Seite:Die Gartenlaube (1881) 271.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ebenso erfreulich ist die Wahrnehmung, daß an der Spitze des Ausgabe-Etats das Schulwesen steht, welches die höchste Quote der Einnahmen, nämlich 25,82 Procent, d. h. für das Jahr 1876 7,374,000 Mark, in Anspruch nahm.

Früher führten die von der Stadtgemeinde unterhaltenen Elementarschulen den Namen „Communal-Armenschulen“; später nannte man sie nur Communalschulen. Aber auch als im Jahre 1863 die Erinnerung an den ursprünglichen Namen durch die Bezeichnung „Gemeindeschule“ ausgelöscht wurde, trug das städtische Volksschulwesen noch die Merkmale des Armenschulwesens. Im Anfang des Jahres 1861 sorgten nur zwanzig Communalschulen und fünfunddreißig Privatschulen, in denen Kinder auf Kosten der Stadt unterrichtet wurden, für das Schulbedürfniß solcher Kinder, für die von den Eltern ein volles Schulgeld nicht entrichtet werden konnte. Die genannten Privatschulen waren gegen Zahlung des vollen Schulgeldes allgemein zugänglich, aber die Communalschulcn selbst wurden nur von den Armenkindern besucht, und die Einschulung erfolgte ausschließlich durch die Freischulexpedition, während die Festsetzung der Schulgeldbeiträge sowie die Bewilligung ganzer Freischule den Armencommissionen vorbehalten war.

Dem Wunsche, die Gemeindeschulen von aller Verbindung mit der Armenverwaltung zu lösen, lag von Anfang an die Ansicht zu Grunde, daß die Vereinigung der Armen mit den günstiger Gestellten auch das beste Mittel zur sittlichen Hebung der Verlassenen sein und eine wohlthätige Annäherung der verschiedenen Volksclassen unter einander bewirken werde. Alle diese Bemühungen erhielten einen Abschluß durch die „Instruction für die Schulcommissionen hiesiger Residenz“, welche unterm 17. December 1868 mit Zustimmung der Stadtverordneten erlassen wurde. Hiernach wurde die Stadt in vierzig Schulcommissionsbezirke getheilt, die wieder in zehn Schulinspectionen gefaßt waren.

Diese Organisation trat mit dem 1. April 1869 in’s Leben, aber der letzte entscheidende Schritt, der dem Berliner Gemeindeschulwesen sein gegenwärtiges Gepräge aufdrückte, erfolgte noch in demselben Jahre: Die Aufhebung der Schulgelder wurde von den Stadtverordneten beschlossen, und schon vom 1. Januar 1870 ab war der Besuch der Gemeindeschule unentgeltlich.

„Selten ist in der Stadtverwaltung ein heilsamerer Beschluß von kaum übersehbarer Tragweite mit gleicher Kühnheit gefaßt, mit gleich ausdauernder Opferbereitschaft bis in seine letzten Consequenzen durchgeführt.“

Zwar das augenblickliche Geldopfer schien nur gering. Der Aufwand für das Volksschulwesen betrug im Jahre 1868 circa 1,469,000 Mark, an Schulgeld aber waren nur 138,000 Mark eingekommen, davon beinahe 17,000 Mark erst durch den Executor beigetrieben. Die Folge des Beschlusses aber war zunächst die Verpflichtung, allen Zutritt begehrenden Kindern Raum zu schaffen. Daher die außerordentliche Vermehrung der Schulen und Classen; denn heute sorgen, statt jener 20 des Jahres 1861, 114 Gemeindeschulen und außerdem noch zahlreiche Privatschulen sowie 23 städtische höhere Schulanstalten für das Bildungsbedürfnis der auf 95,576 Gemeinde- und 22,245 höhere Schüler angewachsenen Schulbevölkerung Berlins. An den Gemeindeschulen allein aber wirkten ultimo März 1880: 106 Rectoren, 1029 Lehrer, 461 Lehrerinnen in 1546 Classen nach einem einheitlichen, den Erfordernissen neuerer Pädagogik entsprechenden Lehrplane unter der Inspection von 6 weltlichen, pädagogisch gebildeten, von der Stadt gewählten, vom Staate anerkannten Schulinspectoren. Die sämmtlichen Schulen sind, mit Ausnahme von vier evangelischen und sechs katholischen, die diesen Charakter stiftungsgemäß bewahren müssen, paritätisch und Schülern wie Lehrern aller Confessionen zugängig. Für die weit überwiegende Zahl der Schulen sind mit allen Erfordernissen der Neuzeit ausgerüstete, geschmackvolle Schulgebäude errichtet, diejenigen für die höheren Schulen fast Schulpaläste zu nennen. Dazu kommen Fortbildungsschulen, in denen ebenfalls der Unterricht unentgeltlich ertheilt wird, eine Taubstummenschule und in neuester Zeit die Handwerkerschule zur besseren technischen Ausbildung der Lehrlinge. Das sind die Leistungen einer nach dem Ausspruche des Reichskanzlers „ihren großen Aufgaben in keiner Weise entsprechenden städtischen Finanzverwaltung“.

Nicht minder überraschend sind diese Leistungen auf fast allen anderen Gebieten, aber um sie schildern zu können, dazu müßten wir mindestens das Zehnfache des Raumes beanspruchen, den uns bis hierher die Geduld der Leser gewährt hat.

Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten. Wer wird leugnen wollen, daß nicht auch die Organe der Berliner Selbstverwaltung einmal Mißgriffe machen, verfehlte Experimente, wie z. B. die Tegler Tiefbrunnen bei den Wasserwerken, die viel Geld kosten? Wer wird ferner leugnen wollen, daß mancher in einem bürgerlichen Ehrenamte nicht nur die allgemeinen Interessen, sondern auch die eigenen zu fördern unternimmt? Ist es endlich zu verwundern, wenn unter den circa 16,000 im Dienste der Stadt arbeitenden Bürgern auch einmal einer sich findet, der das ihm anvertraute Geld ehrlos unterschlägt? Berechtigt dies gewisse Blätter, die ganze städtische Verwaltung, in der mit so viel Opferfreudigkeit, Intelligenz und Hingebung gearbeitet wird, und an deren Spitze Ehrenmänner im strengsten Sinne des Wortes stehen, maßlos zu schmähen und zu verdächtigen?

Wie aber steht es mit dem sogenannten „Fortschrittsring“? Mit Stolz dürfen wir sagen: es ist nicht ein Ring, nein, eine Kette des Fortschrittes, die sich seit zwanzig Jahren durch alle Bestrebungen der städtischen Behörden Berlins hindurchzieht und die allerdings zum Theil zusammenfällt mit dem Eindringen und allmählichen Anwachsen des Einflusses von hochgeachteten Männern der Fortschrittspartei innerhalb der städtischen Verwaltung, aber noch an keiner Stelle hat sich ein einseitiges Vordrängen des Partei-Interesses gezeigt; auch mit conservativen Elementen ist treu zusammengearbeitet worden, und lange Jahre hindurch, bis an seinen Tod, nahm ein Mitglied der conservativen Partei, der verstorbene Vollgold, den zweiten Ehrensitz in der Stadtverordnetenversammlung ein. In der Stadtverordnetenversammlung wie im Magistrat Berlins ist an Stelle des früheren oft gespannten, selbst bis zu Conflicten gesteigerten Verhältnisses zwischen beiden Körperschaften ein harmonisches Zusammenwirken getreten, ein reger Wetteifer in der Lösung der einen Aufgabe, welche keine andere ist, als diese: unter Anerkennung der gegenseitigen Rechte, das Beste der Stadt und die Wohlfahrt aller ihrer Bürger nach Kräften zu schützen und zu fördern.

Mit Stolz kann die Berliner Selbstverwaltung allen Anfeindungen zum Trotz heute auf das Wort verweisen:

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“




Blätter und Blüthen

Noch einmal der „deutsche Schulverein“ in Oesterreich. Wir haben vor Monaten (in Nr. 45 des vorigen Jahrganges) die Errichtung eines deutschen Schulvereins in Oesterreich als Beweis für das Erwachen des Nationalgefühls unter unseren dortigen Stammesgenossen freudig begrüßt und schon damals auf die außerordentliche Bedeutung, die dem Vereine innewohnt, hingewiesen; heute sind wir in der angenehmen Lage, auf Grund des Ergebnisses der am 13. Februar dieses Jahres abgehaltenen ersten Generalversammlung bereits nicht unbedeutende Erfolge dieses volksthümlichen Unternehmens verzeichnen zu können.

Während des ersten Halbjahres seines Bestandes (2. Juli bis 31. December 1880) hatte dieser Verein bereits eine Ausbreitung erhalten, wie selten ein anderer. In 814 Orten Oesterreichs, 25 Orten Ungarns, 67 Orten des deutschen Reiches und 20 Orten des übrigen Europas, sowie am Cap der guten Hoffnung befinden sich Vereinsmitglieder. Ihre Zahl beläuft sich auf etwa 27,000, von denen allein 6000 in Wien ansässig sind, während aus dem deutschen Reiche bereits über 400 Mitglieder gewonnen wurden. Unter den gesammten Mitgliedern befinden sich 666 Körperschaften, und auch 1084 Frauen sind dem Vereine beigetreten. 1074 Mitglieder haben einmalige Beiträge von mindestens 20 Gulden österreichisch (40 Mark), im Gesammtbetrage von 30,411 Gulden 71 Kreuzer, beigesteuert, während von den Mitgliedern an Jahresbeiträgen von mindestens 1 Gulden (2 Mark) zusammen 24,699 Gulden 27 Kreuzer entrichtet wurden. Die Gesammteinnahme des Vereins betrug 58,704 Gulden 75 Kreuzer, und am Jahresschlusse verblieb ein unantastbarer Gründungsfonds von 30,597 Gulden 37 Kreuzer, sowie ein verfügbarer Betrag von 20,874 Gulden 19 Kreuzer.

So bedeutend auch diese Summen für den halbjährigen Bestand des Vereines scheinen mögen, so bedarf derselbe doch zur Erreichung seiner Ziele noch mancher Opfer seitens des deutschen Volkes.

Der Ausschuß war bestrebt gewesen, mit den vorläufig zur Verfügung stehenden Mitteln nach Kräften zur Ausführung seiner Ausgabe beizutragen, indem er an folgenden Grundsätzen festhielt:
1) An jenen Orten ist zuerst Hülfe zu bringen, wo ein längeres Zuwarten Gefahren für den nationalen Bestand der Stammesgenossen nach sich ziehen könnte.
2) Die schwächsten und daher am leichtesten fremdartigen Einflüssen ausgesetzten Reste deutschen Culturlebens sind zuerst zu stützen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_271.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)