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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Gehalt fast eine Nebensache. Die Nebeneinkünfte sind die Hauptsache, und diese bestehen nicht nur im „Denier à Dieu“, im Draufgeld, das ihm beim Miethen einer Wohnung gegeben wird, und in den Neujahrsgeldern, sondern auch in verschiedenen Naturalleistungen. So wird ihm zum Beispiel, wenn ein Mietsmann ein Fuder Holz kommen läßt, ein großes Scheit, „La bûche“, verabreicht. Auch wenn ein Miethsmann eine Weinlieferung empfängt, wird der Concierge in der Regel mit einigen Flaschen bedacht, und bei sonstigen freudigen und traurigen Ereignissen, bei Hochzeits-, Geburts- und Todesfällen, wird er ebenfalls nicht vergessen. Und dennoch bilden diese directen und indirecten Abgaben, die ihm die Miethsleute entrichten, und sein Jahrgehalt noch nicht seine Gesammteinnahmen. Er hat noch gar viele Einkünfte, von denen die Philosophie der Miethsleute sich nichts träumen läßt und die diesen, wie wir bald sehen werden, mehr oder minder theuer zu stehen kommen. Sobald nämlich die Abenddämmerung naht, wird in Paris jede Hausthür geschlossen, die der Concierge, wenn er schellen hört, vermittelst einer in seiner „Loge“ angebrachten Vorrichtung öffnet. Der Eintretende hat die Hausthür sogleich zu schließen. Will Einer Abends das Haus verlassen, so ruft er im Hausgang mit lauter Stimme: „Cordon, s’il vous plaît!“ worauf sich die Hausthür öffnet. Diese französischen Worte lernt jeder Ausländer, der auch sonst kein Wort Französisch versteht, am schnellsten, da sie ihm am nothwendigsten sind.

Nun ist ein Pariser Haus eine Stadt im Kleinen, wo vom ersten bis zum letzten Stockwerte sehr viel Stände, natürlich im umgekehrten Verhältnisse zur Höhe des Hauses, vertreten sind. Die reichern Stände haben Equipagen und zahlreiche Dienerschaft, Kutscher, Lakaien, Bonnen, Kammermädchen und Köchinnen. Dieses Gesinde wird oft, besonders am späten Abend, oder gar in der Nacht, von Freiheitsgelüsten befallen. Es will eine heitere Stunde außerhalb des Hauses verleben, und damit der Concierge, ohne dessen Hülfe man das Haus nicht verlassen kann, der Herrschaft nichts verrathe, wird er durch das allereinfachste Mittel, durch Bestechung, zum Schweigen gebracht. Wie Niemand die Schwelle des Hades betritt, ohne den furchtbaren dreiköpfigen Wächter mit einem Honigfladen zu besänftigen, so kehrt in Paris keine junge Köchin oder Dienstmagd vom Marke heim, ohne im Geheimen aus dem Korbe eine Spende für den verschwiegenen Concierge zu holen. Die Concierges haben daher oft eine bessere Tafel als gar manche der Hausbewohner, ja vielleicht ihr Hausherr selbst, was indessen ihr Gemüth durchaus nicht verstimmt und ihre Verdauung nicht im geringsten stört.

Der Concierge kennt die Hausbewohner genauer, als diese glauben; er kennt besonders eine gewisse Classe derselben. Er beurtheilt sie nach den Besuchen, die sie empfangen, nach den Erkundigungen, die man über sie bei ihm einzieht, nach dem Geschwätz der Dienerschaft, die sämmtlich mit ihm auf gutem Fuße steht und gern über das Familienleben ihrer Herrschaft plaudert, und er hört nicht selten die Klagen der Gläubiger, die über die oft saumselige Zahlung eines oder des andern Miethsmannes laut werden. Zählt er nun unter den Hausbewohnern einen jungen Mann, der wild darauf loslebt und in der süßen Gewohnheit des Daseins und Nichtwirkens die einlaufenden Rechnungen unquittirt in den Winkel wirft, so wartet der schlaue Hüter des Hauses kaltblüthig auf die unausbleibliche Katastrophe: der junge Mann wird genöthigt, einen Theil seiner Habseligkeiten zu veräußern, und der Concierge führt ihm den Käufer zu, der diesem bereits eine Provision bewilligt hat und im Einverständniß mit ihm den verlorenen Sohn abmurkst. Außer solchen verlorenen Söhnen giebt’s auch in vielen Pariser Häusern verlorene Töchter, die sich so schlecht auf das Haushalten verstehen, daß ihnen das Leichtgewonnene ebenso leicht in der Hand zerrinnt und sie sich über kurz oder lang zum Losschlagen ihrer Siebensachen gezwungen sehen. Der Concierge ist auch hier gewöhnlich der Vermittler zwischen dem Käufer und der Verkäuferin und wird von Beiden abgefunden. Uneigennützigkeit ist überhaupt seine Sache nicht, und der Pariser Concierge, der etwas um Gotteswillen thut, soll noch geboren werden.

Gewöhnlich ist die Obhut eines Pariser Hauses einem Ehepaar übergeben. Der Concierge übt nicht selten, zumal in den Häusern der niederen Volksschichten, ein Handwerk, in der Regel des Schneiderhandwerk, aus, und während er in der „Loge“ lebensmüde Hosen oder verwundete Rockärmel schlecht und recht curirt, besorgt seine Hälfte die laufenden Geschäfte, und wenn diese erledigt, sitzt sie im Lehnsessel mit dem schnurrenden Kater im Schooße, oder füttert die Canarienvögel; denn die Concierges lieben die Thiere, und es giebt in Paris kaum eine Conciergeloge, in welcher sich nicht eine kleine Menagerie befände. In den ärmern Häusern entfernter Vorstadtsviertel bildet der Rabe den Lieblingsvogel der Hauswarte. Diese haben aber auch noch andere Zerstreuungen. Sie plaudern mit dem Gesinde der Hausbewohner, das im Conciergezimmer seinen Vereinigungespunkt besitzt, oder sie lesen die Zeitungen, die für die Abonnenten im Hause anlangen. Der Abonnent irrt sehr, wenn er an die Jungfräulichkeit des Kreuzbandes seiner Zeitung glaubt. Dieses ist bereits vom Concierge abgelöst worden, der vor dem rechtmäßigen Besitzer alle Enten benagt, mit denen tagtäglich das neuigkeitshungrige Publicum abgespeist wird.

An den Winterabenden werden vor den zahlreichen Gästen in der Conciergeloge die Romane gelesen, in welchen die blutigsten Gräuelscenen abwechseln, das Laster sich fünf Bände hindurch erbricht und die Tugend sich erst am Ende des sechsten zu Tisch setzt. Zur Zeit, als Ponson du Terrail seine Productionen so schnell und so reichlich aus dem Aermel schüttelte, daß er zugleich fünf Romane in fünf verschiedenen Journalfeuilletons dem Heißhunger seiner Leser darbot, bildeten die Pariser Concierges allabendlich dichte Leserkreise, wo die Aufmerksamkeit durch die Lectüre so sehr gefesselt war, daß nicht selten der Hausbewohner unzählige Male an dem Schellenknopf vor der Hausthür zerren mußte, bis diese ihm geöffnet wurde. Besonders war dies der Fall, als die Reihe der Rocamboles von dem eben genannten Verfasser erschien. Wie mancher hat sich damals vor der Hausthür harrend den Schnupfen geholt! Der eben verstorbene Emile Gaboriau hat mit seinen Romanen ein gleiches Unheil angestiftet.

In den Häusern freilich, die von den Eigenthümern bewohnt werden, müssen die Concierges auf der Hut sein, da sie von denselben überwacht werden; wo aber dies nicht der Fall ist, bleibt der Miethsmann allen Launen und Grillen der Concierges ausgesetzt, über die er sich aus Gründen, die wir bald werden kennen lernen, nicht beklagen darf. Wer also in Paris eine Wohnung miethet, sucht sich vor Allem über diesen Punkt zu vergewissern.

Kein Beruf hat indessen lauter rosenfarbige Seiten; im Amte eines Pariser Concierges ist daher auch nicht Alles rosig. Ein Pariser Hauswart hat nicht nur das Haus zu bewachen und Hausflur und Treppen rein zu erhalten, er hat nicht nur vom frühen Morgen bis spät am Abend hunderterlei Aufträge für die zahlreichen Bewohner entgegenzunehmen, sondern er hat auch Nachts keine Ruhe. Da in Paris die Theatervorstellungen kaum vor Mitternacht enden, so kehren die Besucher derselben erst gegen ein Uhr und während der Wintersaison, wo allabendlich Bälle und Soiréen stattfinden, oft erst gegen drei Uhr Morgens nach Hause. Er hat dann die ganze Nacht hindurch keine Rast. Die meisten Concierges sind daher nach einer Reihe von Dienstjahren mürrisch und verdrossen. Doch giebt es einen Monat im Jahre, wo selbst der mürrischste und sauertöpfischste der Concierges freundlich und liebenswürdig gegen die Hausbewohner wird. Es ist dies nicht der Wonnemonat, wo alle Büsche sich in Blumen- und Blüthenknäufe verwandeln, die Nachtigallen in den Zweigen jubeln und Liebespaare unter duftigem Flieder träumen, sondern in dem Monate, da die Erde im Scheintode liegt, die Raben in der Schneeluft krächzen und der Frost krystallene Zöpfe an die Dachtraufen hängt, kurz im letzten Monate des Jahres, der in Paris gewöhnlich seine unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger an unerträglichen Launen übertrifft. Diese einunddreißigtägige Liebenswürdigkeit der Pariser Concierges ist nichts weniger als uneigennützig; sie soll vielmehr die Großmüthigkeit der Hausbewohner am Neujahrstage hervorrufen, welcher der Erntetag so vieler Tausende von Beamten, Angestellten und Dienerschaften ist.

Man hat berechnet, daß in Paris täglich eine Million Franken an Trinkgeldern verausgabt wird. Man wird dies nicht übertrieben finden, wenn man bedenkt, daß ein Pariser weder in einem Kaffeehause, noch in einer Restauration irgend etwas genießen kann, ohne den Kellner mit einem Trinkgelde zu

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