung finden; denn die erst vor Kurzem von der „Gartenlaube“ gebrachte ausführliche Schilderung der verheerenden Wirkung der Sturmfluthen (vergl. Jahrg. 1880, Nr. 51) erspart uns hier ein genaueres Eingehen auf diesen Gegenstand.

Wie gewaltig aber auch die See, in ihren innersten Tiefen aufgewühlt vom stürmischen Nordwest, einherbraust gegen das flache Land, es vermag doch nur ein Theil derselben, dank der schützenden Inselkette, das Watt und damit die Küstendeiche zu erreichen, und auch dieser erreicht sein Ziel nur in gebrochener Kraft. So sind denn unsere Inseln unzählige Mal die Retter des bedrohten Festlandes gewesen.

Gleich einem Feinde aber, der zunächst die schützenden Forts zu vernichten strebt, um sich alsdann mühelos der belagerten Veste zu bemächtigen, arbeitet auch das Meer unablässig an der Vernichtung der sich ihm in den Inseln entgegenstellenden Bollwerke. Jede größere Sturmfluth reißt Bresche in die schützenden Dünenketten, und rastlos geschäftig arbeiten in den Zwischenpausen die Strömungen an der Beseitigung der Trümmer. Unmerklich führen sie dieselben fort, um sie tief am Grunde des Meeres wieder abzulagern - so ebnen sie sich den Weg für weitere Erfolge.

Dünenschutzwerke auf den deutschen Nordsee-Inseln.
Nach einer Skizze auf Holz gezeichnet von Rudolf Cronau

Ganze Inseln sind auf diese Weise ein Opfer der Fluthen geworden. Die noch im vorigen Jahrhundert vorhandenen Eilande Bandt und Büse sind jetzt völlig verschwunden, Juist und Langeoog in der Mitte durchbrochen. Auch ein großer Theil der Insel Wangeroog mit Einschluß des ganzen nicht unbedeutenden Dorfes wurde durch den Sturm vom 1. Januar 1855 vernichtet. Nur der mächtige, jetzt rings von den Fluthen umgebene Kirchthurm blieb erhalten und bezeichnet die Stätte, wo einst dieses Dorf gestanden.

Aehnliche, wenngleich nicht so tragische Verluste wie Wangeroog haben die übrigen Inseln unserer Nordseeküste zu verzeichnen. Borkum, Norderney, Baltrum und Spiekeroog - sie alle haben noch in dieser Hälfte des Jahrhunderts nicht unbedeutende Strecken ihrer Dünenketten eingebüßt. Die völlige Vernichtung aller dieser Eilande erschien nur noch eine Frage der Zeit, und für die Bewohner der Inseln und der Küstenstriche eröffnete sich eine düstere Zukunft. Da reichten in letzter Stunde die Regierungen der in Mitleidenschaft gezogenen Staaten den schwer Bedrängten die rettende Hand.

Wie am Festlande selbst, so beschlossen sie in richtiger Erkenntniß der Gefahr, auch auf den Inseln den Kampf gegen das verheerende Element aufzunehmen und durch Erhaltung derselben die Küste selbst zu retten.

Das erste energische Vorgehen in dieser Richtung bleibt das Verdienst der früheren hannoverischen Regierung. Zwar waren schon seit Anfang des vorigen Jahrhunderts von den ostfriesischen Ständen Gelder für die Unterhaltung der Inseln bewilligt worden. Dieselben erwiesen sich indeß als nicht entfernt ausreichend, und die zum Theil durch aus Holland herbeigerufene Sachverständige, durch sogenannte „Dünemeiers“, angelegten Werke noch weniger.

Ein mit den nöthigen Mitteln und genauer Sachkenntniß unternommener Versuch, der Vernichtung der Inseln Einhalt zu thun, wurde erst in diesem Jahrhunderte zu Ende der fünfziger Jahre, und zwar auf Norderney gemacht. Unter Besiegung der mannigfachsten Schwierigkeiten wurde das kühne Werk glücklich durchgeführt, und noch heute gelten die dortigen Anlagen als Muster.

Als später jene Inselkette in den Besitz der preußischen Regierung gelangt war, wurde von dieser im Laufe des letzten Jahrzehntes auch die Befestigung der übrigen meist bedrohten Inseln kraftvoll gefördert. Borkum, Baltrum und Spiekeroog wurden durch mächtige Bollwerke gesichert, an deren Vollendung noch heute gearbeitet wird. Auch von der oldenburgischen Insel Wangeroog suchte man zu erhalten, was man noch besaß. Unter Mitwirkung des Reiches wurden hier die erforderlichen Schutzbauten angelegt, da dieses, wohl nicht mit Unrecht, durch die Vernichtung des Eilandes die Versandung der Einfahrt des Jahdebusens, und somit der Einfahrt zu dem für kriegerische Zwecke bebauten Wilhelmshafen, befürchtete.

Die Werke selbst, welche auf den genannten Inseln bereits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_345.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)