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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

drüben nicht in’s Gehege kommen – meinetwegen mögen sie bis in alle Ewigkeit auf dem Vorwerk sitzen und keinen Pacht zahlen, aber sie haben den allerbesten Kartoffelboden vom ganzen Gute –“

„Jettchen, denk’ an Dein Gewissen!“ fiel ihr Mann warnend ein. „Wir haben keine Ursache zu klagen; es geht uns gut – und von meiner Familie soll mir ja Keines mitschieben und drängen, daß Herr Markus kurzen Proceß macht mit den Leuten. Der Amtmann ist alt, und seine Frau liegt seit einem Jahre krank im Bette, und wenn die Magd nicht hauszuhalten versteht –“

„Ja, die Magd – das ist mir die Allerschönste,“ sagte Frau Griebel mit verächtlichem Achselzucken. „Na, Sie haben sie ja gesehen, Herr Markus, das Mädchen in dem verhunzten Stadtkleide. Jetzt trägt sie freilich ihr Grasbündel auf dem Kopfe, als wenn sie damit auf die Welt gekommen wäre, aber im Anfang – daß sich Gott erbarm’!“

„Ist sie nicht aus der Umgegend?“ fragte Herr Markus mit Interesse.

„Bewahre! Der Sprache nach muß sie weit her sein. … Sehen Sie, das war so. Gleich nachdem unsere alte Dame gestorben war, da legte sich auch die Frau Amtmann, und die Magd lief davon, weil sie nie einen Heller Lohn zu sehen gekriegt hatte – das war schlimm; denn eine andere fand sich partout nicht. Ich sprach schon davon, daß ich ’nübergehen und nach der Ordnung sehen wollte – wenn auch die Leute sich niemals um Unsereinen gekümmert hatten – aber da kam auf einmal eine Nichte vom Amtmann; sie war Gouvernante in einer großen Stadt, wie mir die Frau Oberforstmeisterin einmal gesagt hat, und die hat das Mädchen zur Hülfe mitgebracht. … Auf der Magd liegt nun freilich die ganze Wirthschaft; denn das Gouvernantenfräulein wird wohl weder Kochtopf noch Kehrbesen anrühren –“

„Brr!“ machte Herr Markus und schüttelte sich.

„Na, was denn?“ fuhr Frau Griebel zurück und riß ihre kleinen Augen unter den verwundert emporgezogenen blonden Brauen weit auf.

„Ja, sehen Sie, meine liebe Frau Griebel, ich bin ein nervenschwacher Mensch; ich leide an einer unbesieglichen Gouvernanten-Antipathie“ – durch seine interessanten Züge ging ein humoristisches Zucken wie Wetterleuchten.

„Das soll heißen, Sie können die Gouvernanten nicht leiden? … Da kommen Sie mir aber schön an, Herr Markus. Meine Luise will ja auch eine werden – freilich nicht so wie die auf dem Vorwerk. Das leide ich schon nicht. In den Ferien muß sie mir tüchtig mit an die Arbeit – da wird nicht gefackelt. Sie kann perfect backen, einmachen und Geflügel stopfen, und in der Milchwirthschaft ist sie zu Hause wie ich selber, und dabei hat sie rothe Backen wie ein Stettiner Apfel und ist frisch und gesund – Gott behüt’s – wie eine Ecker. … Sie soll mir auch nie in eine große Stadt; denn da bringen sie immer blasse Farbe und abgeschmackte Manieren mit, wie eben Fräulein Franz auf dem Vorwerk. Ich hab’ sie nur ein einziges Mal in der Kirche in Tillroda gesehen, und da hatte ich schon genug. Sie ist eine ebenso lange Hopfenstange wie ihre Magd, thut schrecklich apart und ist blaß und schmal im Gesicht, so weit ich’s von meinem Kirchenstuhl aus erkennen konnte –“

Sie machte, sich selbst unterbrechend, eine plötzliche Schwenkung nach der Thür. „Ja, da stehe ich nun, ich alte Plappertasche, und verthue die Zeit und weiß doch kaum, wo nur der Kopf steht vor Arbeit! – Peterchen, Du mußt mir gleich junge Tauben vom Schlag holen und nach frischen Eiern suchen, und ich gieße derweil den Kaffee aus. Nachher wird hier oben gefegt. – Bis dahin vertreiben Sie sich ja wohl die Zeit, Herr Markus, und gucken sich ein Bischen um in den Raritäten hier oben?“

Damit ging sie hinaus; ihr „Peterchen“ folgte ihr auf dem Fuße und „der neue Herr“ trat vom Fenster weg, während seine Augen musternd durch das Zimmer glitten.

Der Erker durchschnitt die Vorderwand dieses großen Raumes genau in der Mitte, sodaß seine Glasthür von je einem Stubenfenster flankirt wurde. Auf diese Weise strömte viel Licht herein, leicht gefärbt durch grünblumige Kattunvorhänge, und beleuchtete voll zwei Gestalten, die von der tiefen Wand herabsahen.

In die Wangen des jungen Mannes stieg die Röthe innerer Erregung, und seine Stirn furchte sich im Unwillen angesichts der schönen, männlichen Erscheinung im grünen Jägerrock, die eine dürre, zerstäubende Eichenlaubguirlande umschloß. … Ja, so mußte er ausgesehen haben, der stolze Herr Oberforstmeister, der Mann, der sich von seiner einzigen Schwester losgesagt hatte, weil sie Einem aus dem Handwerkerstande ihr Herz geschenkt und ihn auch, trotz Zorn und Widerspruch ihres Bruders, geheirathet hatte. Diese Schwester aber war die Mutter des jungen Markus gewesen. … Ja, das war der personificirte Beamtenhochmuth, der zeitlebens die Verwandtschaft mit „dem Schlosser, dem Rußbengel“ von sich gewiesen, ob auch die Schlosserwerkstätte des jungen Arbeiters sich im Lauf der Zeit zu dem Riesenetablissement einer großartigen Fabrik umgewandelt hatte und einen hochgeachteten Namen an der Stirn trug. … Der Herr Oberforstmeister hatte von jeher hoch hinaus gewollt; es hatte auch Eine von altem Adel sein müssen, die er als Frau in sein Haus geführt; arm war sie gewesen und die Letzte ihres alten Namens; daß aber die vornehme Herkunft allein maßgebend gewesen, daran glaubte der junge Mann, den beiden Bildern gegenüber, von nun an nicht mehr. Durch das Gesicht des stolzen Jägers ging ein Zug tiefer Leidenschaft; er hatte einen dunkelglühenden Blick, und die junge Braut an seiner Seite, mit dem Myrthensträußchen am Busen, war engelschön gewesen, von so unbeschreiblichem Liebreiz im Ausdruck, daß man unmöglich denken konnte, auch diese Seelenmacht der Züge sei vergänglich gewesen und modere nun in der Erde.

Im Elternhause des Herrn Markus waren diese zwei Menschen fast nie genannt worden. Als Knabe hatte er nicht gewußt, daß ihm in Thüringen Onkel und Tante lebten; er war sehr erstaunt gewesen, als eines Tages ein Brief der Frau Oberforstmeisterin an seine Mutter den jähen Tod des Bruders – er war bei einem Jagdschmause seines Fürsten vom Schlage getroffen worden – gemeldet hatte. Diese Todesanzeige war der Gegenstand einer mehrstündigen Berathung seiner Eltern gewesen; dann war ein sehr förmliches, kurzes Condolenzschreiben von der Hand des Vaters an „die Dame“, und später ein Verzicht der Mutter auf jeden Anspruch an den Nachlaß des kinderlos verstorbenen Bruders an dessen Sachwalter abgegangen. … Darnach war es gewesen, als sei ein Vorhang über dem Ereigniß zugefallen – es war nie mehr davon gesprochen worden. Hatte der hochmüthige Beamte einst Schwester und Schwager verleugnet, so war auch der Arbeiter stolz genug gewesen, den Verwandten bis in den Tod hinein zu ignoriren.

Wie wohl die schöne Frau über dieses unnatürliche Verhältniß gedacht hatte? – Hochmuth lag nicht in dem Gesicht, wohl aber etwas Zärtliches, Glückseliges. Sie mochte wohl den Mann ihres Herzens über Alles geliebt haben und blindlings mit ihm gegangen sein. Vielleicht hatte sie nach seinem Tode der verstoßenen Schwester versöhnend die Hand bieten wollen, indem sie eine schriftliche Beziehung anzubahnen gesucht – sie war streng zurückgewiesen worden. … Und nun war der einzige Sohn dieser Schwester doch noch der Erbe im Hirschwinkel geworden. Ob die Verstorbene wohl deshalb nie ein Testament gemacht hatte, um stillschweigend die Hinterlassenschaft ihres Mannes, doch noch in die Hand kommen zu lassen, der das einzige Recht darauf zustand? –

Er vermochte kaum den Blick wegzuwenden von dem jugendschönen Gesicht, das aus einer fast märchenhaften Fülle blonder seidener Locken hervorlächelte, aber es lockte ihn auch, die Räume zu durchwandern, in denen diese Vereinsamte viele Jahre der Abgeschiedenheit durchlebt hatte. … Die Thüren der in einander führenden Zimmer standen weit offen; er konnte die ganze Wohnung so ziemlich mit einem Blick übersehen. Welch ein Unterschied zwischen dieser altväterischen verbrauchten Einrichtung und dem modernen Luxus in der prächtigen Villa, die sein verstorbener Vater unweit der Fabrik erbaut hatte!

Das Erkerzimmer war das stolzeste mit seiner Glasthür und den Polstermöbeln in grünblumigen Kattunbezügen, die mit den Gardinen harmonirten. Es stand schönes Meißner Porcellan auf den Kommoden, und neben guten Oelbildern schmückte ein großer Spiegel die Wand. Das mochte wohl immer das Zimmer der Frau gewesen sein, und nebenan hatte der Gemahl residirt. Seine Wittwe hatte ihn fast um zwanzig Jahre überlebt, aber noch hing der Schlafrock am Nagel, als habe ihn der Hausherr eben ausgezogen, um in die Uniform zu schlüpfen. Die Tabakspfeifen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_022.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)