Seite:Die Gartenlaube (1873) 776.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

daraus berechnet; in ganz ähnlicher Weise versucht nun heute auch der Geolog und Physiker die gewaltigen unterirdischen Ereignisse vorauszuverkünden, welche den Erdkörper in seinem innersten Marke erzittern machen. Um dies aber mit möglichster Sicherheit thun zu können, ist es nothwendig, ausdauernd und genau zu beobachten, und zwar an für diesen Zweck günstigen Punkten. In Europa bietet der Vesuv vortreffliche Gelegenheit. Der unermüdliche und gelehrte Wächter dieser nimmerruhenden Cyclopenesse ist der in neuerer Zeit so vielgenannte neapolitanische Professor Palmieri, der sich die sorgfältige wissenschaftliche Beobachtung des alten, höllischen Feuerspeiers sozusagen zur Lebensaufgabe gemacht. Bei dem letzten so verheerenden Vesuvausbruche hatte derselbe mit Bestimmtheit den Eintritt der Katastrophe zum Voraus angekündigt und verharrte während derselben, von den größten Gefahren bedroht und von glühenden Lavaströmen umfluthet, mit wahrem Heldenmuthe in seinem Observatorium, um ruhig den Gang des gewaltigen Naturereignisses zu verfolgen.

Wie es aber möglich ist, auf diese Weise als wissenschaftlicher Augur die geheimsten Launen Vulcan’s in den Eingeweiden des unheimlichen Feuerberges zu lesen, läßt sich nur begreifen, wenn man einen tieferen Blick in die innere Anlage und Ausstattung des genannten berühmt gewordenen Observatoriums näher in’s Auge faßt, wo, wie bereits erwähnt, Palmieri seine Beobachtungsstation aufgeschlagen hat, und hier mit Hülfe der ausgezeichnetsten Instrumente gewissermaßen in derselben Weise jede Regung und Zuckung des feuerspeienden Ungethüms registrirt, in welcher der Arzt am Krankenbette mit gespannter Aufmerksamkeit die Athemzüge und Pulsschläge des in Fieberhitze liegenden Patienten verfolgt. In der That umfassen die Räume dieser in ihrer Art einzigen Werkstätte der Wissenschaft eine Zusammenstellung von Apparaten, welche alles bisher auf diesem Gebiete Geleistete übertrifft und ein förmliches physikalisches Cabinet von höchstem und allgemeinstem Interesse bildet.

Das Gebäude selbst, welches schon 1844 von der neapolitanischen Regierung zur Beobachtung der mit den Eruptionen des Vesuvs zusammenhängenden Erscheinungen errichtet wurde, liegt unweit der in Schilderungen des Vesuvs oftgenannten Eremitage, zweitausendundachtzig Fuß über der Meeresfläche, auf dem Rücken eines Hügels, an dessen Abhängen schon so manches Mal der Strom der Lava sich gebrochen, ohne denselben bis jetzt überfluthet zu haben, und dessen Gipfel daher stets ein sicheres Asyl für die Pioniere der Wissenschaft blieb.[1] Das Gebäude ruht zunächst auf einem Unterbau aus soliden Gewölben; über diesen befindet sich eine Halle mit interessanten Sammlungen von Lava und sonstigen vulcanischen Mineralien, und von dort aus gelangt man sodann auf Stufen zu dem eigentlichen Observatorium. Der interessanteste Theil des letzteren ist die reiche Rüstkammer der seismographischen Apparate, das heißt derjenigen Instrumente, welche zur Markirung der vielartigen Erderschütterungen, insbesondere hinsichtlich des Zeitpunktes, der Dauer, Stärke und Richtung derselben dienen. Hier tritt uns in der That eine wahre Fülle des Neuen und Bewunderungswürdigen entgegen.

Die bisher gewöhnlich angewendeten Seismographen oder Erderschütterungsanzeiger bestanden meist einfach aus einer senkrecht stehenden, oben offenen und bis zum obersten Rande mit Quecksilber gefüllten Glasröhre. Trat nun ein Erdbeben ein, so wurde das Quecksilber, ganz ebenso wie bei einem vollkommen gefüllten und plötzlich angestoßenen Gefäße, in um so größerer Menge aus der Glasröhre herausgeschleudert, je heftiger der Erdstoß war, während zugleich die Richtung des letzteren deutlich durch die Seite angezeigt wurde, nach welcher sich das ausgeworfene Quecksilber ergossen hatte.

In wesentlich vervollkommneter Gestalt findet sich dieses mehr primitive Instrument auch in dem Palmieri’schen Observatorium und zwar in Form eines hölzernen Troges, welcher zu drei Viertheilen mit Quecksilber angefüllt und rings an seinem innern Umfange unmittelbar über dem Quecksilberspiegel mit acht gleich weit von einander abstehenden Löchern (den acht Haupt- und Zwischenhimmelsgegenden entsprechend) versehen ist, welche jedoch nach außen nicht offen, sondern mit einer Schraube verschlossen sind. Im Falle einer Erderschütterung gerät nun das Quecksilber, wie man sich dies an einem mit Wasser gefüllten Zuber vergegenwärtigen kann, in Schwankung, indem es an der betreffenden Wand des Troges emporsteigt und dabei zugleich in eines oder mehrere der bezeichneten, etwas nach außen geneigten Löcher einfließt, aus denen man dasselbe alsdann mittelst der erwähnten Schrauben, wie durch einen Hahn, außen ablassen und dessen Quantität bestimmen kann. Je mehr Quecksilber unter diesen Umständen in ein oder mehrere Löcher trat, desto heftiger waren offenbar die Erderschütterungen, und ebenso läßt sich auch aus der Lage der betreffenden, mit Quecksilber gefüllt gewesenen Löcher mit Sicherheit auf die Richtung der stattgehabten Stöße schließen.

Ungleich complicirter und umfangreicher, aber zugleich auch bedeutend vollkommener ist ein anderer höchst sinnreicher Apparat, bei welchem gleichfalls das Quecksilber die Hauptrolle spielt, daneben aber auch die Elektricität ihr wunderbares Spiel entfaltet. Man denke sich eine U-förmig gebogene, an beiden Enden offene Glasröhre, deren einer Schenkel beträchtlich länger als der andere ist, während dagegen der kürzere Schenkel in seinem Querschnitte die doppelte Weite vom ersteren besitzt. Bis zu einem gewissen Punkte ist die Glasröhre mit Quecksilber angefüllt, welches daher, wie bei allen communicirenden Röhren, in beiden Schenkeln gleich hoch steht. Von oben reicht sodann ferner in jeden der beiden Schenkel ein feiner Platindraht hinein, welcher in dem kürzeren und weiteren Schenkel in das Quecksilber eintaucht, wogegen er in dem längeren nur bis nahe an die Oberfläche desselben reicht: Jeder der beiden Platindrähte ist durch einen besonderen Leitungsdraht mit einem Pole einer keinen Daniell’schen Batterie verbunden, so daß demnach die hierdurch gebildete galvanische Kette nur an einer Stelle, nämlich in dem längeren und engeren Schenkel der Glasröhre unterbrochen ist, wo der Platindraht, wie erwähnt, nicht in das Quecksilber eintaucht.

Wird nun aber Letzteres durch eine Erderschütterung plötzlich in Schwankung versetzt, so äußert sich die Wirkung hiervon in diesem engeren Schenkel naturgemäß weit stärker als in dem weiteren und kürzeren Schenkel, und steigt daher auch das Quecksilber in dem ersteren am weitesten in die Höhe, wobei es zugleich nothwendiger Weise mit der Spitze des Platindrahtes in Berührung kommt. Hierdurch wird aber in demselben Momente die Kette geschlossen und der galvanische Strom in Circulation gesetzt, welcher nun durch ein in die Drahtleitung eingeschaltetes Läutewerk, sowie durch andere, sogleich noch näher zu beschreibende, mehr telegraphische Vorrichtungen die Erdstöße signalisirt.

Jedermann hat wohl heutzutage schon Gelegenheit gehabt, in einem Telegraphenbureau die sogenannten, das Hauptorgan aller Telegraphenapparate bildenden Elektro-Magnete (in Form aufrechtstehender mit übersponnenem Drahte bedeckter Rollen) zu sehen, welche bekanntlich beim Durchgange des elektrischen Stromes magnetisch werden und dadurch den sogenannten Anker, das heißt den bei der Zeichengebung thätigen eisernen Hebel anziehen. Zwei solche Elekro-Magnete sind nun auf dem Wege der beschriebenen Drahtleitung in einiger Entfernung von einander derart angebracht, daß der durch eine Erderschütterung in Gang gesetzte elektrische Strom durch sie hindurchgehen und sie somit in Thätigkeit setzen muß. Der eine derselben zieht dabei, ähnlich wie eben geschildert, einen eisernen Hebel an, dessen anderer Arm hierdurch hemmend in das Räderwerk einer ständig gehenden Uhr eingreift und Letztere stille stehen macht, womit demnach der Moment des Eintrittes eines Erdstoßes auf’s Genaueste durch den Zeitpunkt angegeben wird, in welchem die Zeiger der Uhr stehen geblieben sind.

Eine gerade umgekehrte Aufgabe fällt dagegen dem zweiten Elektromagneten zu. In demselben Augenblicke nämlich, in welchem der erste den Gang der Uhr hemmt, setzt der andere ein zweites Uhrwerk dadurch in Bewegung, daß er das bis dahin außerhalb der verticalen Lage festgehaltene Pendel durch die Bewegung der mechanischen Hebelvorrichtung plötzlich losläßt und so in Schwingungen versetzt. Von einer durch diese Uhr bewegten Walze beginnt nun gleichzeitig ganz ebenso, wie bei den gewöhnlichen Schreibetelegraphenapparaten, ein schmaler Papierstreifen sich mit der Geschwindigkeit von drei Metern in der

  1. Um unseren Lesern ein Bild von der Lage des Observatoriums zu geben, fügen wir diesem Artikel eine Abbildung des brodelnden Berges nach einer Skizze des Malers Heck bei, welche derselbe vor dem großen Ausbruche am 24. April in unmittelbarer Nähe der Kratermündungen aufgenommen hat.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_776.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)