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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Die Gebrüder Grimm und der Minister Hassenpflug.

Nach kurhessischen Erinnerungen und Meusebach’schen Papieren.
Von Karl Braun - Wiesbaden.
II.

Hassenpflug, der fast zwei Decennien lang von allen reactionären Romantikern in Deutschland, mochten sie auf den Thronen und den Thrönchen, in den Ministerial- und Regierungsbureaux, in den Pfarrhäusern oder den Dorfschenken sitzen, als „der große Staatsmann“, als „der Einzige, welcher uns von der Revolution erretten und vor dem Untergange bewahren kann“, bewundert und gepriesen wurde, hat ein recht klägliches Ende genommen.

Leugnen kann man es nicht: Er war ein Mann von Geist und von Kenntnissen. Aber er ging unter an seinem herrischen Wesen und seiner Selbstüberschätzung. Der Unabhängigkeitssinn, welcher ihn in seiner Jugend verleitete, gegen Alles Opposition zu machen, schlug um in Größenwahnsinn und Herrschsucht, welche letztere ihm nicht erlaubte, irgend eine andere Meinung neben der seinen zu dulden.

Schon Hassenpflug’s Vater, der Regierungspräsident in Kassel gewesen, war so unpopulär, daß die Diemelbauern in einer ehrlich gemeinten und nicht allzu höflichen Adresse an den alten Kurfürsten denselben als einen „jener bösen Rathgeber“ bezeichneten, „welchen der gnädigste Herr sein Haus und sein Ohr verschließen müsse, wenn er in Frieden mit seinem Volke leben wolle“.

Der junge Hassenpflug, der übrigens nicht, wie ihn seine conservativen Verehrer zu benennen pflegen, „Daniel“, sondern „Louis“ gerufen wurde, schien anfangs eine andere Richtung einschlagen zu wollen, als sein Vater. Als junger Mann von neunzehn Jahren machte er die Befreiungskriege gegen Frankreich mit. Nach Deutschland zurückgekehrt, schloß er sich den burschenschaftlichen Bestrebungen für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes an. Es war in Göttingen, wo er ein Exemplar der niederträchtigen Denunciation, welche der Berliner Geheimerath Schmalz wider den deutschen Geist und die damaligen Hauptträger desselben, die deutschen Universitäten, hatte im Druck ergehen lassen, mit eigener Hand öffentlich an den Pranger annagelte. Als Studirender der Rechte lag er zugleich mit großem Eifer den historischen und philosophischen Wissenschaften ob, und es waren vornehmlich seine literarischen und germanistischen Studien, welche ihn mit den (etwa um ein Jahrzehnt älteren) Gebrüdern Grimm zusammenführten. Es darf übrigens nicht unerwähnt bleiben, daß sehr Viele der damaligen romantisch gesinnten Studien- und Stimmungsgenossen Hassenpflug’s sich später der äußersten Reaction, sowohl auf politischem wie auf religiösem Gebiete, in die Arme warfen. Der bedeutendste unter denselben, der vor Kurzem in geisteskrankem Zustande verstorbene Professor Heinrich Leo in Halle, hat uns eine ebenso aufrichtige wie lehrreiche Schilderung jener Zeiten nach den Befreiungskriegen und des Verhaltens der deutschen Jugend während derselben hinterlassen, welche unter dem Titel: „Aus meiner Jugendzeit“, 1880, bei F. A. Perthes in Gotha im Drucke erschien. Ich kann dabei die weitere Bemerkung nicht unterdrücken, daß Louis Hassenpflug und Heinrich Leo congeniale Naturen waren vermöge ihres unbändigen Trotzes und ihrer Selbstüberhebung, welche Beide dahin führten, sich auf der Haller’schen Weltanschauung einen ultrareactionären Trutzwinkel aufzubauen, van welchem aus sie die ganze moderne Culturentwickelung und Weltordnung negirten und bekämpften, obgleich doch diese Ordnung der Dinge nicht minder, als die mittelalterliche, „ein Werk Gottes“, ist. Der Unterschied zwischen Beiden ist nur der, daß Heinrich Leo Historiker war und blieb und als solcher (abgesehen, von seinen letzten Schriften, welche schon Spuren der Geistesstörung tragen) höchst Bedeutendes geleistet hat, das auch seine politischen und kirchlichen Gegner zu schätzen wissen, während Louis Hassenpflug vom Juristen zum Rabulisten herabsank und seinem Fürsten und seinem Lande gleich verderblich gewordenen.

In seiner Jugend zeichnete sich Hassenpflug also durch einen gewissen störrischen, aber sehr ehrenwerthen Rechtssinn aus, wovon uns Professor Fr. Müller in seinen 1879 unter dem Titel „Kassel seit siebenzig Jahren“ erschienenen Denkwürdigkeiten, einem unterhaltenden und interessanten Buche, welches uns manches Wissenswerte erzählt, das wir in den dicken Geschichtswerken vergeblich suchen, ein Beispiel überliefert:

Nach seiner Rückkehr von der Universität 1817 wurde Hassenpflug als Assessor bei dem Justizsenat der Regierung in Kassel angestellt, bei welchem sein Vater Präsident war. Bei dieser Regierung hatte Kurfürst Wilhelm der Erste seinen letzten Willen deponirt. Kaum war Wilhelm der Erste todt, so schickte der Nachfolger einen Hofbediensteten auf die Regierung, um das Testament herauszuverlangen. Hassenpflug-Vater und seine Räthe waren schon im Begriff, die ihrer Obhut anvertraute Urkunde kurzhandig auszuliefern, weil sie auch in Justizsachen keinen anderen höchsten Willen kannten, als den des regierenden Herrn. Hassenpflug-Sohn dagegen hatte in Güttingen ein anderes Recht gelernt, nämlich daß der Richter (und jener „Justizsenat“ hatte richterliche Functionen) das seiner Obhut anvertraute Testament Niemandem, wäre es auch der Landesherr, auszuliefern, sondern nach dem Tode des Testamentserrichters zu eröffnen und zu publiciren und den Interessenten zwar Einsicht und Abschrift zu gewähren, aber nicht das Original herauszugeben hat. Dies stellte der pflichttreue jüngste Assessor den alten Richtern so eindringlich vor, daß nach hartem Kampfe seine Meinung siegte, der Hofbeamte des neuen Kurfürsten unverrichteter Dinge abziehen mußte, das Testament zuvor nach Recht und Gesetz publicirt und erst dann dem regierenden Herrn eine Abschrift vergönnt ward.

Louis Hassenpflug wurde 1821 Assessor und etwas später Rath des kurfürstlichen Ober-Appellationsgerichts. In dieser Stellung vollzog sich bei ihm die Wandlung, welche bestimmend war für sein späteres Leben und namentlich auch für seine verhängnißvolle ministerielle Thätigkeit in Kurhessen. Ich habe schon erwähnt, wie der Uebergang von der Romantik zur Reaction damals in der Luft lag. Bei Hassenpflug aber kam noch ein besonderes psychologisches Moment hinzu. Ich verdanke diese Mittheilung einem nun schon verstorbenen ausgezeichneten hessischen Richter, welcher gleichzeitig mit Hassenpflug Mitglied des obersten Gerichtshofes in Kassel gewesen.

Hassenpflug war lange Zeit hindurch der jüngste der Richter. Er hatte Geist und Kenntnisse. Das konnte ihm Niemand bestreiten. Aber er war sich dessen in einem Grade bewußt, daß er seinen älteren Collegen gegenüber einen Ton anschlug, welchen diese sich nicht gefallen lassen wollten. Alle klagten über seine höchst anmaßliche Selbstüberhebung; so entstand zwischen ihm und den Anderen eine Differenz, welche sich auch sachlich immer mehr erweiterte; da die älteren Herren einer durch reiche Lebenserfahrung gewonnenen gemäßigt liberalen Gesinnung huldigten und neben dem strengen Recht auch die Billigkeit walten ließen, so stellte sich Hassenpflug auf die entgegengesetzte Seite des abstracten und abstrusen veralteten Rechts, das nach dem Sprüchworte „Summum jus summa injuria“ zuweilen auch das größte Unrecht ist. Er verritt sich in seiner Erbitterung und Rechthaberei immer mehr, und da er von Natur ein leidenschaftlicher und gewaltthätiger Charakter war, so gelangte er bald so weit, daß er sich nicht scheute, öffentlich zu verkündigen, die soeben vereinbarte kurhessische Verfassung von 1831 sei „in politischer Beziehung ein Werk der Revolution und in religiöser Beziehung ein Werk des Teufels“.

Diese Ansicht empfahl ihn. Er wurde alsbald, im März 1832, Ministerialrath, und schon im Mai desselben Jahres trat er an die Spitze der beiden wichtigsten Ministerien, der Justiz und des Innern. Er begann alsbald den Kampf auf Leben und Tod, „den Kampf gegen die Opposition“, wie er sagte, „den Kampf gegen die Verfassung“, wie die Andern sagten – seinen Kampf, in welchem er schließlich unterlag. Ich will die Geschichte dieses Kampfes hier nicht erzählen. Sie ist bekannt, und noch kürzlich hat uns Friedrich Oetker im zweiten Bande seiner „Lebens-Erinnerungen“ ein anschauliches Bild desselben entworfen.

Durch diesen Kampf hat sich Hassenpflug schon 1833 die Herzen seiner rechtschaffenen und getreuen Schwäger, der Gebrüder Grimm, vollständig entfremdet. Politiker waren Jacob und Wilhelm Grimm eigentlich gar nicht; jedenfalls waren sie im höchsten Grade tolerant gegen jede andere politische Meinung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_026.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)