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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Centralrath das Statut der „deutschen Verbandscasse für Reisende und Arbeitslose“ angenommen, welche gegen Wochenbeiträge von 10 beziehungsweise 20 Pfennig ihren Mitgliedern Reisegelder und Unterstützungen bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit bezahlt. Daß selbst in der Zeit des allgemeinen industriellen Rückgangs kein Stillstand in der Weiterentwicklung der auf dem Grundsatze der Cassenfreiheit ruhenden Gewerkvereine eingetreten, berechtigt einen Schluß auf deren Lebensfähigkeit.

Dieser kurze geschichtliche Abriß der Entstehung der Alters- und Invalidenversorgung für Arbeiter in Deutschland liefert den Nachweis, daß – von der Krankenunterstützung abgesehen – bei uns das Versicherungswesen ursprünglich auf dem Principe der Selbsthülfe beruhte; nur bei den Bergleuten machte die Gesetzgebung mit Rücksicht auf die Gefahren der Montanindustrie und häufigen Massenverunglückungen eine Ausnahme. Die Berggesetze zwangen die Arbeiter jenes gewerblichen Zweiges, sogenannten Knappschaftscassen beizutreten. Diesen äußeren Zwang will ein Antrag des freiconservativen Abgeordneten Stumm auf die Arbeiter aller Industrien ausgedehnt wissen, und der Plan des Reichskanzlers zielt auf Errichtung eines allgemeinen staatlichen oder Reichsversicherungs-Unternehmens hin, dessen Mittel durch Beiträge der Arbeiter, Arbeitgeber und Gemeinden beschafft werden sollen. Hoffen wir, daß in dem parlamentarischen Kampfe, der nunmehr bald im deutschen Reichstage über das „Unfall-Versicherungsgesetz für Arbeiter“ entbrennen wird, die wichtige Frage im freiheitlichen Sinne zum Wohle des Vaterlandes gelöst wird!

Dr. Zeller.




Blätter und Blüthen


Liszt-Medaille von H. Wittig. (Mit Abbildung S. 113.) Den Freunden des Meisters Liszt wird es nicht unlieb sein, zu erfahren, daß demselben an seinem siebenzigsten Geburtstage, am 22. October vorigen Jahres, im Freundeskreise zu Rom ein Erinnerungszeichen überreicht worden, dessen künstlerischer Werth seine Erwähnung in diesen Blättern rechtfertigen wird. Es ist eine silberne Medaille mit dem Bildniß Liszt’s, angefertigt von dem begabten und verdienstvollen Medailleur Hermann Wittig in Rom. Die Denkmünze ist ein kleines Meisterstück. Das Portrait des großen Componisten, im Profil aufgefaßt, ist so gelungen, daß man es neben die besten Bildnisse Liszt’s setzen kann. Das bekannte classische Profil tritt in voller Reinheit hervor, und die geistvollen Züge sind von idealem Hauche belebt und doch vollkommen naturgetreu und ähnlich. Die Inschrift lautet einfach: „Franz von Liszt. Ad viv(um) H(ermann) W(ittig) 1880 Dec(it)“ (Nach dem Leben von Hermann Wittig). – Der Revers zeigt eine sinnvolle allegorische Darstellung der Kunstrichtung und zugleich der Erfolge des Meisters: Als Sinnbild der romantischen Musik entschwebt einer mit Saiten bespannten geschwellten Muschel ein geflügelter Genius, welcher in der rechten Hand den Lorbeerzweig, das Zeichen der Triumphe trägt, deren Liszt, wie wenige Sterbliche, sich hat erfreuen dürfen, während die Linke einen Palmzweig als Sinnbild des erlangten Friedens trägt, den der große Künstler, wie man weiß, als seinen höchsten Triumph erstrebt hat. Ein Stern über dem Haupte des Genius mag die überirdische Richtung in der Kunst Liszt’s andeuten.

R. S.





Wir Deutsche und unser Deutsch. Wir haben so oft unseren berechtigten Stolz auf unsere Literatur ausgesprochen, daß wir dieser Wahrheit wohl einmal eine andere entgegenstellen dürfen, nämlich die: daß die Behandlung der von unseren Dichtern und anderen Literaturgrößen so hoch ausgebildeten deutschen Sprache von Seiten der Nation noch viel zu wünschen übrig läßt. Jeder Deutsche müßte vor Allem auf möglichste Wahrung der Reinheit und Richtigkeit der Sprache halten, deren Geistesschätze ihm eine so hohe Stelle unter den Culturnationen einräumen. Leider ist es damit aber gerade bei uns schlechter bestellt, als bei irgend einem andern Volke.

Den schlimmsten Einfluß auf unsere Sprache üben unsere Dialekte aus. So groß der Werth derselben als einer Quelle immer neuer Erfrischung und Bereicherung unserer Schriftsprache auch anzuschlagen ist, so beklagenswerth ist doch die Ueberherrschaft, die sie besonders in Mittel- und Süddeutschland über die Aussprache des Schriftdeutschen üben. Aber diese Lässigkeit bleibt nicht beim Sprechen stehen, sondern dehnt sich auch über die schriftlichen Aeußerungen aus, und zwar nicht blos in den Kreisen, welche gar keine Orthographie haben, sondern auch in denen der Gebildeten, ja selbst mitunter der Gelehrten.

Der Berechtigung dieser Klage wird schwerlich widersprochen werden können, aber dennoch ist die Zahl Derer, welche dies einsehen und bereit sind, dem selbstgefühlten Mangel an voller Kenntniß und Beherrschung der Muttersprache durch nachträgliche Studien abzuhelfen, nicht eben groß. Je mehr aber die Entwickelung unseres nationalen Lebens jeden Einzelnen in die Öffentlichkeit drängt, je mächtiger und wichtiger der Werth des öffentlichen Wortes wird, desto mehr werden wir darauf hingewiesen, im Punkte der Sprache das Versäumte nachzuholen. Und dieses Bedürfniß, welches sich ohne Zweifel sehr bald mit Macht fühlbar machen wird, ist es, welchem einer unserer hervorragendsten deutschen Sprachkenner und zwar in der jetzt bewährtesten Methode vorgearbeitet hat. Vor uns liegen: „Deutsche Sprachbriefe von Professor Dr. Daniel Sanders“ (Langenscheidt’sche Verlagshandlung in Berlin).

Wem es ehrlich darum zu thun ist, die deutsche Sprache in ihrem Reichthume und ihrer Schönheit ganz kennen zu lernen, sie sich völlig zu eigen zu machen und dabei in die Entwickelungsgeschichte unserer Literatur eingeführt zu werden, der wird Sanders’ Sprachbriefe bald zu den besten Kleinodien seiner Hausbibliothek zählen. Freilich verlangt dieses Schriftwerk gewissenhaften Fleiß, wenn es seinen Werth erweisen soll.





Im Kloster-Kreuzgang. (Mit Abbildung Seite 117.) Ein Bild von Kindergruppen, wie nur ein Künstlerauge sie dem Leben ablauschen, nur die Meisterhand Vautier’s sie darstellen kann! Wir befinden uns in einer Klostermädchenschule während der Erholungs- oder Spielstunde. Das Leben der Kindheit spricht zu uns aus allen Gruppen.

Warum ruhen unsere Blicke so gern auf spielenden Kindern? Vor den immer mächtiger anwachsenden Ansprüchen, welche die Gegenwart an uns stellt, flüchten wir so gern zu der kleinen Welt, die so anspruchslos, so leicht zu beglücken ist. Es giebt kein schöneres Ausruhen für die vom Sturme des Tages bedrängte Seele, als im Kreise spielender Kinder, sei’s im Kindergarten, sei’s daheim im trauten Kinderstübchen, den reinsten Freuden zu lauschen. Glücklich, wer Beides kann: an Kinderfreuden sich laben und Kinderfreuden bereiten! Daß letzteres nicht schwer ist, dafür steht uns der alte herzige Spruch: „Kinderhändchen sind bald gefüllt – sie sind ja so klein.“





Verschwunden. Der Besitzer des Hauses Teltowerstraße 6, Berlin, Herr August Alex, ist seit dem 18. vorigen Monats verschwunden. Da zur Zeit jede Spur verloren ist, glaubt man, daß derselbe in der südlichen Umgegend von Berlin, wo er zuletzt gesehen wurde, krank liegt, vielleicht ohne seinen Namen angeben zu können. Der Vermißte ist Anfangs der fünfziger Jahre, mittlerer Figur, hager, gelblicher Gesichtsfarbe; er hat einen abgestutzten grauen Vollbart, ist bekleidet mit einem schwarzen, flockigen Ueberzieher, grauem Jaquet, dunkler Hose und trägt einen grau-braunen Filzhut, goldene Uhr mit langer Kette und einen Trauring, gezeichnet S. K. Wer Angaben machen kann, die zur Ermittelung des Vermißten führen, wende sich gütigst an das Comptoir von A. Alex u. Comp., Berlin, Wallstraße 70, 2 Tr.





Kinderlose Eheleute, die eine Waise annehmen und erziehen wollen, fragen, unserer Erfahrung gemäß, stets zuerst nach Mädchen. Die armen Jungen bleiben meistens unversorgt. Und doch mehrt sich die Schaar dieser Waisen fort und fort. Soeben meldet man wieder einen siebenjährigen Knaben, der in Ostpreußen zum zweiten Male verwaist ist. Als Mutter und Vater ihm gestorben waren, hatte ihn ein Verwandter zu seinem Kinderhäuflein genommen: jetzt drückt den guten Mann selbst die Noth, und er bittet dringend, den frischen und begabten Knaben, für den er selbst nicht mehr sorgen kann, nicht in der Armenpflege seiner Heimathgemeinde zu Grunde gehen zu lassen. Wird der arme Junge eine Vaterhand und ein Mutterherz finden?




Kleiner Briefkasten.



St. v. J. in L. Das Victoria-Stift des Lette-Vereins in Berlin SW Königgrätzerstraße 90 gewährt Damen, welche sich zum Zweck ihrer Ausbildung oder behufs der Erlangung einer Stelle für längere oder kürzere Zeit in Berlin aufhalten wollen, ein angenehmes, gesichertes Heim und volle Verpflegung für den mäßigen Preis von 15 Mark 50 Pfennig pro Woche. Durch die im Hause befindliche Handels, Gewerbe-, Zeichen-, Modellir-, Koch-, Plätt- und Waschschule des Lette-Vereins ist Gelegenheit für eine praktische Ausbildung nach den verschiedenen Richtungen ebenfalls zu mäßigen Preisen geboten; das Arbeitsnachweisungsbureau – gleichfalls im Hause – vermittelt unentgeltlich Stellen und Beschäftigung. Nähere Auskunft über die Bedingungen für die Aufnahme ertheilt die Hausmutter des Stifts, Fräulein Julie Helmholtz, Berlin SW Königgrätzerstraße 90, an welche auch die Anmeldungen zu richten sind.

Fabrikant in Lodz. Die Thatsache, daß in der Schafwolle zahlreiche kleine Insecten und Ueberreste von Insecten gefunden werden, war längst bekannt. Ein gewisser Herr Levoiturier hat in neuester Zeit Rohwollen aus aller Herren Ländern auf diese Eigenschaft hin untersucht und die verschiedenartigen in den Vließen lebenden Insecten näher beschrieben. Dabei stellte es sich heraus, daß die Arten derselben je nach dem Heimathslande der Schafe verschieden sind. Die Wolle vom Cap der guten Hoffnung enthält 52 Arten solcher „Parasiten“, die australische Wolle 47, die von Buenos Aires 30, spanische Wolle 16 und russische 6 Arten. Wird Ihnen also angeblich australische Wolle geliefert, die thatsächlich Insectenarten vom Cap der guten Hoffnung enthält, so sind Sie zu der Meinung berechtigt, daß Sie „hineingefallen“ sind. So meint wenigstens der genannte Entdecker. Eine bessere Aufklärung können wir Ihnen über diesen Gegenstand nicht geben.

L. S. S. B. Beide Novellen sind als Buch nicht erschienen.

Ein Unwissender in Marburg. Laut eingezogener Erkundigungen leben von Ernst Moritz Arndt’s nächsten Verwandten noch die folgenden: ein Sohn des Dichters, welcher Oberbergrath in Trier ist, zwei Söhne in Bonn und einige Neffen in Greifswald und Stralsund. Wir übernehmen übrigens keine Garantie für die Authenticität dieser Mittheilungen.

M. M. S. Nein!

Florenz 1849. Den Artikel Der König von Sardinien und seine Bersaglieri finden Sie im Jahrgang 1855, Nr. 50, die treffliche Ballade „Des Hochländers Rache“ von Wilhelm Schröder im Jahrgang 1855, Nr. 44.

F. St. in Riga. Erhalten und an C. St. gesandt.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_120.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2024)