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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

war unabhängig vom florentinischen Reformator Savonarola. Beide waren, was sie sein mußten: Jener ein Deutscher und sächsischer Monarchist, dieser ein Italiener und florentinischer Republikaner. Beide suchten die Kirche im Geiste des Urchristenthums zu verbessern. Beide hielten so lange als möglich am Papstthum fest. Beide sagten sich von ihm los, als es sich selbst von allen christlichen Grundlagen lossagte. Nur unterlag der Italiener, weil ihn seine feigen Mitbürger im Stiche ließen, und der Deutsche siegte, weil energische Fürsten ihm ihren Schutz gewährten. Nichtsdestoweniger ist für jeden aufrichtigen Christen ehrwürdig das Andenken des ersten Altkatholiken Savonarola.

Dr. Otto Henne-Am Rhyn.




Das Ende vom Liede.
Eine Berliner Geschichte von Albert Moedinger (Max Alt).
(Schluß.)

Die Tagebuchblätter, welche, nur auf einer Seite beschrieben, aneinandergeheftet waren und die ich nicht eher aus der Hand legte, als bis ich zu Ende gelesen, lasse ich in der Reihe folgen, die der Schöngeist ihnen gab.




Eduard Sandow hat ein Testament hinterlassen, in welchem er Frau und Mutter zu gleichen Theilen zu Erbinnen seines Vermögens eingesetzt hat. Die junge Wittwe hat nach Verlauf ihres Trauerjahres (die damalige Mode war sehr hübsch, und der schwarze Krepp stand sehr gut zu ihrem feinen Teint) einen jener Privatstallmeister geheirathet, welche eine Reitbahn halten und Unterricht geben. Sie hatte ihn kennen gelernt, als sie sechs Wochen nach dem Tode ihres Mannes zur Stärkung ihrer angegriffenen Gesundheit mit einer gleichgestimmten Freundin einen Cursus bei ihm begann. Er soll ein sehr schöner stolzer Mann gewesen sein, der damals bei den Damen sehr in Mode war und um dessen Besitz sich eine große Concurrenz eröffnete. Sie erinnern sich, daß Concurrenzen eine schwache Seite Marie Sandow’s waren; sie bewarb sich und erhielt in diesem Falle den Preis. Sie ist nun Frau von Fennstein (er ist adelig und war früher Officier; Sie wissen, was das sagen will, und man kann sie häufig im Thiergarten an der Seite ihres Gatten auf einem sehr schönen silbergrauen Zelter sehen.

In der Familie ihrer Mutter sieht es nicht ganz so erfreulich aus. Die zweite Tochter ist (in Folge einer Liebschaft mit einem Schauspieler) ohne Talent zum Theater gegangen. Die beiden Söhne – der Engländer ist schon lange heimgekehrt – liegen der Mutter zur Last und jagen ihr nach und nach das letzte Bischen ihres geringen Vermögens ab. Den jüngern, den von der Hochzeit, sehe ich häufig Abends in diesem oder jenem Wirthshause. Er ist regelmäßig angetrunken und ewig in Geldverlegenheiten.




Meine Tante, die Kriegsräthin, hat schwer durch den Verlust ihres Sohnes gelitten. Sie ist sehr alt geworden, und es hat lange gedauert, ehe sie etwas zur Ruhe gekommen ist. Mit Hülfe des L’hombres ist es endlich einigermaßen gelungen. Nur an den Geburts- und Sterbetagen des Verlorenen war sie regelmäßig in solcher Aufregung gewesen, daß die Partie abbestellt wurde. Sie werden gleich hören, warum. Drei Jahre waren seit Eduard’s Tode vergangen und der traurige Tag wieder vor der Thür, als die Kriegsräthin meine älteste Schwester bat, sie „morgen“ nach dem Kirchhofe zu begleiten, da ihre alte Gesellschaftsdame krank sei.

„Gern, Tantchen!“ antwortete meine Schwester. „Ich wollte so wie so hinausgehen.“

„So sei um sieben Uhr früh am Fenster, mein Kind! Ich werde mit dem Wagen vorfahren,“ fuhr die Kriegsräthin fort.

„Aber um sieben Uhr, Tantchen, Ende September, in Ihren Jahren?“

„Sprich nicht, Kind!“ erwiderte die alte Dame. „Es muß sein. Wir müssen gleich nach sieben Uhr da sein. Vielleicht ist es noch nicht einmal früh genug.“

Als sie am Tage darauf um die genannte Zeit zusammen hinausgefahren waren, soll meine Tante auffallend erregt gewesen sein und fortwährend leise mit sich selbst gesprochen haben. Meine Schwester, deren Gegenwart sie so wenig beachtete, als wenn sie gar nicht da war, wollte die leise gemurmelten Worte, die sie oft wiederholte, endlich verstanden haben. Sie behauptete, sie hätten gelautet: „Ich muß es entdecken, – ich muß es entdecken – ich habe keine Ruhe eher, … und wenn ich den ganzen Tag auf seinem … Grabe bleiben soll.“

Als der Diener am Ende ihrer Fahrt den Wagenschlag geöffnet hatte und sie ausgestiegen und auf die kleine Kirchhofsthür zugegangen waren, verließ ein sehr einfach, aber sauber gekleidetes junges Mädchen den Friedhof und trat zu derselben Thür heraus. Meine Tante fuhr auf sie zu mit einem Schrei, und es soll sehr seltsam ausgesehen haben, wie sie ihre noch immer hohe Gestalt klein gemacht hat, um der Fremden unter den runden Hut zu sehen. Diese soll augenscheinlich den Wunsch gehabt haben, sich dem eindringlichen Examen zu entziehen, aber es gelang ihr nicht. Meine Tante hatte sie mit beiden Händen an den Schultern gefaßt, als wenn sie sie schütteln wollte; sie hatte es aber nicht gethan, sondern das junge Mädchen nur eine Zeitlang stumm angesehen und dann sehr schnell, obgleich mit zitternder Stimme, die Worte hervorgestoßen: „Sie waren es! … Sie waren es! … ich wußte es … ich danke Ihnen … Sie waren es!“ Dann hatte sie ihren Arm unter den der Fremden geschoben und in einem bei ihr seltenen weichen Tone hinzugefügt: „Machen Sie mir die Freude, mein Kind – einer alten Frau – mich noch einmal zu ihm zu begleiten!“ und hatte das junge Mädchen, das noch immer schwieg, willenlos mit sich fortgezogen.

Meine Schwester sagt, daß sie, ihnen folgend, das unbehagliche Gefühl eines Menschen gehabt habe, der deutlich empfindet, daß er mehr als überflüssig ist. Diese Lage war dadurch noch gesteigert worden, daß sie sich von den Beiden nicht entfernen konnte, weil sie den größeren Theil der frischen Kränze trug, deretwegen sie doch hinausgekommen waren. So war sie langsam hinterher gegangen und hatte die Tante noch ein paar Mal wiederholen hören: „Sie waren es! … ich wußte es!“ Weiter war nichts gesprochen worden. Als sie an der Stelle angekommen waren, wo sie ihn vor vier Jahren gebettet hatten, lag der Grabhügel vor ihnen im schönsten Blüthenschmuck, und die alte Dame soll davorgestanden haben mit stummen Thränen im Auge, und ihre Stimme soll immer noch gezittert haben, als sie sagte: „Wie im vorigen Jahr, und vor zweien … Sie waren es – ich danke Ihnen – ich wußte es.“ Darauf hat sie meiner Schwester die Kränze abgenommen, als wenn sie auf einem Nagel aufgehängt wären, und hat sie, sich bückend, an den Seiten des Grabhügels befestigt, augenscheinlich, um nichts zu ändern an dem Schmuck seiner oberen Fläche. Dann war sie auf die Bank gesunken, die zu Seiten des Hügels stand, und hatte die Fremde, auf deren Arm sie sich wieder gelehnt, mit sich niedergezogen.

Meine Schwester wollte den günstigen Moment erfassen, um eine in der Nähe ruhende Freundin zu besuchen, aber ein herrischer Blick der alten Dame hatte sie fest an die Stelle gebannt, wo sie gerade stand. Ein ganz kurzes Schweigen war noch gefolgt, dann hatte meine Tante sich aufgerichtet und mit volltönender Stimme gesagt, als wenn sie zu einer größeren Versammlung spräche und es auch Die hören sollten, die nicht da waren: „Ich bin hart gestraft worden, liebes Kind, sehr hart, und ich trage schwer daran, glauben Sie mir! Welch ein glücklicher Mann könnte er jetzt sein, welch glückliche Mutter ich, wenn ich diesen erbärmlichen Stolz nicht gehabt hätte! Worauf war ich stolz, mein Gott! worauf? War es mein Verdienst, daß Er mich so reich gesegnet hatte!? Er zog zürnend seine Hand von mir, und ich wußte es an dem – Tage, es war die Strafe für meine Schuld, meine Schuld, die uns – Alle unglücklich gemacht hat! Es muß heute herunter von meinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_752.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)