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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


bewußt, die Basis ihres jungen Lebens gewesen, was sie dereinst so freudig auf Treu’ und Glauben hingenommen. Täglich suchte scharfe Logik vor ihr zu beweisen, daß heute Irrthum sei, was gestern Wahrheit gewesen.

Thea war eben siebzehn Jahre alt geworden, als ihr der Graf eröffnete, daß er nach Deutschland zurückzukehren gedenke und ihren Eltern die Zusage gegeben hätte, sie ihnen für längeren Aufenthalt zuzuführen. Diese Mittheilung traf das junge Mädchen nicht erfreulich; obgleich sie mit den Ihren in stetem Briefwechsel geblieben, fühlte sie doch ihnen gegenüber ein Fremdsein, das sie sich selbst kaum eingestehen mochte, eine Scheu, sich der Enge des väterlichen Hauses und Kreises zu fügen, die mehr instinctartig, als bewußt, aber doch ein lauter Zeuge für den Wandel war, der mit ihr vorgegangen. Doch war sie klug genug, keine Einwendung zu machen, selbst keine Frage zu stellen, als sich Graf Hugo in ziemlich verworrenen Redensarten darüber erging, daß sich vielleicht bis zu ihrem beiderseitigen Wiedersehen Manches geändert haben, ihr gegenseitiges Verhältniß aber unter allen Umständen bestehen bleiben würde.

Es war Frühlingszeit, als der Plan zur Ausführung kam und Graf Mattern das ihm anvertraute Gut in die Hände ihrer Eltern zurückbrachte. Nur für einige Zeit, wie er sich äußerte.

(Fortsetzung folgt.)




Paschawirthschaft in der Türkei.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.
(Schluß.)
Wie ein Pascha abgesetzt und wieder eingesetzt wird. – Schreckliche Sühne für die Christenverfolgung. – Der alte zähe Patriot.


Einmal aber gelang es doch einem Feinde, den kleinen Pascha von dem angeblichen Hungerposten zu verdrängen. Es war dies ein Grieche, der den gebildeten Europäer spielte, aber in Wirklichkeit der vollkommenste Asiat war. Alle Laster und Kniffe, die man den Asiaten vorwirft, waren bei ihm vertreten. Zu den ersteren gehörte, daß er, obgleich Christ, einen vollständigen Harem besaß, der jedoch zu seinem Kummer nur aus schwarzen und dunkelbraunen Sclavinnen bestand. Er sehnte sich aber nach einer Tscherkessin und fand auch wirklich im Geheimen eine solche. Damit hatte er jedoch den Fanatismus der Mohammedaner verletzt; diese sahen die Erlaubniß, Sclaven zu besitzen, als ein Vorrecht ihres Glaubens an. Die dunklen Schönheiten hatte man ihm gegönnt, die weiße dagegen erregte Neid. Man bestürmte den Pascha mit Vorstellungen, und dieser setzte es auch wirklich durch, daß die Tscherkessin dem Griechen genommen wurde. Da er bei dieser Gelegenheit den Mann auf eine empfindliche Weise bloßstellte, indem dessen Consul die Sache erfuhr und den Griechen, der ja als europäischer Schützling gar keine Sclaven haben durfte, zur Rechenschaft zog, so hatte er sich denselben zum Todfeind gemacht. Der Grieche war viel zu schlau, um nicht die wahre Natur des angeblichen Hungerpostens zu kennen, und er schwur, nicht zu ruhen, bis er den Pascha davon verdrängt habe. Da er reich war, so gelang ihm dies durch Bestechungen in Constantinopel vortrefflich, denen Nuri-Pascha keine Gegenbestechungen entgegensetzen konnte; denn er hatte ja stets petitionirt, daß man ihn seiner Stelle entheben möge. Nun wurde, sehr zu seinem Leidwesen, diese Bitte erhört. Aber es verging kein halbes Jahr, so war er wieder eingesetzt, und zwar durch Vermittelung ebendesselben Griechen. Er hatte den Zorn desselben entwaffnet, indem er sich, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, zu einer Höflichkeit herabließ, ihm einen Brief voller Entschuldigungen schrieb, der noch dazu von Geschenken begleitet war. Den Griechen rührte nur eines dieser Geschenke, das, man wird es errathen, in nichts Anderm als – einer Sclavin bestand. Der dankbare Grieche bestach von Neuem, um das Ergebniß der ersten Bestechung rückgängig zu machen; und Nuri-Pascha, der sich inzwischen auf einem andern Posten unmöglich gemacht hatte, wurde, angeblich wieder zur Strafe, nach Dschedda zurückversetzt. Sein Nachfolger hatte nämlich in Dschedda ein solches Chaos gefunden, die Leute waren ihm so verarmt, die ganze Stelle so erbärmlich vorgekommen, daß er nach Constantinopel schrieb, der Posten sei wirklich der schlechteste in der Türkei, ein wahrer Strafposten.

So haben die treuen Dscheddaner ihren alten lieben Nuri-Pascha wieder und werden ihn auch wohl behalten bis an sein seliges Ende. Sie sind damit nicht gerade unzufrieden, denn einmal haben sie sich an die Launen des alten Tigers schon gewöhnt, und dann glauben sie eben an das arabische Sprüchwort, wonach ein voller Blutegel besser ist als ein leerer.

Zuweilen hat jedoch der Posten in Dschedda auch seine Schattenseiten, namentlich wenn Verwickelungen mit europäischen Mächten vorkommen. Unter den Geschichtchen, welche man damit in Verbindung bringt, giebt es eines, das zwar ein bischen schauerlich klingt, weshalb ich jede zartnervige Leserin im Voraus warne (wie man in der Schaubude ankündigt: „Jetzt wird geschossen“), welches jedoch so vollkommen orientalisch ist, daß kaum etwas Anderes einen treueren Begriff von Dem geben kann, was man im Orient noch heutzutage für möglich hält. Ich sage nicht: „was noch möglich ist“ (obgleich ich an diese Möglichkeit glaube), denn ich kann für das Geschichtchen keine Bürgschaft übernehmen. Da es aber in Dschedda geglaubt und allgemein erzählt wird, auch Niemand, nicht einmal der dort lebenden Europäer, etwas Unwahrscheinliches daran findet, so kann man es wenigstens als Probe des Ortsgeistes anführen. Es ist eigentlich ein kleines Stück Weltgeschichte, denn es betrifft die blutige Christenverfolgung in Dschedda oder vielmehr die Sühne, welche die europäischen Mächte dafür verlangten. So viel ich mich erinnere, haben sich zu jener Zeit die europäischen Zeitungen mehrmals mit den von Frankreich erzwungenen Geldentschädigungen beschäftigt, welche die Pforte den Hinterbliebenen der Opfer der Verfolgung zahlen mußte, sowie mit den sentimentalen Telegrammen des Sultans an Napoleon den Dritten, worin Jener sein tiefes Bedauern über den Vorfall ausdrückte und die Diesem Gelegenheit verschafften, sich wieder einmal als den alleinigen Verfechter der Humanität zu geberden. Ob damals in Europa viel von der Verfolgung verlautet hat, welche die Urheber derselben getroffen, weiß ich nicht, da ich damals im Orient war. In Dschedda dagegen sprach und spricht man noch heute nur von der Strafe und weiß von den Entschädigungen und den Humanitätstelegrammen nichts. Eine Strafe hat jedenfalls stattgefunden, das heißt, eine gewisse Anzahl Menschen, die man für die Verfolger hielt, büßten mit dem Leben. Eigentlich hätte aber die Strafe, wenn sie einmal den wahren Verfolgern gelten sollte, die sämmtliche Bevölkerung von Dschedda treffen müssen, denn fast die ganze Stadt hatte daran theilgenommen.

Es war kein vorbereitetes Werk, und von Anstiftern konnte dabei nicht die Rede sein, sondern es war ein unmittelbarer, blutiger Ausbruch des wüthenden Fanatismus, der wie eine Lawine in kürzester Zeit verheerend daherbrauste und Alles mit sich fortriß. Mochte man auch einige Schuldige aussondern, die gerade zufällig einen tödtlichen Streich geführt hatten, schuldig waren Alle, schuldig freilich nur in unserm Sinne, verdienstvoll dagegen vom Standpunkt der Dscheddaner, und dieser Standpunkt ist heute noch nicht aufgegeben. Es war etwas wie Lynchjustiz, nur in’s Orientalische übersetzt; denn der fanatische Pöbel glaubte, eine Art von Gerechtigkeit auszuüben; er tödtete die Europäer ja nicht ihres Glaubens wegen, sondern er war gereizt und gleichsam herausgefordert worden durch verschiedene jener Verletzungen der orientalischen Sitten und Beleidigungen der mohammedanischen Religion, wie sie sich die Europäer jetzt fast überall im Orient erlauben und die sie sich auch in Dschedda gestatten wollten – eine große Ungeschicklichkeit in einer so fanatischen Stadt. Wer in einem Glashaus wohnt, soll nicht mit Steinen werfen.

Aber die europäischen Mächte, namentlich England und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_760.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)