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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und namentlich deutsche, vorstellen. Darunter befinden sich die hervorragendsten und weitklingendsten Namen deutschen Gewerbfleißes und deutschen Unternehmungsgeistes – die Fürsten der Arbeit – die großen Bürger des deutschen Reiches. Das deutsche Element steht, wie bereits bemerkt, an diesem Abende im Vordergrunde, wenn auch die deutschen Laute in Minderheit gehört werden. In welcher Sprache die Conversation fortrollt? In allen Zungen. Da hört man französisch, englisch, italienisch, spanisch, russisch – da hört man Laute, die man in keines dieser Idiome einrangiren kann, und die sich anhören, als ob die Sprechenden immerwährend niesten.

Die Flügelthüren des ersten Empfangszimmers öffnen sich in einer Weise, die einen Gast von hohem Range ankündigt. Ein alter Mann erscheint – mittelgroß und mager von Gestalt; diese selbst ist vom Alter gebeugt; der Kopf hängt etwas nach vorne. Der Ankömmling trägt einen schwarzen, einreihigen Rock mit Stehkragen, um den Hals eine goldene Kette mit einem großen goldenen, mit Brillanten besetzten Kreuze, mehrere Ordenssterne, rothe Strümpfe, rothe Handschuhe, über dem Zeigefinger der rechten Hand den Fischerring und auf dem Haupte ein rothes Käppchen, unter welchem schneeweiße Haare spärlich hervorschauen. Wer unter der Gesellschaft kennt ihn nicht, diesen hohen Würdenträger der römischen Kirche, einen der in Oesterreich und dessen Verfassungskämpfen am meisten genannten Namen – den Erzbischof von Wien, Cardinal von Rauscher? Eine Persönlichkeit, die auch ohne den Purpur, ohne den Nimbus, der diesen tapfern General der Streitmacht der Kirche umgiebt, die Aufmerksamkeit des physiognomischen Beobachters auf sich ziehen würde. Der Cardinal sieht nichts weniger als vornehm aus; seine ganze Erscheinung weist auf seinen Ursprung aus dem Volke zurück: der knochige Bau des Körpers, die Bewegungen, die den Landpfarrer noch nicht überwunden haben, und namentlich der Kopf mit den blassen, welken Zügen. Die Bedeutung desselben liegt weniger in den oberen Partien, in der Sphäre der geistigen Kraft, als in dem Unterbaue, namentlich in dem mächtigen Kinn, das auf ganz eminente Eigenschaften des Charakters schließen läßt. Es liegt in der ganzen Erscheinung etwas von dem Machtbewußtsein einer Partei, von der Rücksichtslosigkeit eines Principes; der Sohn des Volkes ist stärker betont, als der Sohn der Kirche; in dem Cardinal ist die demokratische Seite der römischen Kirche herausgekehrt. Er macht keine sehr tiefen Bücklinge vor allen den Excellenzen der Geburt oder des Geistes, die hier unwillkürlich einen Kreis um ihn bilden; er hat nicht das süßliche, kokette Lächeln der meisten seiner Collegen, und noch weniger die einschmeichelnden Mienen und die graziösen Manieren, in denen namentlich der Erzbischof von Posen Meister ist; er steht da wie Einer, der auch in der größten Gesellschaft einsam ist, ernst, in sich gekehrt, ja fast mürrisch. Selbst die Nähe der Sonne der Macht, die doch selten auf die Physiognomien der Menschen ihres Eindrucks verfehlt, selbst diese bringt in seinen Zügen keine Wandlung hervor.

Graf Andrassy hat seinen Souverain, den Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn, in die Gemächer geleitet und Franz Joseph sich mit dem Cardinal, seinem Lehrer, in den Tanzsaal zurückgezogen, wo beide in dem weiten Raume ganz allein sich befinden und, wie es scheint, in lebhaftem Zwiegespräch. Der Cardinal steht ehrerbietig vor seinem Kaiser und Herrn, aber aus seiner ganzen Haltung spricht es deutlich, daß er der Macht zu Liebe auch nicht ein Titelchen seines starken Bewußtseins hinopfern möchte. Nicht wie ein Unterthan steht er vor dem Kaiser, sondern wie ein Gleichberechtigter, der zu dem souverainen Herrscher gleichsam nur in einem Vertragsverhältnisse steht.

Auch der eifrigste Republikaner würde den anmuthenden Eindruck nicht wegleugnen können, den die Persönlichkeit des Kaisers Franz Joseph macht. Trotz der schweren Bürde einer Krone, wie er sie trägt, hat er sich eine gewisse Frische und Jugendlichkeit bewahrt; sein Wesen, in dem er sich giebt, ist einfach und natürlich, und in der Art und Weise, wie er zuhört, wie er das Gehörte innerlich verarbeitet und wie er die Antwort in sich vorbereitet, daraus spricht ein tiefer bewußter Ernst der ihm obliegenden Pflichten und ein eifriges Wollen des Guten.

Je mehr die Zeit vorrückt, desto mehr leidet die gesellschaftliche Bewegung und Unterhaltung unter dem Drucke der Erwartung und Spannung. Graf Andrassy spricht unterdeß viel und lebhaft mit einem Herrn von vielleicht fünfzig Jahren. Seine Züge sind kalt und nüchtern; seine Figur und seine Haltung haben etwas Pedantisches, fast Schulmeisterliches. Er sieht aus wie der prüfende, ordnende Verstand, gegenüber der productiven geistigen Thätigkeit, der aus genialem Geiste entspringenden Idee. Aehnlich ist auch das Verhältniß zwischen dem Grafen Andrassy und seinem geistig bedeutenden und hervorragenden ersten Rathe, dem Sectionschef im Ministerium des Aeußeren, Herrn von Hoffmann. Was der verstorbene Abeken seinem Bismarck war, was der Geheime Rath von Hamburger seinem Gortschakoff, das ist Hoffmann seinem Andrassy. Die Blicke des Grafen Andrassy schweifen von Minute zu Minute nach der Thür. Die Gräfin ist an die Seite ihres Gemahls getreten – endlich ein Zeichen! Der Hausherr begiebt sich nach dem Tanzsaal, um seinem kaiserlichen Herrn eine Meldung zu machen. Franz Joseph und sein Premier verlassen die Säle; die Gräfin folgt ihnen; das Spalier erweitert sich; die Stille der Erwartung lagert sich auf die Gesellschaft; die Thüren fliegen auf, und am Arme des Kaisers und Königs von Oesterreich-Ungarn erscheint die Kaiserin Augusta. Ihnen beiden folgen die Kaiserin-Königin Elisabeth von Oesterreich-Ungarn, das gräfliche Paar Andrassy und der persönliche Dienst der kaiserlichen Herrschaften. So geht der Zug durch die sich verneigende Gesellschaft hindurch nach dem großen Empfangssalon, wo zuerst die Gräfin Andrassy ihre Gäste empfangen hatte. Graf und Gräfin Andrassy machen die Herren und Damen mit einander bekannt; der Cardinal von Rauscher war den fürstlichen Herrschaften nicht gefolgt, sondern da, wo ihn der Kaiser verlassen hatte, einsam und allein geblieben, bis der Graf Andrassy ihn aufsuchte und mit den Worten: „Der Kaiser will Euer Eminenz mit der deutschen Kaiserin bekannt machen,“ den Kirchenfürsten nach sich in den Empfangssalon zog, wo sich die Kaiserinnen inzwischen auf das Sopha niedergelassen hatten. Die kaiserlichen Frauen erheben sich beim Erscheinen des greisen Kirchenfürsten, und die Kaiserin Augusta geht ihm einige Schritte entgegen. Kaiser Franz Joseph hat die Vorstellung übernommen; die Unterhaltung dauert vielleicht zehn Minuten.

Betrachten wir während dieses Ruhepunktes die beiden Kaiserinnen. Beide stammen aus kleinen deutschen Fürstenhäusern und beide schmücken die zwei größten Throne des mittleren Europas, Kaiserin Augusta durch ihre hohen geistigen Eigenschaften, Kaiserin Elisabeth durch den Liebreiz eines Lebensalters, der durch seine Eigenschaften alle Dichter und Philosophen in die Flucht schlägt. Ihre hohe Gestalt ist von einer jungfräulichen Elasticität; der Teint hat die Frische der Jugend behalten, und das dunkelblonde Haar wallt noch voll und reich von dem schönen Haupte nieder. Es gehört eben die Ruhe in dem ganzen Wesen der Kaiserin dazu, um die so flüchtige Jugend zum längeren Verweilen zu vermögen, und diesem Grundzuge entsprechen ihre Bewegungen, die Art zu sprechen, ja selbst sich einfach zu kleiden. In letzterer Aeußerlichkeit begegnen sich die beiden kaiserlichen Frauen. Auch die Kaiserin Augusta scheint keine auffallenden Farben zu lieben; weiß pflegt der Grundton ihrer Toiletten zu sein, aber wie sie sich äußerlich von der Gemahlin Franz Joseph’s durch den dunklen Ton ihres Haares und ihrer Augen unterscheidet, so auch durch die Lebendigkeit ihres Temperaments. Sie spricht schnell, mit einer etwas tiefen Stimmung des Organs und immer gewählt. Wo die Kaiserin Elisabeth die Dinge mehr an sich hinankommen läßt, geht sie ihnen entgegen, die Gabe des richtigen Augenblickes und des richtigen Wortes kommt ihr dabei sehr zu statten; in der Conversation hört die Kaiserin Elisabeth mehr zu, als sie spricht; bei der Kaiserin Augusta ist die Kunst des Zuhörens nicht am Platze; die Kaiserin Elisabeth spricht in privatem Sinne, die Kaiserin Augusta mehr in öffentlichem, mit Beachtung der Dinge, die Zeit und Menschen bewegen. Wie die Gestalt der deutschen Kaiserin durch die imponirende Würde wächst, so erhellt und erwärmt sich ihr Wesen, wenn ein Gesprächsthema, eine Persönlichkeit sie interessiert, wie jetzt der Cardinal von Rauscher.

Graf Andrassy steht während der Unterhaltung der deutschen Kaiserin mit dem Cardinal in Sprach- und Hörnähe. Jetzt, da das Gespräch zu Ende ist, wendet er sich an den Kaiser Franz Joseph. Er sagt einige Worte wie eine Einladung – der Kaiser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_632.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)