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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Und was nun? Sie war ihm nahe, er sollte wochenlang in derselben Luft leben, die sie athmete. Nein, dem fühlte er sich nicht gewachsen, und wozu auch für Beide so fruchtlose Qual heraufbeschwören! Den Wanderstab zur Hand genommen, und fort in’s Weite – dies war sein erster Gedanke. Und doch, als er dabei stille stand, tauchten laute Widersprüche auf. Er war nach Danzig gekommen, seinen Bruder nach langen Jahren zu besuchen, in Verabredung mit einem Collegen, den er selbst bestimmt hatte, einige Wochen mit ihm in Zoppot zu verleben, und den er in den nächsten Tagen erwartete. Dieser Plan war bereits ausgesprochen und zwar sowohl gegen seinen Bruder, wie gegen den befreundeten Künstler – er war ausgesprochen vor der Fremden, die er am gestrigen Abende in des Letzteren Hause getroffen. Beide waren mit Matterns bekannt – seiner mußte dort erwähnt werden, nachdem er seine Bekanntschaft mit Dora’s Familie zugegeben. Sollte er die Flucht nehmen vor dem Mädchen, das ihn verrathen, vor dem Grafen, der sein alter Gegner gewesen? Sein ganzer Mannesstolz bäumte sich gegen die Vorstellung auf, wie falsch solches Zurückweichen ausgelegt werden konnte. Was hatte er zu scheuen? nicht an ihm war es, die Augen niederzuschlagen, nicht an ihm, sich zu verbergen.

Das erschütterte Herz fühlte sich wieder gestählt. Er blieb eine Woche in Danzig; dann fuhr er nach Zoppot, und schon am ersten Abende seines Eintreffens dort sah er Dora wieder. Seltsam, ihr Anblick ließ ihn kalt. Keine Saite des Herzens, der Erinnerung klang, als er, an die Thür des Ballsaales gelehnt, die herrliche Gestalt vorüberschweben sah. Diese Gestalt erschien ihm so fremd, zu imposanter Schönheit entwickelt, aber dem knospenhaften Reiz, welchen er in Erinnerung trug, enthoben. Noch waren es, ja noch immer waren es die zartgeschnittenen Züge von einst, die unter der schwarzen Haarkrone ruhten – wo aber war der süße, mädchenhafte Ausdruck hin, der ihn einst beseligt? wohin der reizvolle Wandel zwischen Lächeln und lauschendem Ernst? Dieser stolzen Schönheit in’s kluge Auge zu sehen, fürchtete er nicht mehr.

Sie hatte ihn erkannt. Er sah den Wandel, der über sie kam – kein Erschrecken, ein Aufleuchten war es, das ihn einen Moment lang traf, wie ein Blitz; doch änderte sein festverschlossenes Gesicht den Ausdruck nicht; ruhig haftete sein Auge auf ihr – er wollte, daß ihr über ihn kein Zweifel blieb, ehe sie sich begegneten. Und als er ihr kurz darauf gegenüber trat, fühlte er, daß sie ihn verstanden.

So war es; so blieb es. Wernick suchte weder ein Zusammentreffen, noch wich er solchem aus. Daß dagegen der Graf mit sichtlicher Beflissenheit nicht nur seinen Umgang suchte, sondern offenbar jede Gelegenheit ergriff, ihn zu seinem engeren Cirkel zu ziehen, mußte ihm auffallen. Mitunter, wenn Ernst bei einer der gemeinschaftlich unternommenen Partien oder bei dem häufigen Zusammentreffen der Gesellschaft mit Thea eines jener gemeingültigen Gespräche führte, wie sie uns Allen in der Schule der guten Lebensart gelingen, mitunter sah er dann unwillkürlich das Auge des Grafen mit einem gespannten Ausdruck auf sich ruhen, der ihm zu denken gab. Vermied Mattern auch jede leiseste Hindeutung auf Vergangenes so sehr, daß er Wernick’s Namen nur aus dessen literarischer Bedeutung zu kennen schien, so versuchte er doch wiederholt mit großem Geschick, das Gespräch auf seine Pflegetochter zu führen, wenn er sich mit dem Professor allein fand, und so rasch Ernst solche Mittheilungen in ein anderes Thema hinüberzuspielen bedacht war, erfuhr er doch nach und nach genug, um ein klares Abbild des Lebens zu gewinnen, welches sich Thea während der letzten Jahre gestaltet.

Graf Hugo klagte über die Sonderbarkeiten, die Eigenthümlichkeit seiner Hausgenossin: daß sie sich so ganz anders entwickelt, als ihre frühesten Jugendjahre verheißen – daß sie auf Nichts mehr eingehe, was sie sonst interessirt. Der Tod ihres Bräutigams sei ein schweres Unglück gewesen – nun ja! aber jetzt wären seitdem Jahre verflossen, und die Hartnäckigkeit, womit Thea jedes neue Band zurückweise, doch nach so kurzer Verbindung nicht gerechtfertigt. Ueberhaupt ihre sonderbaren Ansichten! Nachdem sie das Vermächtniß, welches sein Vetter für sie bestimmt, ohne Widerspruch angenommen, wie ja auch selbstverständlich, wäre sie nicht zu bewegen, die ihr zustehenden Revenuen nun auch zu genießen, sondern bestände darauf, dieselben für Armen- und Krankenhäuser auf dem ihr zugeschriebenen Gute zu verwenden. In seinem Hause, seiner Familie habe sie sich mit Eigensinn die Rolle der Gouvernante seiner Kinder angeeignet, und da seine Frau sie hierin unterstütze und die Kleinen wie Kletten an ihr hingen, sei ihm nichts übrig geblieben, als darauf zu bestehen, daß sie wenigstens der Außenwelt gegenüber die Stellung einer Tochter des Hauses ausfülle. Ein Stoßseufzer: „Schade um sie! – die Jugend vergeht – Thea ist doch zu etwas Besserem geschaffen, als zum Stundengeben“ – blieb stets der Endrefrain solcher Mittheilungen, die Wernick zuletzt den bestimmten Eindruck zurückließen, daß Mattern des ganzen Verhältnisses zu seiner Pflegetochter überdrüssig sei.

Alles, was Wernick vernahm, versenkte sich einzeln und zerstreut, aber doch wie Samenkörner in seine Seele, und mit einem Male erkannte er, daß der Same aufgegangen war. Es war doch seine Dora noch, das hochgesinnte Mädchen noch, der er das Beste zugetraut! Was sie ihm einst gethan, Gott weiß, aus welchen Untiefen es kam – jetzt büßte sie, freiwillig und in trostloser Einsamkeit. Was war denn diesem reichen Geschöpf geblieben von allen Gütern der Erde? Zwei fremde Kinderseelen, an die sie hingab, was in ihr vergeblich um eine Heimath bettelte! Sein ganzes Leben zog ihn zu ihr hin, forderte von ihm, die Glückverwaiste, Verlassene in seine schützenden Arme zu nehmen, wohin sie gehörte. Aber diese Sehnsucht, welche gleich Vögeln, die man verscheucht, immer wieder dorthin zurückkehrt, wo sie einmal genistet, verstummte und erstarrte, so oft er mit Thea selbst zusammentraf. Es lag zwischen Beiden wie eine Mauer – kein Weg, der hindurch führte.

Zuweilen traf ihn aus der Ferne ein Blick, ein Klang oder eine Stimme, die ihn durch raschen Impuls an ihre Seite führten. Stand er dann aber vor ihr, so wurde sein Herz wieder kalt, und sie war das Bild ohne Gnade.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Wie die Päpste von der Bibel denken. In der neuesten Bannbulle beruft sich Pius der Neunte vielfach auf die Bibel; daher mag es nicht uninteressant sein zu hören, wie und was die Päpste von der Bibel eigentlich denken und sagen. Dabei lasse ich nur Päpste nach der Reformationszeit reden.

Bekanntlich sollen nach Benedict dem Vierzehnten Schriften und Bücher religiösen Inhalts, besonders aber die Bibel in der Volkssprache nur gehalten und gelesen werden, wenn sie mit Noten aus den Kirchenvätern oder mit erklärenden Anmerkungen von gutkatholischen Gelehrten gehörig versehen sind; außerdem müßten sie die Approbation des heiligen Stuhls besitzen. Im Gegenfall sind sie „mit Stumpf und Stiel auszurotten“.

Was dieses „Ausrotten mit Stumpf und Stiel“ eigentlich und schließlich bedeutet, zeigt erstlich der Umstand, daß im Jahr 1854 die Polizeidirection von Ofen in Ungarn, natürlich auf Veranlassung und Antrieb der erzbischöflichen Curie, die hunderteinundzwanzig Bibeln, welche bei der evangelischen Gemeinde dort aufgespürt worden, bis auf ein Exemplar, „woran der Pfarrer genug habe“, wegnehmen, in der Papierfabrik zu Brei stampfen, den Erlös daraus der evangelischen Gemeinde zustellen und den Empfang desselben vom Pfarrer sich quittiren ließ; ferner die Thatsache, daß noch am 7. December 1859 vor dem hierzu festlich beleuchteten Palast des Erzbischofs von Santa Fe de Bogota in Neugranada (Südamerika) eine massenhafte Bibelverbrennung stattgefunden hat. Kommen dergleichen Einstampfungen und Verbrennungen nicht zahlreicher vor, so geschieht das wohl nur, um mit Pius dem Siebenten zu reden, „aus zeitweiliger Accommodation an die Verhältnisse der Neuzeit“.

Daß diese „zeitweilige“ Anbequemung keine freiwillige, sondern blos eine durch den „verfluchten Geist der modernen Civilisation“ aufgenöthigte ist, bezeugen die alten und neuen Wuthausbrüche der Päpste gegen Bibeln und Bibelgesellschaften.

So befahl, um nur Einiges anzuführen, eine Satzung des Papstes Innocenz des Elften vom Jahre 1687: „Jeder sei gehalten, seine Bibel den Ortsgeistlichen auszuliefern, welche sie verbrennen sollen.“

Clemens der Elfte verdammte in der Bulle „Unigenitus“ vom Jahre 1713 die Behauptung des Jansenisten Quesnel: „es ist nützlich und nothwendig für Jedermann, zu jeder Zeit und an jedem Orte die heilige Schrift zu studiren.“

Clemens der Dreizehnte bedrohte das Lesen einer italienischen Bibelübersetzung seitens der Laien mit Galeerenstrafe.

Pius der Siebente bezeichnet in seiner Bulle vom 29. Juni 1816 den Wiederabdruck einer polnischen, von Clemens dem Achten im Jahr 1599 genehmigten Bibelübersetzung als „Pest und gottloses Unternehmen“. Die Bibelgesellschaften aber nennt er „arglistige Erfindung, wodurch selbst die Pfeiler der Religion untergraben werden.“

In einer andern Bulle vom Jahre 1819 über Verbreitung der heiligen

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