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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Dennewitz und des gediegenen Scharnhorst, der die preußische Landwehr geschaffen.

Daran reiht sich die Universität mit ihren Lehrern, den Helden des Friedens. Hier hat Fichte unter den französischen Bajonneten seine Reden an die deutsche Nation gehalten, Schleiermacher die Religion der Liebe verkündigt. Gegenüber erhebt sich der Palast „unseres Fritz“, früher die bürgerlich schlichte Wohnung Friedrich Wilhelm’s des Dritten, bewacht von den Erzbildern des alten Blücher, des kühnen York und des klugen Gneisenau. Nur wenige Schritte davon entfernt liegt das Opernhaus, welches Friedrich der Große durch Knobelsdorf errichten ließ. Noch stehen, wenn auch nach dem Brande restauriert, die alten Grundmauern, in denen der Genius seines Jahrhunderts, ermüdet von Arbeit und Siegen, ausruhte, bald mit musikalischem Ohr den Tönen einer Mara lauschend, bald sich an dem graziösen Tanz der reizenden Barbarina ergötzend, oder auf den beliebten Redouten im Domino heiter, geistreich mit den Masken scherzend. Jenes schöne, stattliche Haus mit den hohen Spiegelscheiben, an dem kein Berliner so leicht vorübergeht, ohne hineinzusehen, ist die Privatwohnung des Kaisers Wilhelm, der von seinem Fenster auf das Denkmal des großen Friedrich blickt.

Da kann man es dem Berliner nicht verdenken, wenn er stolz auf seine Linden ist und sie allen anderen Straßen vorzieht. Dazu kommt noch das frische Leben und Treiben der neuen Weltstadt, wo es bei jedem Schritt etwas Interessantes und Merkwürdiges zu sehen und zu bewundern giebt, von den prachtvollen Schauläden und Cafés bis zu der bunten durcheinander wogenden Staffage des großartigen Architekturbildes, wie sie die große Bevölkerung und der Fremdenverkehr der jungen Kaiserstadt eben zur Nothwendigkeit macht. Das regste Durcheinander kann man zu bestimmten Zeiten beim Brandenburger Thor erleben, durch das sich dann gleich einem angeschwollenen Strom die wogende Menschenmenge nach dem zwar augenblicklich nicht im besten Geruche stehenden, aber dennoch viel besuchten Thiergarten ergießt.

Mitten in dem Gedränge schreitet dann und wann ein älterer Herr in dunklem Militärrock mit den Abzeichen eines höheren Ranges. Weder die schlanke, etwas gebeugte Gestalt, noch das längliche Gesicht bieten etwas Auffallendes. Seine Brust ist nicht mit Orden bedeckt und Nichts verräth an der schlichten Erscheinung die große welthistorische Bedeutung des kaum beachteten Mannes. Plötzlich aber wird er von den Zunächststehenden gesehen und auch erkannt; alle Blicke richten sich nach ihm und alle Leute grüßen ihn mit sichtlicher Verehrung und Bewunderung. Der ungezogene Schlosserlehrling, der eben noch einen gemeinen Gassenhauer brüllte, verstummt plötzlich, als ob er im Nacken die Hand des Constablers bereits fühlte, der Student, der sonst keine Autorität so leicht anerkennt, beugt sich vor der Macht des Genius, der Dandy liebäugelt nicht mehr mit der eleganten Schönen, sondern bleibt wie gebannt vor ihm stehen. Der eingefleischte Hypochonder vergißt seine eingebildeten Leiden, der socialistische Arbeiter seinen Haß gegen die Soldateska, der invalide Officier seine Wunden aus dem letzten Kriege. Die Schriftstellerin, welche einen mehrbändigen Zeitroman schreibt, macht an ihm ihre physiognomischen Studien, der Maler sucht sich seine Züge einzuprägen, und die schöne elegante Dame giebt ihrem neugierigen Töchterchen eine kleine Lection in der neuesten Geschichte. Jetzt ruft auch der Posten am Brandenburger Thor die Wache in’s Gewehr, und eilig stürzen die Soldaten aus der Thür, um vor ihm das Gewehr zu präsentiren, obgleich er bescheiden mit einer ernst freundlichen Bewegung die ihm zugedachte Auszeichnung abzuweisen sucht. Mit langsamen Schritten, in Gedanken versunken, wandert er durch die ihm ehrfurchtsvoll Platz machende Menge nach dem Thiergarten. Wenn aber ein Fremder nach dem Namen des seltenen Mannes fragt, dann sieht ihn der Berliner fast mitleidig an und sagt mit stolzem Selbstgefühl: „Das ist ja unser Moltke!“

Das ist der Mann, den jetzt die Menge mit ihren Blicken verfolgt und mit ehrfurchtsvollen Mienen begrüßt – ein angehender Siebziger, dessen ganze Haltung und frisches Aussehen jedoch eine bewunderungswürdige Jugendkraft verräth. Die Figur keineswegs imposant, von mittlerer Größe, mehr sehnicht als muskulös, elastisch, wie eine gute Stahlklinge; das Gesicht fein, fast transparent, nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt, aber in jeder Furche, in jedem Zuge die Spuren geistiger Arbeit tragend; ein Denkerkopf mit hoher gewölbter Stirn, von kurzen blonden, hier und da schon ergrauten Haaren umgeben; der Blick nach innen gekehrt und doch die Außenwelt scharf beobachtend; die Lippen fest geschlossen, als ob sie ein tiefes Geheimniß bewahren wollten, zuweilen vor sich hinlächelnd. Die ganze Erscheinung einfach, bescheiden, ohne jeden Prunk und Schein, vom Scheitel bis zur Zehe wahr und natürlich, ohne jede Ostentation, fern von jedem Haschen nach Popularität, welche ihm von allen Seiten ungesucht entgegenkommt, schlicht und recht, echt wie reines Gold, ein Deutscher in der schönsten Bedeutung des Wortes.

So viel auch über Moltke schon erzählt, geschrieben und gesprochen worden ist, so wenig redet er selbst, weshalb man ihn den großen Schweiger nennt. Diese Eigenschaft hängt jedoch mit der prägnanten Kürze seiner ganzen Ausdrucksweise zusammen. Er liebt nicht Worte zu machen und ist kein Freund von Redensarten und Phrasen. Knapp in der Form, drängt er seine Gedanken zusammen und sagt Viel mit Wenigem. Deshalb streicht er auch in den schriftlichen Ausarbeitungen des Generalstabes alles Ueberflüssige unnachsichtlich fort, indem er mit bewunderungswürdiger Kunst gleichsam die Quintessenz eines langen Satzes mit einigen schlagenden Worten giebt; ein echter Spartaner auch in Bezug auf die lakonische Kürze. Trotzdem sind seine Kritiken, womit er diese Ausarbeitungen zu begleiten pflegt, musterhaft, so klar und zutreffend, daß die Betheiligten daraus den höchsten Nutzen ziehen, so lichtvoll, daß sich ihnen ganz neue, ungeahnte Aussichten öffnen.

So sparsam wie mit Worten ist Moltke auch mit dem Vermögen des Staates. Er scheut jede unnöthige Ausgabe und ist selbst in Kleinigkeiten höchst ökonomisch. Er selbst kennt fast keine Bedürfnisse, höchstens gestattet er sich den Luxus einer guten Cigarre. Seine frühere Wohnung, bevor er das neue Generalstabsgebäude bezog, zeichnete sich durch die höchste Einfachheit aus, und jeder einigermaßen bemittelte Bürger Berlins war luxuriöser eingerichtet und lebte besser, als der berühmte General. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend beschäftigt, ist seine einzige Erholung ein kurzer Spaziergang und des Abends eine kleine Whistpartie mit einigen Bekannten und Freunden, zu denen der Geheime Finanzrath Schiller und sein Adjutant und Schwager, Herr von Burt, vor Allen zählen.

In größerer Gesellschaft meist still und schweigsam, entfaltet Moltke im vertrauten Kreise eine überraschende Gabe der Unterhaltung. Er weiß ebenso anmuthig zu erzählen, wie heiter zu scherzen und zeigt bei solchen Gelegenheiten einen feinen, jedoch nie verletzenden Witz, eine fast weibliche Zartheit, welche besonders Frauen entzückt. Man kann sich nach dem Berichte von Augenzeugen kein schöneres Verhältniß denken, als das mit seiner leider vor zwei Jahren verstorbenen Gattin, welche zugleich seine Nichte war. So lange sie lebte, suchte er ihr jeden Wunsch an den Augen abzulesen, und als sie erkrankte, wich er nicht von ihrem Lager. Ihr Tod versetzte den sonst so ruhigen Mann in die tiefste Trauer, so daß man ernstlich für seine eigene Gesundheit fürchtete. Damals ernannte Kaiser Wilhelm zartsinnig den Schwager Moltke’s zum Adjutanten des schwer getroffenen Generals, um ihm durch die Nähe eines so theuren Verwandten einen Trost und eine Stütze zu gewähren.

Charakteristisch ist Moltke’s Herzensgüte und Freundlichkeit gegen seine Untergebenen. Nie kommt ein böses Wort über seine Lippen, und seine Diener behandelt er mit wahrhafter Humanität. Es machte daher förmliche Sensation und wurde besonders von den ihm verwandten Damen als die größte Merkwürdigkeit erzählt, daß er einmal eigenhändig einem Stallburschen auf seinem Gute eine wohlverdiente Ohrfeige applicirte, weil dieser trotz wiederholten Verbotes im Stalle rauchte und, als er dabei betroffen wurde, noch frech zu leugnen wagte. Moltke selbst bereute, daß er sich dies einzige Mal in seinem Leben von seiner Hitze hatte hinreißen lassen.

Nicht minder charakteristisch ist seine große Bescheidenheit, die sich zuweilen in höchst naiver Weise äußert. Als nach dem Kriege gegen Oesterreich der „Kladderadatsch“ in einem passenden Gedichte Moltke’s Verdienste feierte, sagte er lächelnd: „Ich habe gar nicht gewußt, daß ich so populär bin.“ Sein mit jedem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_664.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)