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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


endlich für das rheinische Erdbeben von 1846 mit 38,806 Meter gefunden wurde.

Es kann hier nicht die Aufgabe sein, eingehend den ganzen Beobachtungsapparat der heutigen Erdbebenkunde zu erklären. Nur die Beeinflussung der wellenförmigen Fortpflanzung der Erdbeben durch die Beschaffenheit des leitenden Mediums sei noch kurz in’s Auge gefaßt. In einiger Entfernung vom Herde wird der Stoß in Folge der ungleichförmigen Fortpflanzung stets mehr oder minder abgelenkt, oft in zwei, drei und mehr Wellen getheilt, welche in ungleichen Zeiträumen, in ungleicher Richtung und in ungleicher Stärke an einzelnen Orten anlangen. Ursache hiervon ist ein Umstand, der bei Gelegenheit des Agramer Bebens sehr gut beobachtet werden konnte. Nur in den obersten Schichten der Erdrinde findet die Fortpflanzung der Erdbebenwellen statt. In den verhältnißmäßig nicht sehr tiefen Braunkohlen-Bergwerken der Steiermark wurde der Stoß vom 9. November gar nicht verspürt, und zwar schon in einer Tiefe von 40 bis 50 Meter, während an der Oberfläche oder in sehr geringer Tiefe der Grube die Erschütterung eine sehr heftige war. Daß unter solchen Verhältnissen die Oberflächengestaltung und Wechsel in der Gesteinsbeschaffenheit von dem größten Einfluß auf die oben erwähnten Factoren sein müssen, ist klar. Die Wirkungen solcher Erdbeben sind in den obersten Schichten am heftigsten. Liegt z. B., sagt von Hochstetter, auf festem Fels eine dünne Schicht oder Anschüttungsmasse, so bewegt sich diese fast wie Sand auf einem Resonanzboden.

Eine furchtbare Folge der Erdbeben an Meeresküsten sind jene ungeheuren Fluthbewegungen, welche z. B. 1755 mit dem Beben von Lissabon, 1868 mit jenem von Arica, 1877 mit jenem von Iquique verbunden waren. Bei dem Erdbeben von Lissabon hat wohl der größte Theil der 60,000 Verunglückten den Tod durch die mit furchtbarer Gewalt über das Land hereinbrechenden Meereswogen gefunden. Wie wenn man an den Rand einer mit Wasser gefüllten Schüssel stößt, hat sich damals die Erschütterung in Wellenbewegungen des Atlantischen Oceans bis zu den westindischen Inseln fortgepflanzt; noch großartiger war die Erdbebenfluth, die am 13. August 1868 von Arica ausging, den Stillen Ocean in Bewegung setzte und nach 22 bis 24 Stunden an den Küsten Australiens und Japans anlangte.

Es sei schließlich gestattet, mit wenigen Worten jener Meinungen zu gedenken, welche man aus der Statistik der Erdbeben abgeleitet hat. Man vermuthete eine gewisse Abhängigkeit der Erdbeben von den Tages- und Jahreszeiten und insbesondere von den Mondphasen. Perrey hat durch statistische Zusammenstellung erweisen wollen, daß die meisten Erdbeben zur Zeit des Voll- und Neumondes stattfinden, so zwar, daß seine Theorie, nach welcher die Erdbeben durch eine Art Ebbe und Fluth eines glühend flüssigen Erdinnern erzeugt werden, große Wahrscheinlichkeit für sich hätte, allein der von ihm berechnete Ueberschuß ist viel zu gering, um in diesem Sinne gedeutet zu werden. Dasselbe gilt von jener Modification, welche die Perrey’sche Fluththeorie durch Falb erfahren hat. Es erscheint mir überflüssig, an dieser Stelle auf dieselbe näher einzugehen; ich beschränke mich darauf, das Urtheil, welches Hochstetter über diese Theorie fällt, anzuführen. Es lautet dahin: daß die exacte Wissenschaft Theorien ablehnt, welche ausschließlich auf unerwiesenen Hypothesen beruhen, und daß es nicht der Weg der Deduction, sondern jener der Induction ist, auf welchem die Naturwissenschaft nach Wahrheit forscht.

R. Hoernes.




Der Friedensschluß zu Frankfurt am Main am 10. Mai 1871.
Zu dessen zehntem Gedenktage.

Am 18. Januar dieses Jahres beging das deutsche Volk mit lautem Jubel die zehnte Wiederkehr des großen Tages, wo das neue deutsche Reich aufgerichtet und König Wilhelm der Erste zum deutschen Kaiser proclamirt worden war. Als jenes erhebende Ereigniß stattfand, war der gewaltige Kampf, den Deutschland mit Frankreich 1870 bis 1871 kämpfte, so gut wie beendet; unsere siegreichen Truppen hielten damals Paris mit eisernem Ringe umschlossen und sandten tödtliche Geschosse mitten in die feindliche Stadt hinein; nur wenige Tage darauf war sie gezwungen, zu capituliren. Die Feierlichkeit der Proclamirung des neuen deutschen Kaiserthums fand in den Prunkgemächern eben jenes Schlosses von Versailles statt, von wo einst unter Ludwig dem Vierzehnten so viele diplomatische Intriguen, so viele militärische Handstreiche gegen das alte deutsche Reich ausgegangen waren. War einstmals die Macht und der Uebermuth dieses ehrgeizigen und eroberungssüchtigen Fürsten wesentlich ermuthigt und gleichsam legitimirt worden durch die Ohnmacht und innere Zerrissenheit Deutschlands, so erschien jetzt diese in dem Schlosse von Versailles vollzogene Ceremonie der Aufrichtung eines neuen, kräftigen deutschen Kaiserthums als die feierliche Besiegelung sowohl der inneren Einigkeit Deutschlands, wie der dadurch verbürgten Uebermacht nach außen. Daß diese Uebermacht nicht in ähnlicher Weise zum Werkzeuge persönlichen oder nationalen Ehrgeizes gemißbraucht werde, wie das mit der vormaligen Uebermacht Frankreichs so oft und allemal vorzugsweise auf Kosten Deutschlands geschehen, dafür bürgen jene Worte, die bei Uebernahme der neuen Kaiserwürde der ruhmgekrönte König Wilhelm in dem Momente des zweifellosesten Sieges sprach:

„Uns und unsern Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit Mehrer des Reichs zu sein, nicht in kriegerischen Eroberungen, sondern in den Werken des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“

In eben diesem Geiste der Besonnenheit und Mäßigung, fern von jenem Rausche der Setbstüberhebung, den das französische Volk und seine Beherrscher uns gegenüber so oft gezeigt, wurden deutscherseits auch die Friedensverhandlungen geführt, die nach monatelangen Berathungen am 10. Mai in Frankfurt am Main zum Abschluß gelangten.

Zwar klagten die Besiegten laut über die Härte des Siegers, der die „Unantastbarkeit“ des „heiligen Frankreich“ nicht respectire; zwar suchte Herr Thiers auf seiner Rundreise durch Europa alle Großmächte aufzurufen gegen die angeblich unerhörten Forderungen Deutschlands; zwar ließen er und Herr Jules Favre es bei den Friedensverhandlungen an elegischen Schmerzens- und Verzweiflungsausbrüchen nicht fehlen; allein [[[Otto von Bismarck|Bismarck]], „der eiserne Graf“, blieb unerbittlich; ruhig, aber fest forderte er das, was für Deutschlands Sicherheit gegenüber Frankreich unerläßlich war, nicht mehr, aber auch nicht weniger; er forderte das, was uns schon 1815 hätte zu Theil werden müssen, wenn nicht die Eifersucht unserer Bundesgenossen und die Uneinigkeit Deutschlands damals uns darum gebracht hätte; er forderte das, was ehemals unser war und nur auf die schnödeste Weise, durch Verrath, Hinterlist und Gewaltthat, uns entrissen wurde. Sind es doch in wenigen Monden zweihundert Jahre, daß die Perle Deutschlands, daß der werthvollste Schutz des Reiches nach Westen, Straßburg, von dem einst Karl der Fünfte gesagt: „Wenn Wien und Straßburg gleichzeitig in Gefahr wären, ich würde zuerst eilen, Straßburg zu retten“ – daß diese Stadt mitten im Frieden, gegen alle Verträge, dem deutschen Reiche von Ludwig dem Vierzehnten entrissen wurde.

Und was will diese Zurücknahme zweier uns geraubten Provinzen – alles in allem 264 Quadratmeilen mit 1,550,000 Einwohnern – nach einem von der Gegenseite mit so frevelhaftem Muthwillen uns aufgedrungenen, von uns mit einem so ungeheueren Einsatz von Gut und Blut geführten und mit so glänzenden Erfolgen gekrönten Kriege – was will sie bedeuten gegen die maßlosen Ausbeutungen und Beraubungen, welche französische Herrscher sich gegen uns erlaubt haben, gegen jene Milliarden, die Napoleon der Erste in Form von Contributionen u. dergl. m. aus Deutschland gezogen, gegen die 4,256 Quadratmeilen und die circa 11 Millionen Einwohner, nur welche er Oesterreich, die 2,693 Quadratmeilen und 4,805,000 Einwohner, um welche er Preußen verkleinert, gegen die abermals tausende von Quadratmeilen und Millionen von Einwohnern, die er außerdem noch in brutalster Weise aus dem Körper Deutschlands herausgeschnitten und sich oder seinen Verwandten angeeignet hat? Was wollen dagegen diese Abtretungen Frankreichs – noch dazu bloße Rückabtretungen – sagen, die ihrem Gebietsumfange nach nicht ganz so groß, ihrer Einwohnerzahl nach noch nicht halb so groß sind, wie das kleine Königreich Sachsen?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_316.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)