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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


möglich, das Wasser war der mächtige, immer neue Kräfte sammelnde Feind, den man zu bekämpfen hatte.

Die neue Erfindung nun bekämpft nicht diesen Feind, sie macht ihn zum Bundesgenossen, zum Diener ihrer Zwecke. Während der alte Canalbau das Wasser zu vertreiben suchte, sammelt der neue es, damit es den Menschen und ihren Werkzeugen zum Träger und zur Straße werde, aus denen sie sich bewegen und arbeiten können. Darin liegt das Geniale der Erfindung. Die Paternosterwerke, die Breibereiter etc. sind theils lange bekannt und hier wie in anderen Gegenden angewandt, theils wenigstens Anwendungen bekannter Gedanken, wie sie ein findiger Kopf leicht sich ersinnen mag, wo ihn das Bedürfniß und die Gelegenheit auffordert. Der Kern der neuen Erfindung beruht gerade darauf, daß das Moor ein wasserstrotzender Riesenschwamm ist. Der Raum, aus dem die Maschine den Torf herausgehoben, füllt sich mit dem von allen Seiten herbeisickernden und rieselnden Wasser und gestaltet sich so zu dem Canal, dessen das Schiff bedarf, damit es seine Functionen üben könne. Zugleich hindert das Wasser durch seinen Gegendruck das Zusammensinken der Canalwände, die sofort durch den Druck des schweren haltlosen Moorschlammes zusammengepreßt werden müßten, sobald einmal der Widerstand des Wassers aufhören würde. Ebenso trägt das Zusammenlaufen des Wassers in das geöffnete Bett dazu bei, die zur Seite gelegenen Flächen zu entwässern und für die weitere Bearbeitung durch Abzugsgräben etc. zugänglich zu machen. So sehr ist diese Erfindung auf das Wasser angewiesen, daß selbst der ungeheure Riesenschwamm des Moores desselben kaum genug bietet. Es ist ein Hochmoor, durch das der Canal gelegt werden soll, das heißt ein Moor, das weit über das umgebende Festland hinausgewachsen ist. Es bedarf daher besonderer Dämme, um das so hoch angesammelte Wasser aufzubewahren und am Abflusse zu hindern, und selbst die Zubringung von Wasser von außen hinein durch Schöpfmühlen hat sich bereits als nothwendig erwiesen. Arbeitet das Schiff erst an einer zweiten Bahn durch das Moor unter der jetzigen, so wird diese Schwierigkeit sich beträchtlich mindern. Freilich mögen andere dafür auftauchen.

Leicht ist den Unternehmern der Anfang nicht geworden. Fern von der Menschen Wohnungen mußte das Schiff an Ort und Stelle gebaut, jedes Stück seines Materials wie jeder Theil der Maschine mußte mit großen Kosten auf diesen Flugsandwegen bis an das Moor, und aus diesem selbst mittelst besonders construirter Schleifen herangeschafft werden, auf einem so weichen Boden, daß den Pferden Bretter unter den Hufen befestigt werden mußten, damit sie nicht bis an den Leib einsanken. Dabei waren die Arbeiter aus den nächstbelegenen Dörfern in thörichtem Brodneide eher geneigt, dem neuen Unternehmen alle möglichen Hindernisse in den Weg zu legen, als es selbst gegen hohen Lohn fördern zu helfen, und es mußten die nöthigen Arbeitskräfte aus den ostfriesischen Wehncolonien herangezogen werden.

Mit Eifer und Ausdauer hat die Direction der Gesellschaft aber bis jetzt alle Schwierigkeiten überwunden, und es steht zu hoffen, daß nunmehr dem Unternehmen, dessen Fortschritte von allen Freunden des Landes und des Volkes mit höchster Theilnahme verfolgt werden, ein günstiger Erfolg gesichert ist.



Der Vampyr-Schrecken im neunzehnten Jahrhundert.
III.

Wenn man den Quellen der verschiedenen Aberglaubensformen nachgeht, so wird man unter ihnen wenigen Phantasieschöpfungen begegnen, die so vielfache Unterstützung in natürlichen Vorkommnissen fanden, mithin so erklärlich und so entschuldbar erscheinen, als gerade die Vampyrsage. Eine erbliche Familienkrankheit, eine ansteckende Seuche, die vielleicht aus einem schlechten Brunnen oder Aborte des Hauses ihren natürlichen Ursprung herleitet, oder sich wirklich von Person zu Person überträgt, rafft die Angehörigen eines Hauses in unerbittlicher Folge hin; welche Vorstellung könnte da dem Naturmenschen angemessener und näherliegend sein, als die, daß der Vorhergestorbene den Ueberlebenden abhole? Eine so solide Grundlage besitzen nur die wenigsten abergläubischen Vorstellungen, und doch ist das erst der Keim des Vampyrs, der nun durch manche unglückliche Gedankenverbindungen, die im Grunde gar nichts miteinander zu thun haben, groß gezogen ward.

In Zeiten ansteckender Seuchen werden die Gestorbenen schnell beerdigt, und es geschieht dann häufiger als in gewöhnlichen Zeitläufen, daß scheintodte, in Starrkrampf versunkene Kranke, ob sie gleich manche äußere Zeichen des Lebens aufwiesen, mit beerdigt werden, weil Jeder die pesthauchenden Todten aus seiner Wohnung so schnell als möglich entfernt wissen will. Ein Erwachen im Grabe, ein schrecklicher Hungers- und Erstickungstod mag unter solchen Umständen, namentlich in älteren Zeiten, häufiger vorgekommen sein. Im Volke geht eine alte Sage, daß sich namentlich in Pestzeiten nicht selten ein „Schmatzen und Kauen“ der Todten in den Gräbern habe vernehmen lassen, und mehrere Gelehrte des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts (Philipp Rohr und Michael Ranft) haben ausführliche lateinische Abhandlungen über diesen Gegenstand verfaßt. Bei den früheren Gewohnheiten, die Todten in den Gewölben der Kirche selbst beizusetzen, mögen derartige Geräusche des wiederkehrenden Lebens, oder von anderen Ursachen herrührend, in den vom Straßengeräusche abgeschlossenen Räumen häufiger vernommen worden sein; sie führten leider selten oder nie zu einer Untersuchung. Aus den griechischen Kirchenlehren hatte sich die unheilvolle Vorstellung eingeschlichen, daß jene Geräusche in den Gräbern vom Teufel veranlaßt würden; eine Ansicht, der auch Luther in den Tischreden ausdrücklich seine Beistimmung gab. Statt solche Gräber und Gewölbe, aus denen Pochen und Geräusch ertönte, schleunigst zu öffnen, floh man dieselben und betete für die arme Seele, welche in die Gewalt des Teufels gefallen sei. Zugleich wollte man in diesem Kauen und Schmatzen ein Zeichen erkennen, daß der Todte seine Verwandten alsbald nachholen werde, und glaubte ihm durch vorher in den Mund gesteckte Steine die Lust an den Kieferbewegungen zu nehmen. Einige Male sind solche Gräber und Gewölbe wegen Verdacht der Vampyrschaft oder aus anderen Ursachen später geöffnet worden, und man fand Gesicht und Brust solcher Leichen zerkratzt, oder sie selbst dem Sarge entflohen, wie in einem Kirchengewölbe zu Augsburg, wo die Reste einer darin eingesargten Frau später an der Gewölbethür gefunden wurden. Ranft erzählt von einer Böhmin, deren Grab man 1345 aus Veranlassung eines derartigen Geräusches geöffnet, und die ihr Linnenzeug halb verschluckt hatte. Solche unruhige Todte wurden dann als Vampyre behandelt, und der Teufel wurde ihnen ausgetrieben. Die Kennzeichen eines Vampyrs und eines Scheintodten sind ja dieselben.

Vielleicht führen kataleptische Zustände (Starrsucht) mitunter zu dem schrecklichen Loose des Lebendigbegrabenwerdens. Wie lange in besonderen Fällen im kühlen Grabe das verborgene Leben anhalten kann, ist aus naheliegenden Ursachen unerörtert geblieben, undenkbar aber scheint es mir nicht, daß in dem einen oder dem andern Falle – da man ja ausdrücklich auf Leute fahndete, die mit rothen Wangen und flüssig bleibendem Blute beerdigt waren – auch einmal ein vermeintlicher Vampyr im Momente der Pfählung erwacht sein könne, um seine Mörder vergeblich um Schonung anzuflehen. In den meisten Fällen freilich, in denen von einem Winseln, Stöhnen und Röcheln der Vampyre beim Pfählen die Rede ist, werden diese Laute wohl auf Rechnung ausströmender Fäulnißgase oder der Einbildung zu setzen sein.

Hatte sich nur erst in Seuchezeiten irgendwo der Verdacht umgehender Vampyre angesponnen, so that das Traumleben gewiß das Seinige, um Nahrung zu geben. Jedermann weiß, wie leicht gefürchtete Schreckensbilder sich im Traume wiederholen. Wem, wie dem Schreiber dieser Zeilen, der qualvolle Zustand des sogenannten Alpdrückens aus eigener Erfahrung bekannt ist, der weiß auch, wie leicht sich körperliche Beschwerden in die Bilder menschlicher Gestalten umsetzen, die auf uns liegen und uns quälen, ohne daß wir uns ihrer Umarmungen zu erwehren im Stande sind. Insectenstiche, eine sich bildende Hautentzündung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_598.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)