Seite:Die Gartenlaube (1881) 268.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


die aber ebenfalls den Titel Stadtrath führen, zusammen aus vierunddreißig Mitgliedern.

Während in dem Collegium des Magistrats sich die gesammte Verwaltung concentrirt und er dieselbe nach außen hin und der Stadtverordnetenversammlung gegenüber zu vertreten hat, greift doch insofern eine Decentralisation Platz, als in Berlin in sehr ausgedehntem Maße von der Bestimmung der Städte-Ordnung (§ 59) Gebrauch gemacht wird, nach welcher zur dauernden Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftszweige besondere Deputationen entweder blos aus Mitgliedern des Magistrates oder aus solchen beider Gemeindebehörden oder aus letzteren und aus stimmfähigen Bürgern gewählt werden können. Man hat sich in Berlin mit Recht für die letztere Zusammensetzung entschieden, und gegenwärtig bestehen achtzehn solcher gemischten Deputationen, in gewissem Sinne die Ministerien der Stadtverwaltung, wie z. B. die Steuer- und Einquartierungsdeputation, die Armendirection, die Baudeputation.

In der localen Verwaltung – abgesehen von der für die Veranlagung der Staats- und Communalsteuern eintretenden Mitwirkung zahlreicher Bürger – werden der Magistrat und seine Deputationen unterstützt:
1) durch die Bezirksvorsteher (Ende 1866: 122, Ende 1879: bereits 210);
2) durch die Armencommissionen, gegenwärtig 223 an der Zahl mit gegen 1800 Mitgliedern;
3) durch die Schulcommissionen, in welchen Ende 1876 bereits 1024 Bürger arbeiteten;
4) durch die Waisenräthe, in denen 1876: 315 Bürger thätig waren, die von 249 Waisenpflegerinnen unterstützt wurden.

Dem Magistrate zur Seite oder gegenüber stehen, als für die Stadt gesetzgebende, geldbewilligende und controllirende Vertretung der Bürgerschaft, die Stadtverordneten. Das Wahlsystem ist ein sehr unglückliches, auf dem Dreiclassenprincip beruhendes, das Bismarck einst im norddeutschen Reichstage ebenso scharf wie gegenwärtig die Miethssteuer gebrandmarkt hat und das trotzdem noch heute besteht. Die Städte-Ordnung von 1808 hatte das Bürgerrecht an einen hohen Census und an sonstige erschwerende Bedingungen geknüpft – das Einzugsgeld kostete für Berlin 20 Thaler und die Erwerbung des Bürgerrechtes außerdem noch 30 Thaler; Bürger wurde daher nur, wer gesetzlich dazu verpflichtet war, wie die Gewerbtreibenden und Hausbesitzer, die übrigen Einwohner der Stadt blieben ohne Stimmrecht und hießen: Schutzverwandte. Die Bürger selbst aber waren vollkommen gleichgestellt, sie wählten in mäßig großen, localabgegrenzten Bezirken, in geheimer Wahl und in feierlicher Weise in den Kirchen den Stadtverordneten ihres Bezirks, mit dem sie daher durch nachbarliches Interesse eng verbunden waren und der seinerseits in allen besonderen Fragen seines Bezirks der Stadtverwaltung die genaueste Auskunft in sachlicher wie personeller Beziehung ertheilen konnte. Die der Reactionszeit entsprungene Städte-Ordnung von 1853 hat an Stelle dieser Einrichtung das Dreiclassensystem mit öffentlicher Abstimmung gesetzt. Die Dreitheilung nach den gezahlten Steuern erfolgt durch die ganze Stadt, da nun aber trotzdem die Wahl in localabgegrenzten Bezirken erfolgen soll, so ergiebt sich daraus, da die Wähler erster und zweiter Abtheilung sehr zerstreut unter der übrigen Menge wohnen, daß die Wahlbezirke vergrößert wurden, immer eine ganze Reihe von Stadtbezirken umfassen müssen und so das nachbarliche Interesse und der persönliche Zusammenhang unter den Wählern ganz verloren geht.

Dazu kommt noch ein anderer Uebelstand. Da alljährlich nur ein Drittel der Stadtverordneten neu gewählt wird, so muß die ursprüngliche Wahlbezirkseintheilung in der alten Stadt stets beibehalten werden; sie kann nur durch die Anfügung neuer Bezirke an der Peripherie mit dem steigenden Wachsthum der Stadt ergänzt werden. Dies und, da außerdem auch die Zahl der Stadtverordneten fixirt war (bis zum vorigen Jahr 108) hat dann zur Folge gehabt, daß sich in den Wahlbezirken die größte Ungleichheit der Wählerzahl ergeben. Diesem Uebelstand hat man nun im vorigen Jahre einigermaßen dadurch abzuhelfen gesucht, daß man die Zahl der Stadtverordneten auf 126 erhöht und die 18 neuen den Bezirken und Abtheilungen zugetheilt hat, welche die meisten Wähler enthalten. Trotzdem sind sehr erhebliche Ungleichheiten ungetilgt geblieben.

Die Complicirtheit und Unpopularilät dieses Wahlsystems ist offenbar mit schuld daran, daß die Betheiligung an den städtischen eine weit geringere als an den politischen Wahlen ist.

Die Stadtverordneten-Versammlung selbst tagt regelmäßig Donnerstags in ihrem Sitzungssaal. Sie ordnet ihre Geschäfte nach einer im Jahre 1875 neu festgestellten Geschäftsordnung, welche den früheren Grundsatz verlassen, daß ein für alle Mal alle wichtigen Vorlagen durch ein und dieselbe Deputation, die sogenannte Geldbewilligungsdeputation, vorberathen und für die andern Vorlagen Referenten vom Vorsitzenden der Versammlung ernannt würden, Einrichtungen, die allerdings dem Vorsteher und einer kleinen Zahl von Mitgliedern einen überwiegenden Einfluß verschafften. Jetzt findet die Berathung einer jeden Vorlage in erster Lesung sofort im Plenum statt, und nur diesem selbst steht es zu, die Verweisung an einen Ausschuß oder die Ernennung von Berichterstattern zu beschließen.

Wenden wir uns nun zu der gegenwärtig jedenfalls im Vordergrunde des Interesses stehenden Frage: welche Steuern hat die Selbstverwaltung Berlins ihren Bürgern auferlegt oder bestehen lassen? Wie ist ihr Finanzzustand? Wie groß ihre Schuldenlast und welche Vortheile gewährt sie dagegen den Einwohnern?

Seit der königlichen Verordnung vom 25. Januar 1815 über die Serviseinrichtung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, beziehungsweise seit der Neugestaltung des Staatssteuersystems zu Anfang der zwanziger Jahre, flossen die Einnahmen, welche die Stadtgemeinde aus Steuern bezog:
1) aus der Haussteuer, dem sogenannten hergebrachten Hausservis, welche nach der ged. Verordnung mit 4 Procent des Miethsertrages gesetzlich genehmigt wurde;
2) aus der Wohnungs- oder Miethssteuer , welche nach derselben Verordnung mit 8 1/3 Procent des Miethsbetrages von den Miethern erhoben werden dürfen;
3) aus einem Zuschlage von 25 Procent zu der vom Staat erhobenen Mahl- und Schlachtsteuer;
4) aus einem Zuschlage von 25 Procent zu der Braumalzsteuer des Staates.

Hierzu waren später noch als dauernde Steuern getreten:
1) die Hundesteuer 1829;
2) die Wildpretsteuer 1847;
3) ein Drittel des Steuerertrages der Mahlsteuer, auf welches der Staat durch die Verordnung vom 4. April 1848 und durch das Gesetz vom 1. Mai 1851 zu Gunsten der mahl- und schlachtsteuerpftichtigen Städte verzichtete.

Von diesen Steuern ward in der Periode von 1861 bis 1876 die Haussteuer slatt mit 4 Procent bis zum Jahre 1864 einschtießlich nur mit 3 1/5, seit dem Jahre 1865 nur mit 2 2/9 Procent, die Miethssteuer, mit Ausnahme dreier Quartale des Jahres 1868, aber nur mit 6 2/3 Procent des Miethsertrages erhoben. Diese Steuern reichten aus bis gegen Ende der sechsziger Jahre, wo sich der Einfluß der großen Weichbilderweiterung des Jahres 1861 fühlbar machte, welche zunächst der Stadt große Opfer auferlegte, ohne daß man aus den neuen nur unvollständig bebauten Gebieten entsprechende Einnahmen an Steuern ziehen konnte. Bei der Aufstellung des Etats für 1868 ergab sich ein Deficit von Einer Million Thaler. Dies und die schon damals in Aussicht stehende und allgemein gewünschte Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer wies auf eine durchaus notwendige Vermehrung der Einnahmequellen hin, und nach langen Verhandlungen zwischen dem Magistrat und den Stadtverordneten gelangte man zu einer Einigung dahin, daß
1) vom Jahre 1868 ab die Gewinnüberschüsse der städtischen Gasanstalt, welche bis dahin zu Erweiterungsbauten verwendet worden waren, in die Stadtcasse fließen sollten;
2) daß vom 1. Januar 1869 ab eine Gemeinde-Einkommensteuer erhoben werden sollte.

Der wesentliche Grundsatz, der für diese Steuer schon damals angenommen und seitdem festgehalten worden, ist der, daß dieselbe eine Supplementarsteuer bildet, welche in ihrer Höhe wandelbar ist und nur nach dem bei Feststellung des Jahresetat sich herausstellenden Bedürfnisse zur Ausschreibung gelangt. Durch dieses rechtzeitige Vorgehen der Stadtbehörden in Vermehrung der Einnahmequellen war es allein möglich, daß die Stadt den sehr erheblichen Ausfall, welcher durch das unter dem Ministerium Bismarck's am 25. Mai 1873 erlassene Gesetz wegen Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer eintrat, ohne jede Schwierigkeit überwinden

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_268.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)