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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Nur Die, die von einem ähnlichen Unglücke im Leben betroffen worden sind, werden die Größe des Schmerzes ermessen können, der die armen Eltern bei der Nachricht des Todes ihres einzigen und so innig geliebten Sohnes ergriff. Eine tiefe Trauer umhüllte für lange Zeit ihr von der Welt zurückgezogenes Gemüth. Die schönen, frohen Tage waren für immer aus dem Palais des Prinzen gewichen. Hoffnungen und Aussichten der ferneren Lebenstage lagen zusammengebrochen vor dem trauernden Elternpaare, aber es war ihnen, besonders der Mutter, ein großer Trost, nachdem die letzten Ueberreste ihres Kindes hierher gebracht worden waren, oft zur Grabstätte des Unvergeßlichen wandeln zu können.

Die großen Kriege, die wunderbaren Bewegungen der neuen Zeit traten mit ihren Anforderungen auch an den Prinzen heran. An Allem nahm er einen freudigen und fördernden Antheil. Die Marine groß und tüchtig und durch sie Deutschland nach außen mächtig zu machen, das war die ihn beherrschende Lebensidee. Aus dieser Idee heraus wirkte und strebte er. Was er nach dieser Richtung erreicht und geleistet hat, geziemt der Geschichte festzustellen. Unzertrennlich ist jedenfalls sein Name verbunden mit der Entstehungsgeschichte der jüngsten deutschen Kriegsflotte.

Als er im Jahre 1856 mit einer der Zahl nach geringen Macht, aber mit Heldenmuth, den blanken Degen in der Faust, bei Tres Forcas an’s Ufer sprang, um eine freche Räuberbande zu züchtigen, da lag bereits eine Ahnung zukünftiger Bedeutung und Größe in seiner Seele. Wenn er auch damals schwer verwundet und mit der Leiche des an seiner Seite erschossenen Adjutanten Niesemann auf sein Schiff, die „Danzig“, zurückkehren mußte, so erlitt dadurch sein Glaube an die Zukunft doch keine Erschütterung. Nach dem Ringen und Streben eines ganzen Lebens hat er noch die Freude, die Genugthuung erlebt, die drei größten deutschen Schiffe „König Wilhelm“, „Kronprinz“ und „Friedrich Karl“ mit gründen und schaffen zu helfen und sie mit deutscher Flagge, zum Schutze Deutschlands und deutscher Interessen, die fernen Meere durchziehen zu sehen. Persönliche Tapferkeit war ein zu hervorragender Zug im Charakter des Prinzen, als daß er hier, wo die Beziehungen seines Familienlebens allerdings vorherrschend in’s Auge gefaßt worden sind, ganz unerwähnt bleiben dürfte. Die Scheu vor der Gefahr des Todes war ihm ein unbekanntes Gefühl.

Obgleich nicht in Activität, hat er doch die beiden letzten großen Kriege gegen Oesterreich und Frankreich mitgemacht und in beiden die schlagendsten Beweise geliefert, daß er vor dem Kugelregen nicht zurückschreckte. Bei Nachod in Böhmen fiel sein Adjutant von Saint Paul, von einer Kugel durchbohrt, an seiner Seite. Bei Gravelotte wurde seinem Pferde, das ihn während der Schlacht trug, durch eine Kugel das Bein zerschmettert, daß es erstochen werden mußte. Vor Paris hat er noch oft Gelegenheit gehabt, diese erprobte Ruhe in der Gefahr zu zeigen. Er selbst legte nicht den geringsten Werth auf diese hohe Eigenschaft, und wenn sie an ihm gerühmt wurde, wies er solches Lob mit fast schüchterner Bescheidenheit und mit den Worten zurück: „Ich kann doch nicht weniger thun als jeder Andere.“

Obgleich von kräftiger Constitution, auf die sich zu verlassen er gewohnt war, da er von seinen mannigfachen und oft sehr anstrengenden Reisen stets mit guter Gesundheit zurückgekehrt war – überfiel ihn doch im Jahre 1865 ein fast bedenkliches Herzleiden. Schonung und ein zurückgezogenes Leben an den milden Ufern des Mittelmeeres in Nizza stellten ihn scheinbar vollständig wieder her. Doch war er in den letzten Jahren, vielleicht mit durch die Anstrengungen der Kriege, bereits recht gealtert. Der wiederholte Gebrauch von Karlsbad konnte nicht mehr gut umgangen werden. Auch in diesem Frühjahre war er mit seiner Gemahlin dahin gegangen und fühlte sich durch den Gebrauch des Brunnens diesmal ganz besonders gekräftigt.

Ohne jedes Zeichen von Unwohlsein hatte er sich am 5. Juni zur Ruhe begeben, doch in der Nacht kamen Beängstigungen über ihn, und nach wenigen Stunden befreite ihn vom letzten Schmerz ein rascher Tod. Es waren wohlverdiente Thränen, die an dem Sterbebette eines guten und vortrefflichen Menschen flossen, eines Menschen, in welchem das Streben, dem Vaterlande und der gesammten Menschheit nützlich zu werden, stets die leitende und anregende Lebensidee gewesen ist.

P. B. 


Goethe.
Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.
XIV.

Die „Geheimnisse“, welche unser Dichter, wie schon gemeldet, im Spätsommer von 1784 auf der Reise nach Braunschweig zu dichten angehoben und auf einer Septemberwanderung in den Harzgegenden weitergeführt hat, deuten vielfach, obzwar in poetischer Ein- und Verkleidung, auf sein Verhältniß zur Frau von Stein. Seine in demselben Sommer an sie gerichteten Briefe bezeugen leidenschaftlich-innig, daß sie immer noch seine „große Flamme“ – (7. Juni: „Ich bin mehr als jemals Dein. Du weißt, daß ich nicht von Dir kann. Mein Herz läßt keinen Augenblick von Dir.“ 11. Juni: „Mein Himmel ist einsam, Du machst den ganzen Kreis desselben aus. Alles, was die Menschen suchen, hab’ ich in Dir. Lebe wohl, liebe mich, sage mir’s und mache mich in Dir glücklich.“ 14. Juni: „Du lieber Inbegriff meines Schicksals!“ 25. Juni: „Ich lebe nur in Dir und bin glücklich, daß ich Dir alles mittheilen kann.“ 27. Juni: „O, Lotte, wie ganz und wie gern bin ich dein!“ 28. Juni: „Nun wird es bald Zeit, daß ich wieder in Deine Nähe komme, denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen; ich fühle recht deutlich, daß ich nicht ohne Dich bestehen kann. Ja, liebe Lotte, jetzt wird mir erst recht deutlich, wie Du meine eigene Hälfte bist und bleibst. Alles lieb’ ich an Dir und alles macht mich Dich mehr lieben. Wie freu’ ich mich, Dir ganz anzugehören!“). Aber gerade das von seiner Seite immer wieder so leidenschaftlich-zärtlich genommene Verhältniß nöthigte ihm auch immer wieder „die sauerste der „Lebensproben“ auf, wie er sie in den „Geheimnissen“ nennt, die Selbstbezwingung. Diese wurde ihm noch dazu durch seine Stellung zum Herzog, zum Hofe, zu seinen Amtsgeschäften und Amtskollegen vielfach anderweit auferlegt. Wie er sich durch das alles eingeengt und im Innern bestürmt fühlte, nicht minder, wie er gegen das Uebel die große Medicin Selbstbezwingung in Verwendung brachte, hat er schön angedeutet in der Strophe:

„Stets alle Kraft dringt vorwärts in die Weite,
Zu leben und zu wirken hier und dort:
Dagegen engt und hemmt von jeder Seite
Der Strom der Welt und reißt uns mit sich fort.
In diesem innern Sturm und äußern Streite
Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.“

Aber es ging damit doch oft sehr schwer von statten und häufig genug mag der Dichter, wann es nöthig war, seinen Genius mit seiner Quasi-Premierministerschaft im Reiche Flachsensingen ein Kompromiß schließen zu machen, schwer aufgeseufzt haben: „Hilf, heiliger Spinoza!“ Papa Wieland ist immer bei der Hand, dem „wunderbaren Knaben“ Wolfgang, aus welchem jetzt ein wunderbarer Mann geworden, eine gute, eine beste Note zu geben. „Er schickt sich überaus gut in das“ – schrieb der liebenswürdige Alte am 5. Januar von 1784 an Merck – „was er vorzustellen hat, ist im eigentlichen Verstande ‚L’honnéte homme à la cour‘, leidet aber nur allzu sichtlich an Seel’ und Leib unter der drückenden Last, die er sich zu unserm Besten aufgeladen hat. Mir thut’s zuweilen im Herzen weh, zu sehen, wie er bei dem allem contenance hält und den Gram gleich einem verborgenen Wurm an seinem Inwendigen nagen läßt. Seine Gesundheit schont er, soviel möglich; auch hat sie es sehr vonnöthen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_841.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)