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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

der Hochschule wegen seiner Theilnahme an der Burschenschaft zudecretirt; dann, als er einen akademischen Lehrstuhl in Halle bestiegen hatte, begann eine Hatz und Jagd der Behörden nach ihm wie nach einem Edelwild, ein Wandern und Flüchten, von Halle nach Dresden, von Dresden nach Paris, von hier nach Zürich, wo er mit J. Fröbel zusammen eine Buchhandlung besaß, von dort nach Leipzig, dann nach Berlin und endlich, nach einem längeren, verborgenen Aufenthalte bei einer befreundeten Familie in der Nähe Bremens, nach England, wo er das bittere Brod des Exils genoß und schließlich in freiwilliger Verbannung ausharrte bis zu seinem Tode. Das zählt sich so leicht der Reihe nach auf und ist dennoch eine Märtyrergeschichte; denn es sind darin vierzig Jahre deutscher Volksentwickelung enthalten, trübe und heitere Jahre, Jahre des Leidens und der Erfüllung. Und das Volk trägt leichter an seinen wechselnden Geschicken als der Einzelne, der diese Geschicke auf sich nimmt und sich selbst gleichsam mit seinem Volke identificirt. Das Volk ist unsterblich; ihm kommt nie, um mit dem Dichter zu sprechen, „ein letztes Glück und ein letzter Tag“. Der Einzelne aber wartet sehnsüchtig auf das Morgen, das Uebermorgen; er jubelt über den Sonnenaufgang und bangt, ob er das Abendroth erlebe.

Ganz getäuscht ward auch Arnold Ruge nicht von seinen Hoffnungen. Die Aufrichtung des deutschen Reiches war ihm eine frohe Botschaft, und von Brighton her erscholl seine kräftige Stimme unter denen, welche forderten, daß Elsaß und Lothringen nicht belassen würden in dem Besitze der Franzosen, von denen sie uns einst in schmachvollen Tagen geraubt worden waren. Das legten ihm damals unverständige Leute als einen Abfall aus, wie sie es ihm später auch vorwarfen, daß er einen Ehrensold von dem geeinten und erstarkten Vaterlande angenommen. Arnold Runge ein Renegat! Er ist nicht Minister geworden, wie sein rumänischer Freund Bratiano, nicht Fürstendiener, wie viele Andere, welche im Jahre 1848 in effigie gehenkt worden waren. Er blieb in Brighton, sich kärglich ernährend von dem Ertrage seiner Feder. Nicht so, wie er es sich gedacht hatte, war das deutsche Volk zur Einheit und Macht emporgestiegen, aber den Gipfel hatte es erklommen, und wie ein guter Sohn, der aus dem Antlitz seiner Mutter Freude und Seligkeit liest, nicht lange fragt, sondern sich mit ihr freut und mit ihr jubelt, so ward es hell in dem Herzen Ruge’s von dem Glücke seines Volkes, und er lehnte nicht verstockt ab, was von diesem Glücke auch ihm zu Theil ward.

Mit Heinrich Leo hatte Ruge auf der Hochschule die Farbe derselben Burschenschaft getragen. Dann ging jener rechtswärts, er aber linkswärts. Leo wandte sich gegen das Volk, er aber blieb der Sache desselben getreu. Und als sie dann auch an derselben Hochschule, in Halle, zu lehren hatten, da war zwischen ihnen bittere Feindschaft. Die Geister waren wach, aber es gab noch nicht Wege und Ziele für sie. Die Pariser Juli-Revolution hatte sie geweckt, dann war Goethe gestorben, und das „Junge Deutschland“ hatte keck nach seinem Erbe gegriffen. In Wort und Schrift wallte das Freiheitsgefühl stürmisch auf, verworren tönten die Wünsche und Forderungen durch einander, und der Bundestag, dieses traurige Spiegelbild deutscher Zerrissenheit und Kleinstaaterei, rächte sich für seine klägliche Ohnmacht nach außen hin durch jämmerliche Verfolgungen und Quälereien im Innern. Da bäumte sich auch in dem „rügenschen Bauernjungen“, der bisher nur an philosophischen und philologischen Studien Gefallen gefunden hatte, der eingeborene Trotz, und mit Theodor Echtermeyer in Gemeinschaft gründete er die „Halleschen Jahrbücher“. Das war eine große That, denn von nun an marschirte auch die Philosophie in dem Reigen der Freiheitskämpfer; man konnte nicht mehr höhnisch von aussätzigen Poeten und Belletristen sprechen, da die Wissenschaft, mit dem schwersten Rüstzeug bewehrt, sich in den Lärm des Tages mischte. Die besten Geister schaarten sich um Ruge und Echtermeyer, daneben freilich auch manch problematischer Geselle, wie der Russe Bakunin, der unter dem Autornamen Jules Elizard einen Essai über „Die Revolution in Deutschland“ für die „Jahrbücher“ schrieb. In Berlin witterte man die Gefahr, und Ruge mußte, um die „Jahrbücher“ zu retten, Professur und behagliches Dasein in Halle dahingeben. Er zog mit den „Jahrbüchern“ nach Dresden und nannte sie fortan „Deutsche Jahrbücher“. Aber bald trat ihm auch die sächsische Regierung in seine Kreise, sie entzog ihm die Concession. Er ging, nachdem er mehrere Jahre in Paris und der Schweiz gelebt, nach Leipzig und etablirte das sogenannte „Verlagsbureau“, aus welchem eine Anzahl politischer Schriften hervorging, aber seine Mittel zerflossen ihm dabei. Dann, als in Berlin die Revolution ausgebrochen war, eilte er nach der preußischen Hauptstadt, um das demokratische Blatt „Die Reform“ zu gründen, wurde in das Frankfurter Parlament gewählt, wo er auf der äußersten Linken seinen Platz nahm, und förderte endlich von Leipzig aus den Dresdener Mai-Aufstand. Als Alles vorüber war und wieder Kirchhofstille in Deutschland herrschte, da floh er, wie unzählige Andere, über den Canal, schloß sich zu London in dem sogenannten europäischen Revolutionscomité an Joseph Mazzini und Bratiano an, um schließlich, ermüdet, doch nicht entmuthigt, in Brighton als Zuschauer die Händel der Welt und die Geschicke der Völker zu verfolgen.

Man hat Ruge einen Doctrinär genannt, und während er in der Frankfurter Paulskirche saß, erschien sogar in der Form der „Briefe der Dunkelmänner“ ein lateinisches Pamphlet auf ihn, als auf den „sehr gelehrten und sehr abstracten Mann“.

Nun, die echte politische Gesinnung ist stets ein wenig doctrinär und eigensinnig. Heutzutage freilich hat sich für eine abscheuliche Sache ein noch abscheulicheres Wort in das öffentliche Leben eingeschlichen: man spricht viel von Opportunisten. Ein solcher allerdings war Arnold Ruge nie; er stammte aus einer andern Zeit. Ja, er hat bis in die letzten Jahre sich abseits gehalten von Jenen, welche mehr mit den Thatsachen rechnen als mit den Gesinnungen. Ihm war es z. B. nicht verständlich, warum die Liberalen in Deutschland aus Gründen der äußeren Politik gegen den liberalen Gladstone Partei nahmen, und oft genug in seinen Briefen sprach er von seiner „Ketzerei für Gladstone“. Ein ander Mal – im September 1877 – schrieb er mir:

„Rußland hat seine Bulldoggrolle eingebüßt, und es wäre zu überlegen wie weit wir das große Slavenreich sinken lassen wollen. Habent sua fata Imperia

Darin steckte ohne Zweifel viel Pedanterie, aber noch mehr Treue gegen sich selbst; denn Ruge, wie er nun einmal war, wurzelte mit seinem ganzen Wesen im Weltbürgerthum, das er sich philosophisch zurecht gelegt hatte. Die Freiheit war ihm das Erste, die Nation erst das Zweite. So gelangte er zu dem Schlusse, man müsse den liberalen Engländer selbst dann noch unterstützen, wenn er sich als ein Feind der Deutschen erweise, und dürfe aus Haß gegen die Despotie der Zaren die nach Freiheit ringenden Russen nicht im Stiche lassen.

Wir Heutigen leben in einer Zeit, welche das nationale Interesse zum Mittelpunkte alles politischen Seins erhoben hat. Wir haben uns darüber nicht zu beklagen; denn Großes zu thun und zu schauen ward uns dadurch vergönnt. Aber wir sollen auf unsere Einseitigkeit auch nicht übermäßig stolz sein; denn eine Einseitigkeit ist es trotz alledem, alle Fragen und Bedürfnisse, auch diejenigen der Freiheit, hinter die nationalen Forderungen zurückzudrängen, und davon hielt sich Runge unberührt, wollte er sich grundsätzlich unberührt halten, indem er in England, fern von der Heimath, ausharrte. Wie in seiner Jugend auf der Kreide-Insel in der Ostsee, so hatte er im Alter in Brighton den Blick auf das Meer, den belebenden Athem der Woge, und das war ihm genug. In den Jahren des Kampfes hatte er von der heutigen Zuspitzung der Nationalitätennidee keine Ahnung, und ganz Deutschland hatte sie nicht. Man wollte frei sein, frei von der Misere des Bundestages und der Kleinstaaterei, frei von der Censur und der Polizei. Das war ja ohne Zweifel ein sehr nebelhaftes Programm, so lange man nicht wußte, was an die Stelle des Bundestages zu setzen, wie die staatliche Erneuerung Deutschlands zu bewirken wäre, und wenn wir heute die politischen Gedichte und Flugschriften des Vormärz lesen, so empfinden wir deutlich die Unklarheit, die in denselben zu Tage trat. Allein der schöne Idealismus, die Gesinnungstüchtigkeit gediehen damals besser, als heute, und Arnold Ruge war dessen ein Beispiel. Einst fragte ihn Heinrich Heine, der ihm befreundet war, indem er ihm ein neu erschienenes Bändchen lyrischer Gedichte von Robert Prutz zeigte, ob dies nicht der Dichtername Arnold Ruge’s wäre. Ruge verneinte.

„Und ich habe Sie stets mit Robert Prutz verwechselt,“ sagte Heine.

„Nun,“ erwiderte Ruge, „daß Sie mich mit Prutz verwechseln, ist nicht arg. Traurig wäre es nur gewesen, wenn Sie mich mit Heinrich Heine verwechselt hätten.“ Diese Aeußerung

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