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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Doch als Gegensatz zu dem wonnigen Tage, von dem Dir mein letzter Brief die Kunde brachte, seien hier meine jetzigen Abende geschildert, und vorerst der, von dem ich mein eigentliches Unglück datire. Sind Theater und Gesellschaften zu Ende, so wird meistens der zweite Theil des Abends im engen Familienkreise zugebracht. Dieser besteht außer dem Herzog, seiner Schwester, der alten Cousine und mir noch aus dem Grafen Werdau, Fürst Arsent und einem jungen florentinischen Edelmann, mit Namen Scipione di San Giuliano, den Werdau offenbar nur mitbrachte, um sich selbst in’s rechte Licht zu stellen. Nur selten veranlaßt der Herzog eine Erweiterung dieses Kreises; er wünscht ganz entschieden, daß es bald zwischen Hedwig und dem jungen Manne zu einer Erklärung komme. Noch hatte ich keinen Grund, Gottfried, von dieser Seite etwas zu befürchten, denn der äußerlich für sich einnehmende Mann benahm sich ziemlich harmlos.

Werdau war es, der mir zu denken gab. An dem bewußten Abend, von dem ich Dir berichten will, kam die Rede zufällig auf Geister und Spuk im Allgemeinen. Scipione di San Giuliano erzählte eine grausige Geschichte von einer Florentinerin, welche die Geliebte ihres Mannes gemordet hatte und zur Strafe dafür von dem erzürnten Gatten in eine Villa eingesperrt wurde, wo sie nicht starb, sondern heute noch umgeht zum größten Schrecken der Diener und Landleute. Es wurde lange über diese Geschichte debattirt. Die Nerven geriethen in Aufregung, und als man sich verabschiedete sprach Hedwig, mit einer reizenden kauernden Bewegung zu Werdau gewandt:

„Ich glaube wirklich, Ihr Freund San Giuliano hat mir’s mit seiner Geistergeschichte angethan. Ich werde nicht einschlafen dürfen, ohne das Bild der Florentinerin mit in den Traum hinüberzunehmen.“

„O, dürfte ich es zu meinem Lebenszwecke machen, jeden düsteren Gedanken von Ihrer schönen Seele fernzuhalten!“ flüsterte Werdau gerade laut genug, daß ich daneben stehend ihn hören konnte. Mit einem schwärmerischen Ausdruck in den großen Augen, küßte er ihr die Hand, wie – Gottfried, wie ich allein durch meine Liebe ein Recht dazu habe. Zuerst nahm er mir den Gedanken, er durfte ihn sprechen; denn wie sie so schutzlos sich gab, entlud sich aus meiner Brust in einem Seufzer der Wunsch sie schirmen zu dürfen all mein Leben lang. Dann küßte er ihr auch noch die Hand, die ich vor wie wenig Tagen an meine heißen Lippen drücken durfte.

Doch es sollte noch ärger kommen, und zwar von einer anderen Seite. Es war den Abend darauf. Wir saßen wieder beisammen, als sich plötzlich Werdau an’s Clavier setzt und einen brillanten Walzer lärmend vorträgt. Als er geendet, bat ihn Hedwig etwas Ernstes zu spielen, worauf er vom Clavierstuhle aufstand und, an’s Sopha tretend, Hedwig rieth, dazu seinen Freund Arsent zu engagiren, dem diese Art viel besser anstehe, als ihm selbst, dem stets Fröhlichen.

Er wollte dabei auf Arsent’s meistens larmoyante Weise anspielen, und Hedwig zugleich zeigen, daß nicht jeder die Tasten beherrsche, wie er. Wirklich frug Hedwig Arsent, ob er Musik treibe, und als dieser zögernd: „Ein wenig!“ antwortete, bat sie ihn, doch etwas vorzuspielen. Herzog Ernst’s Stirne zog sich in Falten; augenscheinlich wollte er nicht, daß sich sein Günstling eine Blöße gebe; doch mußte er’s ruhig geschehen lassen.

Arsent setzte sich eckig und steif an’s Clavier und spielte ohne Eingang eine Melodie, wie sie Anfänger tagelang trommeln. Dämonische Freude blitzte aus Werdau’s Zügen, als er dies hörte. Herzog Ernst’s Stirn verfinsterte sich immer mehr; die Cousine hatte schon ihr Taschentuch hervorgezogen, um ihr Lachen zu bergen, und auch Hedwig hielt sich nicht länger. Erstaunt lauschte ich dem jungen Manne, der mit diesen primitiven Tönen das Herz der Heißersehnten gewinnen zu können glaubte. Da erstreckten sich die Töne allmählich auf zwei Octaven, dann auf drei; die Melodie war nicht mehr so deutlich hörbar. Wie ein Bergstrom, den wir erst nur von fern hören und dem wir uns allmählich nähern, ergoß sich Melodie auf Melodie. Die erste Haltung des Spielers ging in eine begeisterte über, und ehe zehn Minuten vergangen waren, lauschten unsere Ohren wie dem Spiele eines Virtuosen ersten Ranges. Gottfried, ich kann Dir das interessante Schauspiel nicht beschreiben, welches die Veränderung in den Mienen der Zuhörer bot. Während Werdau’s Mund sich staunend öffnete und sein Gesicht sich von Minute zu Minute verlängerte, glätteten sich die Falten auf des Herzogs Stirn und seine Augen begannen zu leuchten. Die affectirte alte Cousine wiegte ihr Haupt hin und her wie eine verblühte Sonnenblume und lächelte selig dazu. Hedwig aber – was meinst Du, daß Hedwig that? Leise, wie der Frühling auftritt, wenn er seine Blumen aus dem Winterschlafe weckt, schwebte sie zum Clavier, ließ sich dem Künstler (denn das ist er) gegenüber auf eine niedrige Causeuse nieder, schloß die Augen und lauschte mit gefalteten Händen dem herrlichen Vortrage.

Als er angefangen hatte, mußte selbst ich mit Werdau lachen; jetzt waren die Lacher auf Arsent’s Seite.

Wie schon gratulirend drückte Herzog Ernst ihm die Hand; dankbar wünschte ihm Hedwig eine gute Nacht, „mir aber bald wieder einen Genuß wie heute,“ schloß sie.


Heute Morgen sollte Inspection meiner Copie nach Tizian gehalten werden, und auf Hedwig’s Wunsch durfte ich den Führer machen. Die breite Treppe der Uffizien empor durcheilte die heitere Gesellschaft den langen Gang, wo rechts und links, an die Decke stoßend, die interessante Sammlung aller ausgezeichneter Männer Italiens sich befindet. Kaum einen Blick in die Tribüne werfend, eilten wir der andern Seite zu, um durch den geheimen gedeckten Gang der Medicäer über den Arno nach dem Pittipalast zu gelangen. Hedwig ärgerte sich über dieses merkwürdige Stück Mittelalters, wo Häupter einer Republik die Arroganz so weit trieben, sich einen Weg, einen Schlupfwinkel auf Kosten ihrer Mitbürger zu bauen. Unglaublich scheint es fast, wenn man in dem mit Gobelins behangenen Gange schreitet, daß er mitten durch die Häuser friedlicher Bürger geht, daß sie Theile ihrer Wohnung, ja selbst halbe Zimmer opfern mußten, um den geheimen Gang zu ermöglichen. Tausendmal besser den Weg durch die Stadt nehmen, auch wenn man die Stufen nicht scheut, welche zuerst ab-, dann aufwärts führen, noch das beengende Gefühl, welches die Brust an den fensterlosen Partien zusammenschnürt. Ich wiederhole Dir hier nur den Sinn von Hedwig’s Aeußerungen, dem ich jedoch völlig beistimme.

Einen freundlichen Blick warf sie beim Eintritt in den ersten Saal des Pitti der schönen Gruppe Caritas zu; einen Augenblick mußten wir vor Fra Bartolommeo’s Grablegung stehen bleiben, dann mit Herzog Ernst Allori’s Judith bewundern. Endlich kamen wir an das Fenster, wo mein Biondo, seiner Beendigung harrend, neben dem Originale stand. Du weißt, wie wir uns übten, der alten Meister Manier haarklein nachzubilden, und wirst mir’s glauben, wenn ich Dir sage, daß sie sämmtlich starr dastanden, als sie Copie und Original verglichen hatten. Herzog Ernst erfreute mich mit einem: „Wirklich ein vorzügliches Talent!“ Arsent hofft auch einmal von meinem Pinsel etwas zu erhalten, und Werdau wurde nachdenklich, so daß er ganze fünf Minuten vor den Bildern stehen blieb, ohne etwas zu sagen, eine Thatsache, die bei ihm nur höchst selten vorkommt. Hedwig allein war nicht zufrieden. „Warum mißbrauchen Sie Ihre Zeit zum Copiren?“ frug sie leise. Lag hierin nicht die allergrößte Schmeichelei, Gottfried? Nahm sie sich nicht eine Art Anrecht auf mein Talent, auf mich selbst? Und dennoch!

Nach viertelstündiger Beschauung, bei welcher Herzog Ernst mit dem Scharfsinn, den ich stets an ihm bewundere, des Bildes schönste und schwächere Seiten hervorgehoben, mahnte er zum Aufbruch. Ich verabschiedete mich, weil ich noch an meinem Bilde arbeiten wollte. Wie Hedwig mir an der Thüre die Hand reichte, flog ein leiser Hauch von Anmuth um ihre Stirn.

„Sie gebrauchen Ihr Bild als Vorwand, um fern von uns zu bleiben!“

Hätte sich’s nur noch thun lassen, wie gern überließ ich mein Bild seinem Schicksale! Zu meinem großen Erstaunen blieb Werdau bei mir zurück und nahm den Platz neben der Staffelei ein.

„Ich will Sie einmal bei der Arbeit belauschen,“ waren die Worte, mit denen er sein auffallendes Benehmen erklärte.

Außer dem einen Male in der Heimath hat er mich nie mit seiner Aufmerksamkeit beehrt – ich bin ihm der plebejische Schmierer und weiter nichts. Deshalb ahnte ich einen Hintergedanken,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_654.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)