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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


und da in weitester Ferne das Dach eines Hauses oder eine kleine Baumgruppe am Himmel sich abhob. Auch diese Art von Unendlichkeit hat ihren Reiz; aber die Anregung, die sie giebt, ist eine trübe, niederdrückende, fast traurig stimmende. Das Moor ist, wie K. A. Mayer in Mannheim, vor Zeiten ein gut oldenburgischer Localdichter, sagt:

„Ein wasserstrotzender Riesenschwamm,
Ein schwarzer, hochgethürmter Schlamm,
Ein riesiger Kirchhof, wo Natur
Begraben des Lebens letzte Spur.
Einst haben hier Gras und Kraut gezittert,
Einst prangte hier Wald im Frühlingsschein;
Doch Gräser und Bäume sind längst verwittert
Und starren hervor als Todtenbein.
Was athmet, flieht die grause Oede,
Als ob ihr Hauch das Leben tödte.“

Die Gartenlaube hat vor nunmehr sechs Jahren ihren Lesern „Moorbilder aus Muffrika“ vorgeführt. Damals ist auch die Frage aufgeworfen worden, was man eigentlich mit „Muffrika“ bezeichne, und der Verfasser begnügte sich mit der ebenso vorsichtigen als allgemein gehaltenen Antwort: Muffrika ist das Land, wo der Heerrauch oder Höhenrauch herkommt.

Wer sich in dieses Land begiebt, findet nichts weniger, als lachende Gefilde; aber im Moor wie auf der Haide daneben liegt dennoch der beste Theil der Zukunft dieses nordwestlichen Deutschlands. Hier, so lehrte damals unser Gewährsmann, hier in der noch ungebändigten Natur, wo Meilen auf Meilen Landes sich rein im Zustande der Urzeit befinden, lassen sich von fleißigen Händen, die von der Erfahrung geleitet und von der Technik der Neuzeit unterstützt sind, noch Schätze heben, welche man in dieser Welt von Sand und Torfschlamm lange nicht geahnt hat. Diese Torflager der Moordistricte und die Ergiebigkeit der Oberfläche derselben, wenn sie in Ackerland verwandelt sind, was so wenig unmöglich, wie die Umgestaltung der sandigen Haide in saatlohnendes Feld, versprechen, neuerdings nach ihrem wahren Werthe gewürdigt, den Reichthum des ohnehin nicht armen Landes noch außerordentlich zu erhöhen. Jetzt sind die Moore, namentlich in den westlichen Theilen von Oldenburg und Hannover, durch ihre Größe, ihre Unwegsamkeit Völkerscheiden; sie sind, wo sie Landschaften einfaßten, Schranken für den Zugang der Cultur; von dieser sind die Muffrikaner weiter getrennt, als die Bewohner entlegener Inseln.

Aber nicht überall mehr zeigt uns das Moor diese großartige Ursprünglichkeit. In der Nähe der Geest, des sandigen Festlandes, sieht man die Spuren thätiger Menschenhand. Neben tiefen, wassergefüllten Gruben mit steil abgeschnittenen Wänden stehen kleine Torfhaufen aus lustig übereinander geschichteten, durch eine Maschine geschnittenen Torfstücken („Soden“), die in Wind und Sonne austrocknen sollen. Hie und da erstreckt sich ein kleines Buchweizenfeld mit den zahllosen röthlichweißen Blüthen in die braune, pflanzenlose Wüste. Wo das Hochmoor sich selbst überlassen blieb, ist es dicht bedeckt mit Haidekraut, calluna vulgaris und erica tetralix, dem indeß andere Pflanzen, wie die Schwarzbeere, die Aehrenlilie, Orchisarten und andere, hie und da auch eine verkümmerte Birke oder Föhre eingesprengt sind. Wo aber der Raubbau auf Buchweizen vermittelst der Brandcultur stattgefunden hat – und solches Moor ist es, das man am meisten zu sehen bekommt –, da ist alle Vegetation getödtet, und es liegt nackt und wie geschunden da. Nur am Rande der Torfgruben zeigen sich Binsen und saure Gräser und einzeln das zierliche Fingerkraut und ein verwildertes Buchweizenpflänzchen, und wo des Menschen Fuß sich einen Pfad durch die Wüste gebahnt, folgt ihm aus den nahen Holzungen das Weidenröslein mit seinen hellleuchtenden Blüthentrauben, haftend, wo jener an seiner Sohle auch nur ein wenig mineralische Nahrung auf die ausgesogenen Pflanzenreste getragen hat.

Unermeßliche Schätze bergen diese Moore; nur schade, daß sie so schwer zu heben sind. Der weiche, schlammige Moorboden trägt weder Wagen noch Pferde, und der Mensch selbst kann nur in der trockenen Jahreszeit dort sich bewegen, um seiner Arbeit nachzugehen. Darum haben Torfstich und dauernder Anbau sich in den meisten Gegenden auf die Ränder beschränken müssen. Selbst die Sandwege, die hie und da Staat und Gemeinde durch das Moor gelegt haben, können, so nützlich sie sind, das Moor nicht eigentlich erschließen, da sie nur in nächster Nähe das Terrain zugänglich machen. Wo sie nicht unmittelbar hinanreichen, bleibt das Moor unnahbar, wie zuvor.

Nur eine Weise hat – leider Gottes! – der Mensch entdeckt und bisher vorzugsweise angewandt, um sich die weiten Flächen wenigstens vorübergehend zu unterjochen: das ist die Brandcultur. Sobald im Frühling eine trockene Zeit eingetreten, geht der Moorcolonist und mancher Landmann, Knecht und Arbeiter der sandigen Geest hinaus und steckt das meist schon im Herbste vorher an seiner Oberfläche zerhackte und aufgelockerte Moor in Brand, um alsdann in das durch die Asche gedüngte Feld Buchweizen hineinzusäen. Diese Art von Cultur erstreckt sich weit hinein in das Moor, und der Staat, welcher Eigenthümer des größten Theiles ist, leiht seine ausgedehnten Flächen gegen geringen Zins dazu her. Etwa sechs, höchstens acht Jahre kann dieser „Raubbau“ fortgesetzt werden; dann ist der Boden in seiner zu Tage liegenden Schicht aller mineralischen Nährstoffe bar, und er muß zwanzig, dreißig Jahre liegen, bis aus der Tiefe und aus der Luft so viel Kraft sich wieder angesammelt hat, daß eine neue Pflanzendecke entstehen konnte, um durch abermaliges Abbrennen dem Buchweizen zur Nahrung zu dienen. Endlich hört aber alle Erneuerung auf, das Moor ist todt und kann nichts mehr hergeben, weil es nichts mehr hat.

Der Erwerb, den Tagelöhner, Gesinde und Colonisten aus diesem Buchweizenbau ziehen, ist ein sehr wechselnder. Geräth die Frucht, so liefert sie reichen Ertrag und lohnt die angewandte Mühe übermäßig; aber die Pflanze ist sehr empfindlich, besonders gegen Frost, so daß die guten Ernten nicht eben häufig sind. „Buchweizensaat,“ sagt daher das Sprüchwort, „Buchweizensaat und Weiberrath gerathen nur alle sieben Jahre“, und „Der Buchweizen ist nicht eher sicher, als bis man ihn im Leibe hat, sagte der Bauer – da fiel ihm der Pfannkuchen in die Asche“. Weil aber beim Buchweizenbau so viel vom Zufall abhängt, hat der Ertrag der wirklich guten Ernten viel Aehnlichkeit mit einem Spielgewinne: er zerrinnt oftmals so leicht wie dieser. Bei manchen Kennern unserer wirthschaftlichen Zustände gilt daher der Buchweizenbau durch Brandcultur keineswegs für eine erfreuliche Errungenschaft der Neuzeit.

Eine andere Seite der Brandcultur ist weit hinaus nur zu wohl bekannt. „Ganz Deutschland riecht’s, wenn uns’re Moore rauchen,“ singt ein anderer Localpoet, und zwar schnöder Weise nach der Melodie des Rheinweinliedes. Kaum ist der Frühling in’s Land gezogen, kaum knospet das junge Grün auf Baum und Strauch, und die Brust dehnt sich, die linden Lüfte tiefathmend einzufangen, so wälzt sich vor dem Winde ein wahrer Höllenbrodem daher über die Ebene und weiter über Berg und Thal; bleiern lastet die Luft, der ganze Himmel ist ein dichter Qualm, der die Mittagssonne zu einer mattrothen Scheibe macht, ja oft sie ganz verhüllt. Wochenlang bringt jeder junge Tag diese unangenehme, alle Frühlingsluft und Heiterkeit zerstörende Plage, die zugleich, wenn man es auch kaum hat förmlich beweisen können, auf Gedeihen und Gesundheit aller Thier und Pflanzenwelt schwerlich anders als schädlich einwirken kann.

Es giebt ein Mittel, in das Moor einzudringen, seine Vorräthe an Torf nutzbar zu machen, den Untergrund einer dauernden Cultur zu unterwerfen, das Mittel ist sicher und allbekannt: es ist die Canalisation. Durch sie erhält das Moor die nöthige Entwässerung und zugleich die Communicationswege, auf denen der Torf und demnächst die Producte der Landwirthschaft weggeführt und wiederum Dünger aus den Städten und Marschen oder von schlick-(schlamm-)reichen Mündungen der Flüsse, sowie alle Bedürfnisse des eigenen Lebens herangebracht werden können. Die holländischen und einzelne Wehne (oder auch Vehne und Fehn, im Holländischen Veen, eine durch Eindämmung und Canäle trocken gelegte Moor- und Torfgegend) in der Provinz Hannover lassen die vorzüglichen Erfolge dieses Mittels sichtbar und glänzend hervortreten. An einen Hauptcanal, der aus der Mitte des Moores zu einer offenen Wasserstraße führt, schließt sich allmählich ein ganzes Netz von Canälen an, jeder Canal an beiden Seiten von Landstraßen begleitet. Zu Wasser wie zu Lande entwickelt sich ein lebhafter Verkehr. Die Abgrabung des Torfes, der in hochbeladenen Schiffen ausgeführt wird, schafft Raum für die Herstellung von Gärten, Wiesen und Feldern. Die ersten, rohaufgerichteten Wohnungen der Ansiedler machen soliden, selbst eleganten Häusern Platz; Kirchen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_596.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)