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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


nationalen Strebens hat er sich auch seitdem nie abdrängen lassen, weder nach rechts noch nach links, weder in den Zeiten der Reaction, wo es zum Verbrechen gestempelt ward, ein einiges und kräftiges Deutschland zu wollen, noch da, als ein Theil seiner näheren Parteigenossen selbst die Ziele dieser Einigung viel weiter steckte und das Festhalten am bloßen Bundesstaate für einen überwundenen Standpunkt erklärte.

Als das Werk der Frankfurter Versammlung so traurig scheiterte, wollte Biedermann auch die Abschlagszahlung, die sogenannte preußisch-deutsche „Union“, weil sie doch immer einen deutschen Bundesstaat unter parlamentarischen Formen versprach, nicht zurückweisen und setzte daher seinen Namen unter jenes Programm von Gotha, dessen Anhänger, die vielverschrieenen „Gothaner“, so harte Anfeindungen erdulden mußten.

Dann in die zweite Kammer des sächsischen Landtags von 1849 bis 1850 eingetreten, gerieth er gegen die reactionäre Richtung des Herrn von Beust, der damals Sachsens Geschicke lenkte und mit vollen Segeln wieder auf den alten Bundestag lossteuerte, in einen Streit, in welchem er, einem solchen Gegner gegenüber, den Kürzeren ziehen mußte: er wurde, in Folge eines Preßprocesses, seiner Professur enthoben und so, durch die Unterbindung der Wurzeln seiner Berufsthätigkeit und seiner Existenz im Vaterlande, zur unfreiwilligen Selbstverbannung genöthigt.

Bei der frei- und deutschgesinnten Regierung des Nachbarlandes Weimar fand er freundliche Aufnahme und eine neue Stätte des Wirkens. Acht Jahre brachte er dort außerhalb der Heimath zu, ohne doch deren Interesse aus dem Auge zu verlieren. Als zu Anfang der sechziger Jahre die Zustände Sachsens für ein wiederaufstrebendes öffentliches Leben sich hoffnungsvoller gestalteten, kehrte Biedermann nach Leipzig zurück und griff als Leiter der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“, bald auch persönlich, in die neue Bewegung thätig ein, so namentlich 1866, wo er gegen des Herrn von Beust’s österreichische Politik auftrat und sich abermals den Haß der strengparticularistischen Partei in einer Weise zuzog, daß er von fanatischen Feinden der deutschen Sache sogar persönlichen Insulten ausgesetzt war. Sowohl bei den Wahlen zum constituirenden, wie bei denen zum ersten gesetzgebenden Reichstage mußte Biedermann auf jede Möglichkeit einer Candidatur verzichten.

Erst bei den Wahlen zum sächsischen Landtage von 1869 bis 1870 ward Biedermann durch die Wähler der Stadt Chemnitz dem parlamentarischen Leben zurückgegeben. Auch in den ersten gesammtdeutschen Reichstag ward er (1871) gleichfalls von einem erzgebirgischen Wahlkreise, Mittweida-Frankenberg, entsendet.

In der sächsischen zweiten Kammer trat Biedermann an die Spitze der kleinen, aber festgeschlossenen nationalliberalen Fraction, die in allen Freiheitsfragen mit den anderen Schattirungen der liberalen Partei eng zusammenhielt, doch aber bei einzelnen Gelegenheiten, wo es sich um nationale Anliegen handelte, allein stand. Besonders thätig war Biedermann bei allen Anträgen auf politische Reformen, die von der gesammten liberalen Partei ausgegangen waren; so hat er sich namentlich um die Reorganisation der Verwaltung in der Richtung auf größere Selbstregierung der einzelnen Bezirke und ebenso um das Preßgesetz große Verdienste erworben; und als es im jüngsten Landtag galt, gegen die Publication des bekanntlich von der Majorität der zweiten Kammer verworfenen, weil clerical-reactionären Schulgesetzes zu protestiren, forderte Biedermann die Regierung auf, lieber die Kammer aufzulösen, und als die Rechte diese Aufforderung mit Murren begrüßte, rief er ihr mit erhobener Stimme zu: sie habe ja immer behauptet, das Volk stehe in dieser Sache zu ihr und zur Regierung; wohlan! so möge man die Probe machen und an’s Volk appelliren! – So hat sich Biedermann immer als ein deutscher Mann bewährt, der, fest in seinen Grundsätzen und klar in seinen Entschlüssen, ebensoviel Muth der Wahrheit wie Kraft der Ueberzeugungstreue besitzt und Beide bewiesen hat auf seiner politischen Laufbahn, die für ihn meist eine Dornenbahn war.

Der Abgeordnete Ludwig, früher in Chemnitz, jetzt in Leipzig Rechtsanwalt, begann seine öffentliche Laufbahn nicht auf dem weichen, Schall und Bewegung dämpfenden Teppich des Ständesaales, sondern auf dem vulcanisch heißen Boden großer erschütternder Zeitbewegungen. Der vielverheißende, und ach! so kurze Völkerfrühling 1848 warf ihn ruhelos und unstät hierhin und dorthin, trieb ihn zuletzt, nach dem Scheitern aller glühendsten Freiheitshoffnungen, außerhalb der deutschen Grenzen in die Schweiz, wo er eine lange entbehrungs-, aber auch erfahrungsreiche Zeit durchlebte.

Noch jetzt fällt es ihm schwer, in das streng abgemessene Tempo und den ruhigen Ton parlamentarischer Debatten sich zu finden. Wie ein feuriges Roß des Zügels ungewohnt, bricht er bald hier, bald da aus den beengenden Schranken und beschreibt im kühnen Ansprunge so weite Kreise, daß wohl oft dem Präsidenten um die Geschäftsordnung mit ihren ängstlich vorgeschriebenen Formen und Regeln, den Parteiführern um die nothwendige Fühlung mit der Partei und die unerläßliche Einhaltung des gemeinsamen Schlachtenplanes bange wird. Zum Gefecht in geschlossenen Gliedern eignet sich freilich ein solcher Kämpe wenig, um so besser zum Ausschwärmen und Tirailliren, wo es gilt, einen „exponirten Posten“ auszustellen, oder nach Art der gefürchteten preußischen Uhlanen das Terrain zu „klären“.

Ludwig war allerdings in der Kammer bei sehr vielen Verhandlangen „der Geist, der stets verneinte“. So oft ein Gesetzesparagraph oder eine Reihe solcher als „gegen Eine Stimme angenommen“ in den stenographischen Mittheilungen verzeichnet ist, kann man sicher rechnen, daß diese eine Stimme die des Abgeordneten Ludwig gewesen.

Doch würde man irren, wenn man annähme, die politischen Ansichten Ludwig’s seien so ultraradical oder excentrisch, daß sie in den Rahmen keines Gesetzesvorschlages und keiner geschlossenen Parteibildung hinein passen. Die Consequenzen seiner Grundsätze sind durchaus nicht so weit gehend, daß sie nicht in einem ständischen Antrage, ja zum Theil selbst in einer Vorlage vom Regierungstische Platz fänden. Nur pflegt er zuletzt diese Consequenzen mit allzu unerbittlicher Logik überall und zu allen Zeiten zu ziehen, bisweilen auch da, wo sie gegebenen Umständen nach nicht realisirbar sind oder wo sie den momentanen Hauptzweck einer politischen Action vielleicht kreuzen und daher nicht selten den Gegnern willkommene Angriffspunkte bieten.

In einer Kammer, wie die zweite sächsische, wo die viel berufene sächsische „Höflichkeit“ oder „Gemüthlichkeit“ bisweilen bis zum Excesse geht, wo Manche vor jedem kühneren Worte erschrecken und selbst die wohlerwogenste Ueberzeugung gern mit allerhand Abstrichen und Vorbehalten, wie den harten Kern mit einer weichen Schale, überkleiden, in einer solchen Kammer ist ein solches Ferment ganz am Platze – ein Redner, der immer geradeaus auf die Sache losgeht, der keine Rücksichten kennt und Pardon weder giebt noch fordert.

Seine schärfsten Pfeile richtete Ludwig gegen die Bureaukratie und die Orthodoxie beider Confessionen. Er begegnete sich darin mit noch anderen Abgeordneten der liberalen Partei, wie Körner, Krause, Leistner, Uhle, Wigard, allein er übertraf die meisten entweder an Schärfe oder an Beharrlichkeit seiner Angriffe. Wenn daher bureaukratische und geistliche Ultras ihn entweder in ihren erstaunlichen Artikeln oder auch öffentlich, wo sie nur können, als den schrecklichsten der Schrecken, als Revolutionär oder Freigeist mit Hörnern oder Klauen abconterfeien und alle frommen Christen und loyale Unterthanen vor ihm warnen, so kann man ihnen das eigentlich so sehr nicht verdenken.

Daß Ludwig aber hierbei nur die Sache, nicht einen eitlen Kitzel des Scandalmachens im Auge hatte, bewies er unter Anderm bei der delicaten Angelegenheit der „Schwestern vom heiligen Herzen“. Sein Antrag auf deren Entfernung aus ihrer Stellung als Lehrerinnen am Josephinenstift in Dresden hatte in der Kammer die besten Aussichten auf Erfolg. Ehe derselbe indeß zur Verhandlung kam, trat der König persönlich in wohlmeinendster Weise dazwischen, indem er bei der verwittweten Königin, der Protectorin jenes Stifts, die freiwillige Verabschiedung der von ihr berufenen Schwestern für einen gewissen, nicht zu fernen Termin vermittelte. Darauf zog Ludwig unter öffentlicher dankbarer Anerkennung dieses königlichen Actes seinen Antrag zurück.

Der Abgeordnete Jordan, Chef der großen weltberühmten Dresdener „Chocoladenfabrik Jordan und Timäus“, ist ebenso von Haus aus aristokratisch angelegt, wie Ludwig geborener Demokrat ist. Aber wie diesen sein klarer und scharfer Verstand davor bewahrt, in ein Extrem nach links zu verfallen, welches ihn für praktische Politik unfähig macht, so wird Jordan durch sein

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