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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Anblicke dieses „Sitzes“, überhaupt der ganzen Cavalcade, überlaufen, und nur die krampfhaft verzerrten Angstgesichter der „hoch über der Menschheit“ Schwebenden ließen mich die getroffene Wahl nicht bereuen. Unter dem größten Trubel beim Wiehern und Ausschlagen der Pferde, dem Gekreische geängstigter Kinder und dem nicht minder durchdringenden ihrer entsetzten Mütter, dem Gejohle und Gejuble der Menge setzte sich endlich der lange Zug, Seesoldaten und Musik wieder voran, bei den Klängen des Preußenmarsches in Bewegung.

Unser Weg führte uns an den Ställen der königlichen Elephanten vorbei und auf einen Platz, an dessen Ende der Palast gelegen und dessen ganze Länge von einer Abtheilung siamesischer Truppen eingenommen war. Diese Truppen präsentirten sich als das Bettelhafteste, das ich je im Leben gesehen. Sie waren in schlechte, gelbe, einheimische Kleider gehüllt, gingen barfuß und trugen alte, abgeschabte, spitze Hüte. Als Waffen führten sie theils Piken, theils landesübliche Säbel. Am seltsamsten aber erschien ein Trupp von etwa hundert Mann, von denen jeder zwei alte, furchtbar verrostete Cavalleriesäbel führte und zwar ohne Koppel und ohne Scheide, unter jedem Arme je einen tragend. Am Endpunkte dieses seltsamem, barocken Spaliers hielten fünf Kriegselephanten; auf ihren Rücken Siamesen in rothen Anzügen und mit Speeren bewaffnet. Diese Prachtthiere, an deren Anblick sich das Auge erholen konnte, standen dem Eingange des Palastes gegenüber, und in diesen selbst traten wir nunmehr ein.

Der Hof, der uns zuerst aufnahm, war ungewöhnlich geräumig. Eine Compagnie europäisch uniformirter Siamesen befand sich auch dort, uns zu Ehren, aufmarschirt. Ihre Uniformen waren abgetragene und äußerst schmutzige holländische, und in einem seltsamen Contraste zu seinen Untergebenen stand der diese Compagnie befehligende Officier. Der braune „Stabsofficier“ war in eine nagelneue, höchst elegante englische Majorsuniform gezwängt, trug weite weiße Hosen, war aber ohne jede Bewaffnung. Der anfangs meiner Zeilen erwähnten Landesmode gemäß, fehlte auch seinem Glanze das Schuhwerk. Ihre Griffe machte übrigens diese Elitetruppe gar nicht so übel.

Inmitten des Hofes erhob sich ein kleines Gebäude, in das wir aufgefordert wurden einzutreten, und in dem sich der Minister des Auswärtigen, Pack-ram, befand, der uns zuvorkommend, aber formell empfing und uns ersuchte, eine kleine Weile zu verziehen. Da wir schon vorbereitet waren und wußten, daß sich diese „kleine Weile“ auf eine Stunde mindestens, der siamesischen gestrengen Hofsitte gemäß, hinziehen würde, so beschlossen wir, diese Wartezeit dazu zu benutzen, den weißen Elephanten, der ganz nahebei ein eigenes, blauangestrichenes Haus bewohnte, in Augenschein zu nehmen. Wir fanden denn diesen berühmten Weißen wenig heller, als die anderen seines Geschlechts, seine graue Taille spielte nur mehr in’s Röthliche, auch hatte er rothe Augen, wie ein Albino. Uebrigens war er ein schönes Thier und wurde von den frommen Landesbewohnern als besonders heilig verehrt. Aber auch dieser Heilige hatte, ebenso wie der große Buddha im Tempel Wat-po, dicht neben sich einen Concurrenten in der ihm gezollten Anbetung und zwar in der Person eines ebenfalls weißen und ebenfalls heiligen – Affen. Wenn sein großer Nebenmann aber ein schönes, gutmüthig dreinschauendes Geschöpf war, so kann man das weniger von diesem heiligen Pavian behaupten, der, ungeachtet seiner unschuldigen Farbe, ein ganz besonders bösartiges und wenig Zutrauen einflößendes Ansehen hatte.

Wir waren kaum in den ersten Hof zurückgekehrt, als wir einen Höllenlärm vernahmen und erfuhren, daß der König im Begriff sei, sich mit seinem Hofstaat in den großen Audienzsaal zu begeben. Gleich darauf wurden wir denn auch „befohlen“ und führte man uns zunächst in einen zweiten, inneren Hof, in dem abermals eine Compagnie europäisch uniformirter Soldaten und fünf weitere Kriegselephanten Spalier bildeten, durch das hindurch wir, begleitet von über fünfzig einheimischen Trommlern und Pfeifern, die mit Ausübung ihrer Kunst uns beinahe das Trommelfell sprengten, der großen Audienzhalle zuschritten. An ihrer Eingangsthür tobte uns wiederum ein ganzes Corps von rothgekleideten Musikanten einen Willkomm entgegen mit ihren blechernen, messingenen und kupfernen Instrumenten, mit dem verglichen der vorangegangene Lärm als sanftes Säuseln erschien. Halb betäubt, entrannen wir endlich dieser musikalischen Scylla und Charybdis, erstiegen die Stufen der Halle, schritten durch ihre offene Thür und – sahen uns in einen Raum versetzt und einer Scene gegenüber, die uns mit Staunen, ja, daß ich es gestehe, mit Bewunderung erfüllte.

Die ganze mächtige Halle mit ihren zahlreichen schlanken Säulen, die, wie die ganzen Wände ringsumher, reich vergoldet waren, ihrer phantastisch geformten und verzierten Decke, die, gleichfalls auf das Verschwenderischste vergoldet, mächtig in die Höhe strebte und mittelst eines seitwärts durch grüne Scheiben fallenden Lichtes höchst eigenthümlich und wirkungsvoll beleuchtet war – alles das bot einen wirklich prachtvollen, imposanten Anblick dar. Die Halle bildete ein längliches Viereck, dessen schmale Seiten von europäischen Sophas und Tischen eingenommen wurden, während ihre Wände rechts die Bilder des Kaisers und der Kaiserin von Frankreich, links die einiger Engländer trugen. In der Mitte der langen Wand, gerade der Eingangsthür gegenüber, erhob sich in einer Art von Nische unter einem Baldachin und auf einer Erhöhung, zu der von beiden Seiten je eine Treppe führte, der über und über vergoldete Thronsessel. Auf ihm, in seinen goldstoffenen Gewändern vom Hintergrund kaum unterscheidbar, saß König Maha-Mongkut. Erst eine Bewegung seiner, der schon mehrfach erwähnten Etikette gemäß vollkommen nackten, dunklen Beine ließ uns ein lebendes Wesen auf dem Throne erkennen. Ein zweiter Blick zeigte uns einen wohlgebildeten, kräftigen Mann in seinen besten Jahren, gekleidet in ein Gewand, dessen Goldbrocat mit Diamanten und edlen Steinen bedeckt war und dessen Haupt ein schwarzes Sammetbarett mit Diamantenguirlande und Reiherbusch zierte. Um ihn herum, zu den Stufen seines Thrones, lag seine – Amazonengarde, leider aber durch ein goldenes Gitter unseren Augen entzogen. Vergebens richteten wir gerade auf diesen Punkt den geübten Seemannsblick; außer einigen über das Gitter hinüberragenden Lanzenspitzen war nichts zu erspähen, und die Behauptungen einiger windigen Cameraden, so und so viel Reize durch die neidische Schutzmauer hindurch erschaut zu haben, sind entschieden in das Reich der Fabel und der blassen Renommage zu verweisen. Nein, die schönen Amazonen, so vernichtend und verheerend sie sich sonst den armen verlorenen Männern entgegenstürzen mögen, uns schonten sie gnädig und setzten uns nicht einmal dem gefährlichen Feuer ihrer Augen aus.

Zu beiden Seiten des Thronhimmels lagen auf rothsammetnen Kissen, den goldenen Spucknapf und die Beteldose nebst Kohlenbecken von gleichem Metall vor sich, in ihren kostbarsten, mit edlen Steinen geschmückten Gewändern die Prinzen, Minister und Großen des Reichs, wohl gegen dreihundert an der Zahl. Die beiden Wandseiten rechts und links vom Eingang wurden von einer etwa hundertfünfzig Mann starken reichgekleideten und mit Musketen, Pistolen, Lanzen und Säbeln bewaffneten Leibgarde eingenommen.

In der Mitte des großen Raumes, unmittelbar hinter einem ganz niedrigen Tischchen, das in einer goldenen Vase den Brief des Königs trug, lag ein sammetnes Kissen für den Gesandten und neben diesem wieder eine Anzahl ähnlicher für uns bestimmter. Nachdem wir nun, Graf Eulenburg voran, bis zu dieser ominösen Sitzangelegenheit gelangt waren, machten wir Halt und Jeder seine tiefe Verbeugung. Der Gesandte trat vor, entnahm der Vase das Schreiben unseres Königs (nebenbei gesagt, eigentlich nur sein Accreditiv, aber von König Wilhelm eigenhändig an den Beherrscher Siams gerichtet) und verlas dann seine Anrede in englischer Sprache. Während dessen hatte auch der König Maha-Mongkut sein Antwortschreiben aus einer neben ihm stehenden Vase gezogen, und als der Gesandte geendet hatte und ihm entgegentrat, stieg er die Stufen des Thrones herab und der Austausch der Briefe erfolgte. Als der Graf, rückwärts schreitend, wieder bis zu seinem Kissen gelangt war, war auch der große Moment des Niedersitzens gekommen, ein Moment, dem die Meisten unter uns mit einigem Bangen entgegensahen. Erstens nämlich mußte die Procedur, dem siamesischen Hofusus gemäß, von uns Allen genau im nämlichen Moment ausgeführt werden, eine Leistung der Präcision, die an und für sich schon, noch dazu ohne vorhergegangene Generalprobe, nicht zu den leichtesten gehörte. Und dann – wir waren in Gala! Was aber ein schnelles Niedersitzen in Gala-Inexpressibles (Pardon!) besagen will, ach, meine Gnädige, das zu ermessen ist nur den armen Sterblichen vergönnt, die, in sie hineingezwängt, je diesem Mode-Moloch haben opfern müssen. Wie wir glücklich platt auf die Erde und, mit gekreuzten Beinen noch dazu, auf unsere Kissen gelangt sind, kann ich noch heute nicht begreifen, das Factum muß aber constatirt werden! Wir „plumpten“ mit echt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_263.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)