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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

war dagewesen; sie hatte am Küchenherd gestanden, und eine grelle Flamme war jäh aus dem offenen Herdloch emporgelodert und hatte sie voll beleuchtet. Er war in Versuchung gewesen, hinüberzuspringen und mit einem Faustschlag gegen das Fenster sie aufzuschrecken aus dem tiefen Sinnen, das gleichsam einen Schleier über das schöne Gesicht des Mädchens gebreitet. Dazu wäre ihm aber auch kaum die Zeit verblieben – sie hatte sich plötzlich selbst emporgerafft, hatte mit hastigen Händen die Herdringe über die Flamme gedeckt und war mit einer dampfenden Eßschüssel in der Hand hinter der nächsten Thür verschwunden!

Der Mann draußen war noch einen Augenblick stehen geblieben; dann hatte er, sich hoch aufrichtend, gleichsam den Staub von den Füßen geschüttelt und war harten, festen Trittes unter den Fenstern des Hauses hingegangen, sodaß Mosje Dachs hinter der Flurthür nunmehr mit Fug und Recht laut geworden war. Ein Fenster hatte geklirrt – es mochte auch Jemand herausgesehen haben, aber Herr Markus war auf der Fahrstraße fürbaß gegangen wie andere Wanderer auch, die das einsame Haus interesselos seitwärts liegen ließen. … Nein, er durfte nicht länger der klägliche, erbärmliche Spielball dieser unseligen Leidenschaft sein. Schande über den Mann, der sich die Wogen leidenschaftlicher Gefühle über dem Kopf zusammenschlagen ließ! Es mußte Alles vorbei sein, als habe ein Erdsturz dort hinter ihm den rothen Würfel mit seinen Insassen verschlungen. Die Sterne waren nur blaß auf dem noch ziemlich lichten Himmel hervorgetreten, aber sie waren doch da gewesen, die wenigen, denen die vorquellenden Baumwipfel zu beiden Seiten ein Hereinlugen gestattet; sie hatten auf ihren Posten gestanden und auf den dahinstürmenden Mann unverändert herabgesehen, wie sie schon vor Jahren über seinem Kindeshaupt geschienen. Wie nur die Dichter mit diesen Unwandelbaren, im steten, tröstlichen Lichte Schimmernden die Frauenaugen vergleichen mochten! Ein hohnvolles, bitteres Auflachen hatte gespenstig in die tiefe Einsamkeit hineingeklungen. Gab es denn etwas Verlogeneres, als solch einen seelenvollen Mädchenblick unter dunklen Wimpern hervor?

So war der letzte Tag dieser stürmischen Woche, der Sonnabend, gekommen, und mit ihm der Baumeister, der den Riß des neuen Vorwerkhauses brachte. Er hatte auf der Schneidemühle zu thun, wohin ihn der Gutsherr begleitete, und blieb über die Mittagszeit im Hirschwinkel. Als aber sein Wagen vom Hofthore wegrollte, da kam auch Herr Markus schon die Treppe herab, um den Bauriß auf das Vorwerk zu tragen. Er durfte sich das wohl zutrauen – er war ja über Nacht vollkommen ruhig geworden, ja wohl, so ruhig, als sei sein Herzschlag nie alterirt gewesen. Das Gefühl der Verachtung hatte ihm den Sieg über die unselige Neigung verschafft. Und wenn ihm auch war, als scheine die Sonne gar nicht mehr so strahlend über der Welt, und als sei es so seltsam still um ihn her geworden, wie wenn die dunkle Erde alle sonnige Fröhlichkeit aus der Lebenslust in sich aufgesogen hätte, so mußte er sich darüber hinwegzusetzen wissen; besser in ein Grab sehen, als sich durch einen Zauber narren lassen und sich selbst zum Gespött werden!

Im Vorwerkgarten hatte man angefangen, das Gras zu mähen; bis auf den schmalen Weg herein waren die blumendurchsprenkelten Büschel verzettelt. Es lag aber auch ein Taschentuch da; Herr Markus nahm es auf, das feine, schneeweiße Tüchlein, dem ein zarter Veilchengeruch entströmte. Fräulein Gouvernante hatte hier promenirt, und es war leicht möglich, daß er sie jetzt dort in der Lindenlaube mit ihrer Arbeit oder einem Buche in der Hand überraschte. Das ließ ihn allerdings sehr kalt; er wünschte durchaus keine Begegnung und wollte einfach im Vorübergehen den Hut ziehen – aber auch das unterblieb.

Die Näherin stand am Tische unter der Laubenwölbung. Sie hatte sich wahrscheinlich, ermüdet und erhitzt, für einen Moment in den kühlen Schatten geflüchtet. Die Sichel lag vor ihr auf der Steinplatte neben einer Handvoll Gras, aus welchem das Mädchen die Blumen zusammensuchte.

Ohne zu grüßen, legte Herr Markus das gefundene Tuch auf den Tisch, und sein Blick streifte spöttisch nur die schlanken, braunen Hände – er mußte „der Neuen“ gedenken, die mit ihren gepriesenen Arbeitsfäusten das anmuthige Geschäft des Bouquetbindens schwerlich fortsetzte.

Und er ging weiter, als sei die Laube vollkommen leer gewesen. „Brüsk“ hatte der Forstwärter sein Thun und Wesen genannt, und das war er augenblicklich in jeder Linie, brüsk und herrisch, „ein Vornehmer“, für welchen die Dienstleute des Hauses, das er besucht, nicht existiren. … Aber schon über den Hof schritt er als ein Anderer. Die alte Frau auf dem Krankenlager durfte und sollte es nicht mitempfinden, daß ihm dieses Vorwerk nunmehr in tiefster Seele verhaßt sei.

Er breitete den Bauriß auf ihrer Bettdecke aus und weidete sich an der freudigen Bestürzung, mit welcher sie die Zeichnung des schmucken Neubaues anstaunte. Ja, da waren schöne, hohe Fenster und Glasthüren, die auf die Veranda hinausgingen. Wilder Wein sollte sich um das Eisengeländer und die Verandasäulchen schlingen, und an Stelle des öden Oekonomiehofes vor der Hauptfaçade zeigte die Skizze einen hübschen, mit Kugelakazien besetzten Rasenplatz. Er beschrieb ihr, die in einem Athem weinte und lachte, die ganze innere, zweckmäßige Einrichtung des Hauses und blieb äußerlich völlig gelassen den lächerlichen Ansprüchen und Ausstellungen des Amtmanns gegenüber, dem plötzlich der Kamm ganz gewaltig schwoll. Der unverbesserliche Aufschneider war sofort wieder Herr der Situation – das Haus baute er. Er faselte von parketirten Fußböden, von Sammetmöbeln, die er für den Salon anschaffen werde, und tadelte es heftig, daß keine eigentliche Anfahrt da sei, welche das directe Herankommen einer anständigen Equipage gestatte. Und dabei hinkte er aufgeregt durch die Stube und schlug den geflickten Schlafrock, dem ein verwaschenes Baumwollentuch aus der Tasche hing, majestätisch wie einen kostbaren Pelz über der Brust zusammen.

Der Gutsherr lächelte und drückte der Kranken, die ihn bei diesen Auslassungen angstvoll ansah, beruhigend die Hand, wobei er ihr sagte, daß er in Berlin auch nach einem bequemen Fahrstuhl suchen würde, auf welchem ihre Uebersiedelung nach dem Gutshause bewerkstelligt werden solle. Dann aber erhob er sich eiligst. Es mochte wohl die dumpfe, eingeschlossene Luft der Wohnstube sein, die ihm das Blut pochend, voll prickelnder Unruhe nach den Schläfen jagte und ihn hinaus in’s Freie trieb – er ging lediglich, um aufzuathmen, ja, nur deshalb. … Er hätte auch durch das Hofthor den Heimweg antreten können; allein da lag die Sonne breit, in greller Gluthhitze auf der verwahrlosten, steinebesäeten Fahrstraße, während der Garten mit seinen Bäumen kühlen Schatten bot, und weshalb hätte er denn nicht durch den Garten gehen sollen?


12.

Er behielt die Zaunthür in der Hand, damit sie beim Zufallen nicht knarre, und blieb einen Augenblick bewegungslos in dem schattigen Himbeergebüsch stehen, weil – nun, weil es da so, erquickend kühl war. … Und da sah er das Mädchen drüben auf dem abgemähten Grasfleck, wie sie sich eben aufrichtete und das veilchenduftende Taschentuch der Gouvernante aus der Tasche zog, um ihr Gesicht hineinzudrücken – die Intimität zwischen Herrin und Dienerin erstreckte sich somit, wie der Augenschein lehrte, selbst bis auf die Gütergemeinschaft.

Sie kehrte ihm den Rücken zu, und an der Bewegung ihrer Schultern sah er, daß sie krampfhaft athmete. Fast in demselben Moment stand er neben ihr.

„Warum weinen Sie?“ fragte er, halb im Spotte, halb beunruhigt. Das Mädchen stieß einen schwachen Schreckenslaut aus und ließ unwillkürlich das Tuch vom Gesicht fallen. Ja, die Lider waren roth vom Weinen, aber aus den Augen flammte den Fragenden hie tiefste Indignation an. Sie antwortete nicht und nahm die Sichel vom Boden auf, als beabsichtige sie, auf’s Neue zu arbeiten, ohne ihn und seine Frage zu beachten.

„Soll ich keine Antwort bekommen?“ fragte er weiter, mit verhaltener Stimme.

Sie kämpfte sichtlich mit sich selbst.

„Nicht eher, als bis ich Ihnen beweisen kann, daß Sie mich schwer beleidigt haben,“ kam es ihr gepreßt zwischen den Zähnen hervor.

„Das wollen Sie beweisen?“ Er lachte hart auf. „Ich möchte wohl wissen, wie Sie das anfangen werden. Aber das sage ich Ihnen,“ sein Ton wandelte sich plötzlich und nahm eine leidenschaftliche Färbung an, „fußfällig wollte ich Sie um Verzeihung bitten, wenn Sie mich überführten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_123.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)