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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Thränen – und die brauche ich selbst, um den Brand in meiner Brust zu löschen.

Als Fanny das Haus des Malers betrat, war dort Alles Unruhe, Aufregung. Ein Duell hatte wirklich stattgefunden; Walter war verletzt, Werdau tödtlich verwundet. So viel vernahm das Mädchen aus der geschwätzigen Hausfrau Andeutungen. Als die Einfältige dennoch ihren Auftrag erklärte, rief die Frau mit gegen Himmel gekehrten Augen: „Der arme Herr! Das wird lange dauern, bis der wieder zum Hause hinaus kann!“ Fanny ging alle Tage, sich nach Walter’s Befinden zu erkundigen. Am sechsten Tage ließ er mir sagen, er wolle Abends im Garten sein.

Ich ließ im Pavillon heizen und war glückselig zu sehen, daß Cousine Dorothea sich schon um vier Uhr zurecht machte, um einen langen Abend bei einer Pensionsfreundin (sie hat noch solche!) zuzubringen. Ernst ging in eine abendliche Commissionssitzung. Daß mir das Herz gewaltig kopfte, wie Fanny kam und meldete, Herr Impach sei im Pavillon, kannst Du Dir denken. Ich hatte meinen Pelz kaum umgeworfen, als mein Gewissen sich gegen das, was ich thun wollte, empörte und mich noch zur rechten Zeit zur Besinnung brachte. Unmuthig warf ich den Pelz auf einen Divan und dachte dabei: „Habe ich alle Fehler unseres Standes, Anmaßung, Einbildung, so sei wenigstens eine der dazugehörenden Tugenden geübt! Einer Waldemberg geziemt es nicht, heimliche Stelldicheins im Garten zu geben. Mit offenem Visir sei gehandelt!“

„Führen Sie Herrn Impach in mein Boudoir!“ befahl ich Fanny.

Ob die Gewißheit, daß Dorothea und der Bruder nicht hineinkommen würden, nicht einen großen Theil zu diesem heroischen Entschluß beitrugen? Bleich vor Aufregung, unsicheren Schrittes betrat ich das Zimmer, wo er meiner harrte. Er erhob sich mühevoll und schritt mir langsam entgegen.

„Ich konnte mich nicht früher Ihrem Wunsche fügen – eine leichte Wunde in der Schulter –“

„Sie hatten ein Duell mit dem Grafen von Werdau?“

„Auch das wissen Sie?“

„‚Auch das‘?“ sprach ich jetzt zögernd, „soll das ein Eingeständniß Ihres Fehlers sein? Sollten Sie wirklich schwach gewesen sein?“

„Das glauben Sie?“ frug er jetzt, zurückweichend und eine Stuhllehne zur Stütze ergreifend. „Sie haben einen Augenblick geglaubt, daß ich der niederträchtigste Schurke auf Gottes weiter Erde sei, und rufen mich zu sich, um das Geständniß von meinen Lippen zu hören? Mein Gott!“

Er fiel ermattet in einen Sitz, und ich glaubte, eine Ohnmacht wandle ihn an. Doch nein! Der gespannte, auf Antwort harrende Ausdruck seines Gesichts ließ nicht nach; flehend waren seine Augen auf mich gerichtet.

„Im Gegentheil!“ sprach ich jetzt leise. „Ich bin die Einzige, welche an Ihrer Unschuld nicht gezweifelt, nie gezweifelt hat – doch erklärt will ich Ihr eigenthümliches Benehmen wissen!“

Er erfaßte den Saum meines Kleides, und ihn dankbar küssend, rief er aus: „Ich Unglückseliger – das Einzige, durch welches ich meinen Dank beweisen könnte, darf ich nicht sagen – ich bin – Gott! – durch ein Ehrenwort gebunden.“ Die letzten Worte klangen wie ein Schmerzensschrei aus angstbekommenem Herzen.

„Ein Ehrenwort?“ frug ich jetzt, nachdenklich werdend. Mein Blick streifte kaum sein banges Antlitz, das bleich vom vielen Blutverluste, – auf dem in der Binde ruhenden Arm blieb er haften. Wie mit mir selbst redend, sprach ich vor mich hin: „Ihr Ehrenwort? Ein Duell mit Werdau? Gerechter Himmel, ich begreife! Galt ihm das Ehrenwort, um seine Schuld zu decken?“

„Schweigen Sie, um Gotteswillen schweigen Sie! – Ich darf mein Wort nicht brechen.“

„Nein, aber ich auf Ihrer Stirn, in Ihren Blicken die Wahrheit lesen, wie ich bisher gethan. Daran kann kein Elender mich hindern.“

Ich durchschaute Alles. Werdau hat das Bild für seinen Onkel gestohlen – wer weiß, durch welche Teufelskünste er Walter vermocht, ihm eine Copie anzufertigen, und diesem seine Schandthat verheimlicht. Einem solchen Menschen gegenüber sein Ehrenwort heilig halten, ist Narrheit. –

Ich schritt auf ihn zu, und mit gebieterischer Handbewegung ihn zum Sitzenbleiben nöthigend, rief ich im höchsten Affecte: „Werdau ist der Elende. Kein Wort wußten Sie von dem Betruge, bis mein Bruder ihn entdeckte. Sie machten die Copie, ohne zu ahnen, welchem Zwecke sie dienen sollte. Leugnen Sie, wenn Sie dürfen!“

Er wandte das Gesicht ab, bedeckte es mit beiden Händen, und dumpf klang es an mein Ohr:

„Ihnen mag ich keine Unwahrheit sagen; es ist so.“

„Dann bindet Sie auch kein Wort mehr. Das Duell hat Ihnen Ihre Freiheit zurückgegeben.“

Er blickte mich jetzt wieder an, doch waren seine Augen glänzend, als bärgen sie Thränen. Ich setzte mich ihm gegenüber und forderte ihn nach kurzer Pause auf, mir Alles zu erzählen. Stückweise kam sein Geständniß. Ich wußte Alles, nur nicht was er in jener Schreckensstunde gelitten.

„Solche Folter, solch unsägliche Qual, wie ich ausgestanden, konnten allein den Blick entschuldigen, den ich zum ersten Male in meinem Leben wagte, auf Sie zu richten. Ohne jene Stunde wäre das Geheimniß meines Herzens der Prinzessin verhüllt geblieben. Auf den Knieen möchte ich um Vergebung flehen, flehen, daß die Schuld jenes Momentes mir nicht die Pforten meines Paradieses verschließt; auf mehr als einen Gruß von Zeit zu Zeit hoffe ich ja nicht!“

Er war aufgestanden und hatte die letzten Worte abgewandt herausgepreßt. Ich hielt mich nicht mehr. Mit einer raschen Bewegung war ich an seiner Seite und hatte die Hand auf seine Schulter gelegt. Ich stand hinter ihm, und meiner selbst nicht recht bewußt, ergoß sich heftig der Strom meiner Rede.

„Das also wäre Ihre Meinung von mir? Freilich, eine Prinzessin ist monatelang das Ziel der bescheidensten, hingebendsten Anbetung, sieht ein außerordentliches Talent sich kund thun, jede ritterliche Tugend, den Muth an der Spitze, nach und nach sich entfalten, sieht dann den Besitzer alles Dieses bei seinem leichtsinnig gegebenen Ehrenworte, einem Schurken gegenüber, um den Preis seines Namens, seiner Ehre, seiner Liebe beharren, sieht ihn glänzend gerechtfertigt, und bleibt bei Alledem – kalt wie Marmorstein. Glauben Sie wirklich, Herr Maler, eine Prinzessin habe kein Herz – kein Gefühl? Schenkten Sie Ihre Liebe wirklich einer Wachspuppe? Glaubst Du nicht, Walter, daß auch ich lieben kann wie Du? Wer weiß, vielleicht – vielleicht doch …!“

Ich lachte und schluchzte zugleich, und als er sich umwandte mit einem Gesicht, noch zehnmal bleicher als es vorher gewesen, da – fiel ich ihm um den Hals, Amalie, und habe geweint, wie niemals in meinem Leben, weil ich bisher nur Schmerzensthränen vergoß – die Thränen, die ich nun weinte, waren helle, reine Freudenthränen! Was er mir gesagt hat, ich weiß es nicht zu wiederholen; es ist wahrhaftig der Mühe werth, Prinzessin zu sein, wenn nur der Glaube an eine Unmöglichkeit des Erfolges bei Männern solch wahnsinnige Leidenschaften hervorrufen kann. Daß ich die Seligste auf Erden, kannst Du Dir denken. Was aber nun?

Ich gehe morgen zu Ernst und beichte ihm Alles. Wie wird ihn die Rechtfertigung Walter’s freuen, wie ihn seiner Hedwig Liebe in Erstaunen setzen!

„Deine Ahnmütter folgten nicht wie die Schäferinnen dem Triebe ihres Herzens!“ hat er einst gesagt. Lag in den Worten ein Verbot, eine Warnung? Eine Welt könnte zwischen Walter und mich treten, sie trennte mich nicht mehr von ihm. Man rühmt an unserem Geschlechte die unverwüstliche Ausdauer – sie soll einmal auf die Probe gestellt werden. „Sterben oder siegen“ sei mein Losungswort. Ernst wird, wie ich einst, Bedenkzeit verlangen. Wie, wenn Du – Amalie, Deinen Einfluß – ich allein kenne ihn – auf ihn ausübtest und Mutterstelle an mir verträtest? Meine arme Mutter, das weiß ich, wäre meinem Walter günstig; eine Locke ihres Haares, die ich stets auf dem Herzen trage, lag – fiel einst auf Walter’s blondes Haupt. Ich hatte Mühe, sie wieder zu finden, so ähnlich ist die Farbe seiner Haare denen der armen Mutter.

Jetzt, Amalie, lebe wohl! Noch muß ich Zeit gewinnen, mir Muth einzusprechen zum morgigen Tag. Ob dem General wie mir zu Muthe, wenn er in die Schlacht reitet? Gute Nacht, Amalie! Mögen alle guten Engel mir morgen beistehen!

Deine Hedwig.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_676.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)