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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Man hatte in England nicht bedacht, daß ein Krieg, wie er in Amerika geführt worden war, kühne und streitbare Männer erzieht. Hatte schon vor dem Kriege die Nothwendigkeit, sich der englischen Ausbeutung nach Möglichkeit zu entziehen, zum Schmuggelhandel verleitet, so nahm dieser nun eine wahrhaft großartige Gestalt an, und die neue Maßregel dagegen, daß alle britischen Seeofficiere auf der amerikanischen Station als Zollbeamte beeidigt und somit zur Untersuchung jedes Schiffes berechtigt wurden, machte das Uebel nur ärger.

Das folgende Jahr brachte eine noch stärkere Überraschung, denn am 22. März 1765 setzte eine Parlamentsacte die Einführung des Stempelpapiers in den Colonien durch. Eine zweite gleichzeitige Acte legte den Colonien die Verpflichtung auf, königlichen Truppen, die in den Casernen und Forts nicht untergebracht werden könnten, Quartier und Naturalleistungen zu gewähren.

Wie gegen die Zuckeracte brach auch gegen die Stempelacte in allen Theilen der Colonien die gleiche Entrüstung sich Bahn. In der Volksvertretung von Virginien legte Patrick Henry feierlich Protest gegen die Stempelacte ein. Mit hinreißender Beredsamkeit schilderte er die Uebergriffe und Rechtsverletzungen Englands. „Cäsar,“ so rief er, „hatte seinen Brutus, Karl der Erste seinen Cromwell, und Georg der Dritte –“

„Hochverrat! Hochverrath!“ unterbrach ihn der Sprecher; aber Henry fuhr nach einer Pause fort:

„– und Georg der Dritte möge sich jene Beispiele zu Nutz machen!“

Am ersten November, an welchem die Stempeltaxe in Kraft treten sollte, läuteten in vielen Städten die Trauerglocken. In New-York wurde die Stempelacte statt mit dem Wappen des Königs mit einem Todtenkopf bedruckt und mit der Unterschrift „Englands Thorheit und Amerikas Untergang“ in den Straßen vertheilt. In Massachusetts verbrannte man eine Menge Stempelbogen und schlug das Bildniß des Stempelmeisters an den Galgen. Es fehlte auch nicht an wilden Tumulten. Aber alle derartigen Demonstrationen machten in England weniger Eindruck als der stille Widerstand, der sich in ernsterer Weise vorbereitet hatte. So standen plötzlich viele Gerichtshöfe leer, weil die Parteien sich lieber friedlich vorher einigten, als später zur Anwendung des Stempelpapiers gezwungen zu sein. Den wichtigsten Schritt wagte aber die Vertretung von Massachusetts: ein vom Sprecher des Unterhauses unterzeichnetes Rundschreiben lud die gesetzgebenden Körper aller übrigen Provinzen ein, auf den ersten Dienstag des October Abgeordnete nach New-York zu einem allgemeinen Congreß zu senden, „damit die Regierung des Mutterlandes nicht ferner einzelne Bitten und Vorstellungen höre, sondern in den Beschlüssen dieser Versammlung die Stimme der vereinigten Colonien erkenne.“

Dieser Congreß wurde von achtundzwanzig Abgeordneten, und zwar von Massachusetts, Rhode-Island, Connecticut, New-York, New-Jersey, Pennsylvanien, den niederen Grafschaften am Delaware, Maryland und Südcarolina beschickt und dauerte bis zum 25. October. Sein Resultat war eine Erklärung der Rechte und der Beschwerden der Colonien, die in Bittschriften von ebenso fester als ruhiger Haltung an das britische Parlament abgefertigt wurden. Ebenso ernstwirkend war der Beschluß, die Colonien in ihren Bedürfnissen vom Mutterland möglichst unabhängig zu machen und die eigene Gewerbthätigkeit zu beleben. Endlich bildete sich ein Verein von Männern, zunächst in Connecticut und New-York, „zur Aufrechterhaltung der britischen Constitution in Amerika“, mit einem Ausschuß, der die angesehensten Männer zur Theilnahme einlud und der in kurzer Zeit außerordentlich an Einfluß auf die Colonien gewann. Die Mitglieder dieses Bundes nannten sich „Söhne der Freiheit“.

Diese unverhohlene Stimmung im amerikanischen Volke erregte auch in England Bedenken bis in die höchsten Kreise, und dieser Umstand und die Bitten der ängstlich gewordenen englischen Kaufleute und Gewerbtreibenden vermochten endlich den König, am 18. März 1766 in feierlicher Sitzung im Westminster die Stempelacte wieder aufzuheben, – freilich nicht ohne die Erklärungsbill (declaratory bill), welche Großbritannien das Recht zusprach, „die Colonien in jeder Hinsicht zu beherrschen und ihnen Gesetze zu geben.“

In Amerika war die Freude über diesen friedlichen Sieg groß, jedoch von kurzer Dauer, denn der Anspruch der „Erklärungsbill“ blieb unvereinbar mit dem bisherigen Verfassungsleben der Colonien, das in den einzelnen Provinzen nach dem Muster des Mutterlandes gebildet, also auf möglichste Selbstregierung begründet war. Daher konnte auch ein Hauptkämpfer dieser Zeit, Samuel Adams aus Boston, welcher sich den Ehrentitel „Cato Nordamerikas“ erworben hat, früh die Unmöglichkeit der Abhängigkeit Amerikas von England erkennen, und so widmete er sein ganzes Leben dem Kampf für die Unabhängigkeit.

König Georg hatte die Aufhebung der Stempelacte als „ein unheilvolles Zugeständniß“ beklagt; man suchte nun um so eifriger die Amerikaner zur Bezahlung einer Steuer zu vermögen, denn sobald sie eine bezahlt hatten, mußten sie sich jeder Besteuerung fügen, hatten sie das Recht zum Widerstand verloren. Das wußten alle Engländer, aber ebendeswegen auch alle Amerikaner, und darnach handelten nun beide Theile bis zum unvermeidlichen Bruch.

Gleich im nächsten Jahre, 1767, bedachte das Parlament im schönen Monat Mai Amerika mit einer Steuer auf Thee, Glas, Papier und Malerfarben. Die Abgabe war absichtlich verführerisch gering und der Ertrag derselben sollte angeblich zu den Gehalten der Statthalter, Richter und anderer Beamten der Colonien bestimmt sein, – also im Lande bleiben. Dennoch antworteten die Kaufleute von Boston und ganz Massachusetts auf diese Acte mit dem Beschluß, fortan gar keine englischen Waaren, wenige ganz unentbehrliche ausgenommen, einzuführen bis dieser Zoll wieder aufgehoben sei. Um aber nicht allein zu stehen, sondern alle Colonien durch ein geistiges Band zu verknüpfen, stiftete Samuel Adams sogenannte „Correspondenz-Bureaux“ in den bedeutendsten Städten, die sich von allen Vorkommnissen und nothwendigen gemeinsamen Beschlüssen eiligst Nachricht gaben und von den „Söhnen der Freiheit“ auf das Eifrigste bedient wurden.

Da Boston immermehr als Revolutionsherd erkannt wurde, so benutzte die Regierung einen Tumult, der wegen eines von den Zollbeamten aufgebrachten Schleichhandelsschiffs ausgebrochen war, zur Besetzung der Stadt mit zwei Regimentern Soldaten und des Hafens mit einer Fregatte und einigen anderen bewaffneten Schiffen. Mitten in die Erbitterung darüber fiel eine neue empörende Nachricht von London. Der Geschäftsträger von Massachusetts in London, der berühmte Benjamin Franklin, hatte eine verleumderische Correspondenz des Statthalters Hutchinson und des Unterstatthalters Oliver über Massachusetts an‘s Licht gezogen und die Entfernung beider von ihren Posten verlangt. Dafür hatte der Kronanwalt Wedderburne ihn auf das Schimpflichste behandelt und einen Aufwiegler und den gefährlichsten Feind Englands genannt – denselben Mann, welchen Pitt als „die Ehre Englands und der Menschheit“ pries.

War man nun auf neue Gewaltmaßregeln von England gefaßt, so mußte es die äußerste Ueberraschung bereiten, als nach einem vom Minister Lord North am 5. März 1770 dem Parlament vorgelegten Antrag die Besteuerung Amerikas von 1767 wieder aufgehoben wurde. Den Grund dazu hatten allerdings nicht Liebe und Güte, sondern die bittere Erfahrung dictirt, daß die englische Kaufmannschaft in Folge des Widerstandsbeschlusses der Colonien im Jahre 1769 für siebenhundertvierundvierzigtausend Pfund Sterling weniger an Waaren nach Amerika eingeführt hatten, als früher; ebenso schwer hatten die Zollcassen gelitten. Um aber das Princip zu wahren und wohl in der Hoffnung, durch die Geringfügigkeit der Abgabe dennoch zum Kauf zu verlocken, belegte man nur den Thee mit einem Zoll von drei Pence (vierundzwanzig Pfennige preußisch) für das Pfund. Und wirklich lag jetzt die Gefahr nahe, daß die Lockung gelang; wenigstens führte man in den südlichen und mittleren Provinzen wieder englische Waaren ein, wenn auch noch mit Ausnahme des Thees. Eine Schwäche konnte die andere nachziehen; da galt es: Aufraffen! Samuel Adams, die Correspondenzbureaux und die „Söhne der Freiheit“ wandten alle Mittel der Beredsamkeit an, um die Widerstandskraft zu erneuen, und abermals ging Massachusetts mit seiner Hauptstadt Boston muthig und opferbereit voran und empfand auch die ersten Gewaltschläge. In Boston war es am 5. März 1770 zu einem Straßenkampf mit dem Militär gekommen. Es war Blut geflossen, gab Todte und Verwundete. Am andern Morgen versammelte sich das Volk in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_813.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)