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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Waren nun diese Erfolge überraschend genug, um unsere vollste Anerkennung hervorzurufen, so erblassen sie im Vergleich zu dem glänzenden, überwältigenden Triumphe, welchen die Idee der Schulsparcasse, durch A. de Malarce von Neuem angeregt, in Frankreich während der letzten Jahre gefeiert hatte. „Als ich (von der Wiener Ausstellung 1873) nach Frankreich zurückkehrte,“ schreibt Herr A. de Malarce selbst, „nahm ich mir vor, auch in unseren Schulen Schülersparcassen einzuführen, und besuchte zu diesem Zwecke Belgien und England. Ich verfaßte nun eine Verordnung nach meinen Beobachtungen über die verschiedenen guten und unvollkommenen Bestimmungen in dem Verfahren der anderen Länder und veröffentlichte dieselbe unter dem Titel ‚Handbuch der Sparcassen in Frankreich‘. Der Minister des öffentlichen Unterrichts sandte diese Schrift den Inspicienten der Akademien und Normalschulen, der Minister des Handels und der Landwirtschaft den Sparcassen und Handelskammern zu. Die Gesellschaft für Stiftungen der Fürsorge, die aus meinen Vorschlag am 14. November 1873 unter dem Vorsitz eines der ältesten Mitglieder, des Herrn Hippolyte Passy, früheren Handels- und Finanzministers, gegründet wurde, richtete am 20 August 1876 einen dringenden Aufruf an die allgemeinen Departementsräte, und von diesen Versammlungen antworteten einundzwanzig umgehend, die für Aufnahme eines Capitals von ungefähr tausend Francs stimmten, um die entstehenden Kosten für Druckschriften zu decken, durch Medaillen und Preise die Lehrer und Bevollmächtigten zu belohnen und die Schüler durch Pfennige für gute Censuren zu ermutigen. Man befolgte das von mir vorgeschlagene und angenommene Verfahren, und Alles ging leicht, als einmal der Anfang gemacht worden war, ohne andere Hülfe als guten Rath, aber unter dem Beistand der ganzen französischen Presse, der Mitwirkung einer großen Anzahl von Bürgermeistern, Ober-Inspectoren, Schullehrern, Delegirten aller Landestheile und mehrerer größerer Sparcassen.“

Gegen das Ende des Jahres 1874 wurde diese Agitation eröffnet, und schon im Jahre 1879 befanden sich nach einer amtlichen Statistik des Unterrichtsministeriums in 81 Departementen 10,440 Schulsparcassen. Die Zahl der sparenden Schüler betrug 224,280 d. h. 30 Procent aller Schüler, die diejenigen Schulen besuchen, in welchen Schulsparcassen eingeführt worden sind. 177,574 Schüler, d. h. vier Fünftel der sparenden Schüler, besaßen ein Sparbuch der großen Sparcasse und haben in derselben 3,602,621 Franken 20 Centimes niedergelegt.

Und welchen Einfluß dieses Erziehungsmittel auf den Sparsinn des französischen Volkes bereits ausgeübt hat, davon belehren uns folgende Zahlen.

Nach amtlicher Statistik betrug im Jahre 1870 die Zahl der Einleger 2,130,768. Nach den Kriege sank sie auf 2,016,552 und erreichte allmählich 1874 die Höhe von 2,170,066. Aber seit 1875 zeigt sich auf diesem Gebiete eine Bewegung, wie sie in Frankreich früher niemals stattgefunden hat. Die Zahl der Einleger stieg jährlich um 200,000 bis 300,000, bis sie im Jahre 1877 2,863,283 betrug. Für 1878 scheint die Zunahme noch größer gewesen zu sein. Das Vermögen der Sparcassen sank von 711 Millionen Franken vor den Kriege auf 515 Millionen im Jahre 1872 hierauf trat eine Besserung ein, sodaß 1874 573 Millionen notirt werden konnten. Aber seit 1875 wuchs der Cassenbestand um 87 Millionen im Jahre 1875, um 109 Millionen im Jahre 1876, um 153 Millionen im Jahre 1877, in welchem er im Ganzen 1 Milliarde 15 Millionen Franken betrug. Diese ungeheuere Vergrößerung der eingezahlten Summen um eine halbe Milliarde Franken in sechs Jahren verdankt Frankreich, wie der jüngste Regierungsbericht besagt, der eifrigen Agitation der Presse und der Einrichtung der Schulsparcassen deren Zahl sich in Monat August 1879 auf 12,000 belief.

Diese Erfolge ermutigten auch andere Länder zu weiteren Anstrengungen. In England übernahm im Jahre 1876 das Postamt die Kosten für die Drucksachen und Inserate zur Verbreitung; in Italien gewährte das Gesetz vom 27. Mai 1875 über die Postsparcassen denjenigen Schuldirectoren, welche am eifrigsten und wirksamsten zur Verbreitung der Schulsparcassen beigetragen hatten, Vorrechte und Prämien „in Anbetracht der guten erziehenden Resultate“. In Oesterreich besteht ein „Sparverein für Kinder“, welcher, von Dr. Roser unterstützt, vornehmlich seit 1877 diesen Zweck verfolgt.

Auch in Ungarn fanden die Schulsparcassen eine günstige Aufnahme. War es doch Franz Deak, der ungarische große Patriot, welcher im Jahre 1873 dem Herrn A. de Malarce versicherte: wie sehr er die Sparcassen als Mittel der Civilisation anerkenne und besonders die Schulsparcassen für die beste Einrichtung halte, um durch eine sparsame und moralische Erziehung der Kinder die Sitten eines ganzen Volkes zu verbessern. Den Bemühungen des königlichen Raths Fr. Weiß, des Präsidenten der Handelskammer, verdankt Ungarn gegenwärtig eine rasche Verbreitung dieses Instituts und die billige Beschaffung der Drucksachen von Seiten der Regierung und der Communalbehörden, die für eine Schule von hundert Kindern nur einer Gulden zweiundachtzig Kreuzer kosten. In den Strom der Agitation sind Portugal und Spanien hingerissen worden, und Nordamerika sucht die Erfahrungen und Fortschritte des Mutterlandes zu seinem Nutzen zu verwenden.

Was hat bis jetzt Deutschland zur Lösung dieser wichtigen Frage beigetragen? Deutschland, welches unter den sparenden Völkern der Welt neben England die erste Stelle behauptet! Deutschland, wo ein einziger Staat, Preußen, im Jahre 1878 ein Sparcassenvermögen von 1,473,062,002 Mark aufzuweisen hatten also rund 660 Millionen Mark mehr als das gesammte Frankreich!

In der Tagespresse fanden wir vor Kurzem eine Notiz, die alle Beachtung verdient. Sie lautet:

„Die Schulsparcassen haben von der Tagesordnung unseres öffentlichen Lebens nicht dadurch verschwinden können, daß einige Lehrerversammlungen sie auf Grund theoretischer Bedenken ablehnten. Dasselbe ist früher in Wien geschehen, und doch brachen sie sich in Oesterreich wie in Ungarn kräftig Bahn. Wir müssen uns überhaupt darein finden, daß, während in Deutschland alle Kraft auf das politische Einheitswerk concentrirt wurde, also von 1866 an, die Länder um uns her in Bezug auf gemeinnützige Schöpfungen aus anderer als Regierungsinitiative Fortschritte gemacht haben, denen wir Mühe haben nachzukommen. Einzelne, wenig beachtete Versuche, das Sparen bei den Schulkindern anzufangen , hat es freilich schon vor 1866 in Deutschland so gut gegeben, wie in Frankreich und England. Aber an der systematischen Agitation, die von Gent zufällig gerade im Jahre 1866 ihren Ausgang nahm, haben wir uns bis jetzt fast nur negativ betheiligt, nämlich durch jene Vota der Pädagogen von Fach. Volkswirte dagegen wie P. Chr. Hansen und Leo Wilhelmi sind literarisch für die Sparcasse in der Schule eingetreten. Neuerdings hat man zu Uelzen in Hannover auch einen praktischen Anfang gemacht. In der untersten Volksschule wurde dort damit in aller Stille im Frühjahr 1878 begonnen, und der nach anderthalb Jahren angestellte Rückblick lautet entschieden ermutigend. Unter 390 Schülern hatten 186, also fast die Hälfte, Einlagen gemacht, und zwar zusammen 1022, darunter 731 unter 1 Mark, 253 von 1 bis 5 Mark, 31 von 5 bis 10 Mark und 7 Einlagen noch höher. Diese höheren Einlagen sind nur in den Oberclassen erfolgt – hauptsächlich im Hochsommer, wo das Beerensammeln den Kindern einen verhältnißmäßig reichen Ertrag abwarf, und im October, wo sie bei der Kartoffelernte halfen. Ein Knabe hat sich so in anderthalb Jahren insgesammt 58 Mark 50 Pfennig erspart. Wo wären die geblieben, ohne die von der Schule gebotene Aufforderung und Gelegenheit zu ihrer Erhaltung? Sämmtliche Lehrer,“ fügt der Bericht hinzu. „sprechen sich äußerst befriedigt über die neue Einrichtung aus und bezeugen einstimmig, daß sie nach keiner Richtung einen ungünstigen sittlichen Einfluß auf die Kinder geübt habe. Von unkindlichen Geiz, Habsucht oder Neid sei nichts zu bemerken; im Gegentheil wirke das Bewußtsein durch eigene Entsagung und durch Verzicht auf ein Vergnügen sich ein Sparcassenbuch erworben zu haben, sittlich hebend auf die Kinder ein. Die sieben Lehrer der Schule haben sich einmüthig dahin ausgesprochen, trotz der nicht unerheblichen Mühe und Arbeit, welche die Sparcasse ihnen bereite, dieselbe nicht wieder entbehren zu mögen. Ein solches praktisches Experiment wiegt wohl eine Verhandlung in einer Lehrerversammlung auf, bei der ja doch Alles auf die Instruction des Spruches durch den Referenten ankommt und dieser bisher in Deutschland nicht aus eigener Erfahrung zu urtheilen vermochte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_064.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)