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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

um das Haus, eine so behütete Stille, daß man hätte meinen können, die nervenleidende alte Dame sei bereits hierher übergesiedelt. Jedenfalls lag die Wohnung unter festem Verschlusse – es war Niemand daheim, und deshalb verließ der Gutsherr nach kurzem Verweilen seinen Observationsposten, um zurückzukehren in diesem Augenblicke machte ein plötzliches, schallendes Gelächter seinen Fuß stocken. Es kam von der Hausecke mit den verhüllten Fenstern her – ein anhaltendes, tolles, ausgelassenes Lachen, das, in die tiefe Waldruhe hineinklingend, roh und verletzend das Ohr berührte. Darauf folgte erregtes Stimmengemurmel, und der eine Rollvorhang flog ein wenig auf, als bewege ihn ein unruhiges Treiben im Innen: der Stube. … Der Herr Forstwärter hatte Besuch, eine Gesellschaft guter Freunde, die es sich im kühlen Zimmer wohl sein ließen. Wie Herr Markus meinte, mochten da drüben in der traulichen Ecke Tabaksqualm und Bierdunst die Luft erfüllen, und über dem Kartenspiele wurden die lachenerregenden Späße nicht vergessen.

Nein, es war ihm unmöglich, sich das Mädchen in einer solchen Umgebung zu denken – hier war sie nicht. Ihrem stolzen Blicke gegenüber wagte sich gewiß kein solch brutales Männerlachen hervor, und doch gerade in diesem Momente wurde die Hausthür geöffnet, und die Magd trat heraus.

Sie hatte einen irdenen Krug in der Hand und stieg die Stufen herab, die Arme lässig am Leibe niederhängend, mit gesenkten Augen und die Brauen schmerzhaft zusammengezogen – das Bild eines traurigen Insichgekehrtseins.

Der junge Mann hinter der Buche hatte in seiner Empörung auf sie zustürzen wollen, allein er blieb unwillkürlich stehen, als gehe von dieser still herabschreitenden Mädchengestalt ein Schein aus, der die herandrängende dunkle Leidenschaft abwehre. … Sie schritt um die Hausecke nach der Quelle am Abhang, welche, in die primitivste Holzrinne gefaßt, ihr krystallhelles Wasser in einen Brunnentrog goß.

Herr Markus ging dem Mädchen nach, und als sie seine Schritte hinter sich hörte, wandte sie sich nach ihm um. Er war ihr bereits so nahe, daß er sehen konnte, wie sie sich verfärbte, wobei aber auch die Schmerzensfalte zwischen den Brauen so plötzlich verschwand, als sei sie weggewischt.

„Wollen Sie sich mit einem frischen Trunke erquicken?“ fragte sie, den Krug auf ein Brett unter den rauschenden Wasserstrahl haltend. „Ich werde Ihnen ein Trinkglas aus dem Hause holen –“

„In der Bibel steht: ,Und eilend ließ sie den Krug hernieder auf ihre Hand und gab ihm zu trinken,‘“ versetzte er sarkastisch, indem er ihr den Weg nach dem Hause vertrat. „Wenn Sie Rebecca sein wollen, dann müssen Sie sich auch bibelfest zeigen. Aber ich danke Ihnen, ich mag auch aus dem Kruge nicht trinken. Klares Brunnenwasser!“ höhnte er. „Sollte es wirklich nur dieser ‚frische Trunk‘ sein, den Sie auch da drüben in der Eckstube der lachenden Gesellschaft kredenzen?“

Sie erschrak heftig; das sah er mit grimmiger Schadenfreude.

„Hört man den Lärm draußen?“ fragte sie stockend.

„Ei, wundert Sie das? – Ich sollte doch meinen, es wären recht ausgiebige Stimmen, die sich dort vergnügten. Ich hoffte schon, die Herren sollten nun auch ein fröhliches Trinklied anstimmen –“

„Sie irren sich,“ warf sie mit erblaßten Lippen ein – ein feuchter Glanz verschleierte den Blick, der ihn unsicher streifte.

„Nun denn, ich irre mich. Es sind vielleicht Betbrüder, die dort in der Eckstube zusammenkommen – möglich ist’s ja.“ Er zuckte die Achseln. „Was geht es im Grunde auch mich an? Aber Eines möchte ich Sie doch fragen: Weiß Ihre Herrschaft um diesen Ihren Verkehr in dem Forstwärterhause?“

Sie hob ängstlich abwehrend die Hände.

„O nein, nein, die alten Leute haben keine Ahnung davon, und sie dürfen es auch nicht erfahren.“

„So – damit wollen Sie wohl auch mir ein Schloß vor den Mund legen?“ fragte er, an sich haltend, scheinbar gleichmüthig.

„Ich muß Sie allerdings inständigst bitten, falls Sie noch einmal vor Ihrer Abreise auf das Vorwerk kommen sollten, nicht davon zu sprechen. Ich bitte Sie, Herr –“

„Mein Gott, ja, wenn es denn durchaus sein muß. Ich kann auch schweigen, obschon ich mich sonst nicht zum Beschützer unlauterer Geheimnisse qualificire –“

„Unlauter?!“

Sie trat von ihm weg, und er mußte sich fragen, ob dieses Mädchen, das mit einem einzigen Wort, einer einzigen Bewegung eine ganze Scala aufgestürmter Empfindungen zum Ausdrucke brachte, entweder eine vollendete Komödiantin oder eine durchaus reine, unter der Herrschaft hoher Bildung stehende Seele sei.

Er bejahte sich tief erbittert das Erstere. War denn da ein Zweifel? War die übertriebene Prüderie, mit welcher sie neulich seinen Blick auf ihr verhülltes Gesicht abgewehrt, nicht die schnödeste Komödie gewesen, angesichts der Thatsache, daß sie hier vor den Augen der lärmenden Männer ohne die entstellende Hülle des „Scheuleders“ und des plumpen, dicken Busentuches ungenirt verkehrte? Und nun hatte sie auch noch die Stirn, ihn mit sanfter, beweglicher Stimme um Diskretion zu bitten. Und dabei der bezwingende Liebreiz ihrer Erscheinung, dieses beseelte Gesicht unter dem dicken nach dem Nacken zurückwogenden Dunkelhaar! Ihm war, als ringle sich eine buntschillernde Natter sanft schmeichelnd nach seinem Herzen, der er in Zorn und Schmerz den Kopf zertreten müsse.

„Aergert Sie das häßliche Wort?“ fragte er schneidend. „Nun denn, sagen wir ‚interessant‘, das interessante Geheimniß! Mit den alten Leuten werden Sie leichtes Spiel haben; sie kommen Beide nicht über die Schwelle der Hausthür und können Ihren Spuren nicht nachgehen, und ich, nun, ich habe Ihnen ja mein Wort gegeben, daß ich schweigen will, ja wohl, schweigen, als wenn mir eine mörderische Hand die Kehle zuschnürte. Aber wie steht es mit Dame Blaustrumpf? Sie ist nicht an ihre Mansardenstube gefesselt und hat flinke Füße, wie ich mich gestern Abend überzeugen durfte. Sie schwebt wie eine Fee und macht es möglich, urplötzlich wie ein Sommerwölkchen zu verschwinden, das der Wind in den Lüften zerbläst; so kann sie auch jeden Augenblick in ihrem grauen Spinnwebenschleier aus jeder beliebigen Waldecke hergeflattert kommen was dann?“

Ein kaum merkliches Lächeln schlüpfte um ihre Lippen; sie bog sich über den Brunnen und rückte das Brett mit dem überströmenden Krug aus dem Bereich der Rinne.

„Ich glaube, Ihnen schon gesagt zu haben, daß ich gar nicht im Stande bin, irgend etwas ohne ihr Mitwissen zu thun,“ antwortete sie, ihrer augenblicklichen Beschäftigung zugewendet.

„Ja, das haben Sie gesagt,“ bestätigte er. „Und es ist ja auch ganz natürlich, daß Ihr Fräulein ein solches Geheimniß patronisirt. Ist doch die Intrigue das Lieblingsspiel dieser Damen, und kann es einmal nicht in herrschaftlichen Salons sein, nun, dann nimmt man auch mit einer niedrigeren Sphäre vorlieb, lediglich aus Lust an der Sache. Ich kenne diese stille Maulwurfsarbeit im Schooße der Familie – ich kenne sie. Natürlich arbeiten sie am liebsten für sich selbst. Sie scheinen nichts zu hören, nichts zu sehen, saugen aber förmlich mit allen Poren die kleinen und großen Familiengeheimnisse in sich ein. Man hört nicht, wie und wo sie den Fuß aufsetzen, aber sie setzen ihn auf – das steht fest – und erklimmen meisterhaft Staffel um Staffel, bis sie plötzlich obenauf sitzen, die Demüthigen, die Uebersehenen, und vor den Augen einer verrathenen Braut oder denen der Töchter eines verwittweten Vaters den Rahm abschöpfen. Sollte die Kammerjungfer, die Vertraute der Gouvernante im Hause des Generals von Guseck gar nichts davon zu erzählen wissen?“

Das Mädchen stand noch halb abgewendet am Brunnen. Sie hatte einmal die Hände gehoben, um sie dann gefaltet wieder sinken zu lassen, und nun sah sie zurück, aber nicht mit dem erregten Blick des Verletztseins, den er an ihr kannte; es sprachen nur schmerzliches Erstaunen und schwerer Vorwurf aus den braunen Augen, die sie langsam zu ihm aufschlug, während sie gepreßt sagte: „Der verwittwete General von Guseck hatte einen erwachsenen Sohn und eine siebenzehnjährige Tochter, die Braut war. Sie Alle haben zu der Gouvernante der jüngeren Kinder vertrauend und hochachtungsvoll gestanden, als gehöre sie zu ihnen. Und ich weiß, daß die Gouvernante dieses Vertrauen nie, auch nicht mit dem leisestein selbstsüchtigen Gedanken gemißbraucht hat. Ich weiß es am besten; ich will die Hand darauf in’s Feuer legen.“

„Ei ja, das fehlte noch,“ unterbrach er sie herb auflachend.

„Die arme, hartgearbeitete Hand da auch noch in’s Feuer legen für diese geborene Selbstsucht! … Sind Sie nicht mitgeschleppt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_107.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)